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Wolfgang Schäuble: Der dienstälteste Parlamentarier wird 80

CDU-Politiker Wolfgang Schäuble wird am 18. September 80 Jahre alt. Der dienstälteste Parlamentarier blickt auf eine erstaunliche politische Karriere mit zahlreichen Ministerämtern zurück.

Wolfgang Schäuble ist seit 50 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestags.
Foto: imago/Future Image

Monolith. Urgestein der deutschen Politik. Fels in der Brandung. Manche Umschreibungen für Wolfgang Schäuble sind so überschwänglich, dass sie sich fast schmerzhaft im Bereich des Pompösen bewegen, was bildhaft auch neben der Spur liegen dürfte für diesen schmalen Mann.

Inhaltlich allerdings ist das hymnische Lob durchaus zutreffend: Wolfgang Schäuble ist ein Monolith an Anstand in der Politik. Sein Intellekt und Charakter ragen in der Tat wie ein überparteilicher Fels weit über die Niederungen des parteipolitischen Alltags von Berlin hinaus. Der Grandseigneur der Christdemokraten ist der dienstälteste Parlamentarier, der hintereinander gleich zwei Jubiläen feiern kann:

Am 18. September wird Wolfgang Schäuble 80 Jahre alt. Und am 13. Dezember ist er seit 50 Jahren Mitglied des Deutschen Bundestags. Zum Vergleich: August Bebel (1840-1913), einer der legendären Begründer der SPD, saß von 1867 bis 1881 und von 1883 bis 1913 im Parlament. Somit ist Schäuble seit der konstituierenden Sitzung des ersten gesamtdeutschen Parlaments vom 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche der am längsten amtierende Abgeordnete der deutschen Parlamentsgeschichte.

Eine aufsehenerregende Karriere in der Politik

Der promovierte Einser-Jurist, der unüberhörbar aus dem südbadischen Breisgau stammt, war anfangs Regierungsrat im Finanzamt Freiburg, wo er als Finanzbeamter von 1972 an mit dem Eintritt in den Bundestag bis 2007 mit dem Erreichen des Pensionsalters beurlaubt wurde – denn Schäuble machte ja in der Politik eine aufsehenerregende Karriere.

Er war Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts unter Kanzler Helmut Kohl (1930-2017), Innenminister (im Kabinett Kohl und Kabinett Merkel), Finanzminister unter Kanzlerin Angela Merkel (68). Wolfgang Schäuble führte als Fraktionschef und Bundesvorsitzender die CDU, war Bundestagspräsident. Er wird in die Geschichtsbücher als einer der Architekten der deutschen Wiedervereinigung eingehen, bei der er 1990 maßgeblich den Einigungsvertrag mit der damaligen DDR aushandelte. Auf seine Initiative wurde Berlin die neue Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.

Trotz dieser großen Verdienste bleiben ihm die beiden höchsten politischen Ämter verwehrt: Wolfgang Schäuble war nie Bundeskanzler und nie Bundespräsident – und das hat auch mit dem Ereignis vom 12. Oktober 1990 zu tun. Bei einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau schoss ein psychisch kranker Attentäter auf ihn. Eine Kugel traf ihn durch die Brust ins Rückenmark, der damals 48-jährige Wolfgang Schäuble war vom dritten Brustwirbel an querschnittsgelähmt. Er saß fortan im Rollstuhl.

Die Ausmaße des Attentats

Ohne seine Familie – Ehefrau Ingeborg (78) und die vier Kinder waren und sind der große Halt – wäre das Leben des Politikers Schäuble wohl anders verlaufen. In Gespräch mit dem ebenfalls behinderten Schauspieler und Theaterautor Peter Radtke und dem „Süddeutsche Zeitung Magazin“ sagte Schäuble, „zur Hälfte“ säße auch seine Ehefrau im Rollstuhl, weil sie „dieses neue Leben mit mir geteilt“ habe. „Ob ich mich umgekehrt auch so verhalten hätte, ich weiß es nicht. Ich hoffe es. Die Kinder haben gar nicht so große Probleme mit der neuen Situation gehabt. Am meisten Probleme hatte unser Hund. Wir hatten damals einen Hund, der hat sich nie an den Rollstuhl gewöhnt, der kam einfach nicht mehr zu mir. Das war ganz furchtbar.“

Hat die Behinderung einen weiteren politischen Aufstieg verhindert? Immerhin hatte der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (80) gesagt, ein Mensch mit Behinderung könne kein Kanzler werden. Das sei ihm seinerzeit vorgehalten worden, was er aber auch „legitim“ fand, sagte er dem „SZ-Magazin“. „Wer so ein hohes Amt hat, muss ertragen, dass diskutiert wird, ob er gesundheitlich, kräftemäßig dazu in der Lage ist.“

Dass Schäuble nicht Kanzler wurde, lag auch an seinem politischen Ziehvater Helmut Kohl. Er hat während seiner Kanzlerschaft immer wieder betont, er sehe weit und breit nur einen möglichen Nachfolger: Wolfgang Schäuble. Doch dazu kam es nie, weil Kohl nicht von sich aus aufhören wollte – und schließlich 1998 die SPD den Kanzler stellte, weil Kohl abgewählt wurde.

Die „schwerste Krise“ von Wolfgang Schäuble und der Bruch mit Kohl

Kurze Zeit später erschütterte ein Parteispendenskandal die Republik mit Kanzler Kohl im Mittelpunkt. Von 2,1 Millionen Mark nicht deklarierter Spenden war die Rede, von schwarzen Konten in der Schweiz, von Steuerhinterziehung. Der nie bewiesene Verdacht: Kohl brauchte den „Bimbes“, wie er Geld nannte, um mit einer gut gefüllten CDU-Kasse seine Macht innerhalb der Partei zu festigen. Er selbst hatte zugegeben, illegale Spenden angenommen zu haben, die Namen der Spender könne er nicht verraten, er habe sein Ehrenwort gegeben.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) sah, dass diese schwierige Situation auch zur schwersten Krise von Wolfgang Schäuble wurde – von seinem Ziehvater, dem er stets loyal gedient hatte: „Als dem Kanzler der Einheit dämmerte, dass sein Lebenswerk in Gefahr war, tat er etwas, was auch Wolfgang Schäuble erst in der Rückschau wirklich begriffen hat, wie er in seinem Buch ‚Mitten im Leben‘ darlegt: Kohl schmiedete eine Intrige mit kriminellen Elementen, um ihn, Schäuble, zu vernichten. Der Altkanzler lenkte die Aufmerksamkeit auf seinen treuesten Gefolgsmann. Rollte ihn als Schutzschild vor sich in die Schusslinie.“

Dafür hatte ihm Schäuble sogar aus Versehen eine Steilvorlage gegeben: Auch er hatte eingeräumt, eine Barspende von 100.000 D-Mark von einem Rüstungslobbyisten bekommen und an die Partei abgeführt zu haben. Der Verbleib des Geldes konnte seltsamerweise nie geklärt werden. Auf einmal stand Schäuble im Zentrum der Aufmerksamkeit. Der Mann, für den Anstand der wichtigste Maßstab ist, sah seine Integrität verletzt. „Der Angriff auf seine Ehre hat Wolfgang Schäuble härter getroffen als die Schüsse, die ihn in den Rollstuhl zwangen“, schrieb die „NZZ“.

Weil seine Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stand und Kohl, der zu seiner Entlastung hätte beitragen können, eisern schwieg, ist er im Februar 2000 als CDU-Vorsitzender und Fraktionschef zurückgetreten. Zuvor hatte es noch ein Treffen mit dem Altkanzler gegeben, bei dem Schäuble laut „Tagesspiegel“ mit Kohl gebrochen hat: „Ich habe schon viel zu viel meiner knapp bemessenen Lebenszeit mit dir verbracht, und es wird keine Minute mehr geben.“

Später sagte Schäuble in einer Dokumentation der ARD-Reihe „Duelle“ über Kohl: „Ich hege keinen Groll gegen ihn, gehe mit ihm respektvoll um, mit seinem Andenken. Aber ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.“

„Isch over“

„Isch over“, pflegt Schäuble auf gut badisch zu sagen, wenn etwas für ihn gelaufen ist. Es wurde ein berüchtigtes Zitat, als er Finanzminister im Kabinett von Bundeskanzlerin Angela Merkel war und es um weitere Hilfszahlungen an das klamme EU-Mitglied Griechenland ging.

Isch over – gilt das nun auch für Schäuble in der Politik? Das „Politikersein“ habe ihm geholfen, alles zu bewältigen, seit er im Rollstuhl sitzt, hat er dem „SZ-Magazin“ gesagt. Obwohl seine Frau Ingeborg sich einen Rückzug aus der Politik gewünscht hätte. „Ich habe sie damals gefragt: Willst du wirklich, dass ich dann ohne alles bin?“

Er ist jetzt Alterspräsident des Parlaments. Und er achte sehr darauf, dass er der amtierenden Bundestagspräsidentin „nicht in die Quere komme“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“: „Ich gehe natürlich in die Fraktionssitzungen, aber ich versuche, meinen Rat nur zu geben, wenn ich danach gefragt werde. Und nicht einfach so. Ich kann die Alten nicht leiden, die sich ständig einmischen.“

Sein Mandat geht bis 2025, jüngst in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ kündigte Schäuble an: Dann „isch over“.

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