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Cannabis und die Hirnchemie Jugendlicher

Eine psychotische Störung zu entwickeln, ist alles andere als harmlos und kann lebenslang Folgen haben. Eine Studie bestätigt nun einen starken Zusammenhang zu Cannabis-Konsum gerade bei Jugendlichen.

Cannabis und die Hirnchemie Jugendlicher - wie groß sind die Risiken?
Foto: Oliver Berg/dpa

Cannabis schadet den noch nicht ausgereiften Gehirnen Jugendlicher, das haben Studien schon mehrfach gezeigt. Der Zusammenhang zwischen jugendlichem Cannabiskonsum und psychotischen Störungen könnte sogar noch stärker sein als bisher angenommen, ergab nun eine im Fachjournal «Psychological Medicine» vorgestellte Studie. Die meisten Jugendlichen, bei denen eine psychotische Störung diagnostiziert wird, haben demnach eine Vorgeschichte mit Cannabiskonsum.

Rainer Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, erklärt, dass bei einer psychotischen Störung in der Regel die Wahrnehmung beeinträchtigt sei. Das eigene Körpererleben könne verändert sein und es seien auch visuelle oder akustische Halluzinationen möglich. Die Konzentrations- und Lernfähigkeit seien eingeschränkt und das Empfindungsvermögen bei Freude oder Trauer sei abgestumpft. Oft komme noch das Gefühl hinzu, von Umgebungsreizen völlig überflutet zu werden.

Eine psychotische Störung kann bei Drogenabstinenz innerhalb weniger Wochen vollständig heilen – jedoch besteht lebenslang ein höheres Risiko, erneut in einen Rückfall zu geraten. Die Auswirkungen sind im Allgemeinen länger und intensiver bei Schizophrenie, einer speziellen Form der psychotischen Störung, erklärt Kinder- und Jugendpsychiater Thomasius. Das Gefühl, bedroht zu sein – beispielsweise durch enge Angehörige – kann im Extremfall bei Schizophrenie zu tödlichen Attacken führen.

Der THC-Gehalt ist teilweise dramatisch gestiegen

Frühere Forschungsarbeiten stützten sich weitgehend auf ältere Daten, als Cannabis noch weniger stark war als heute, nehmen die Forschenden in Kanada als Grund für eine mögliche bisherige Unterschätzung an. Der durchschnittliche Gehalt an Tetrahydrocannabinol (THC) bei illegalem Cannabis stieg in Kanada demnach von etwa einem Prozent im Jahr 1980 auf 20 Prozent im Jahr 2018. «Neue Arten von Cannabisprodukten sind ebenfalls beliebter geworden, darunter Cannabisextrakte, die einen THC-Gehalt von über 95 Prozent erreichen können.»

Derlei Produkte seien in Deutschland noch nicht erhältlich, sagt Thomasius. Der Gehalt hierzulande liege bei illegalem Cannabis bei etwa 15 Prozent. Mit den professionellen Gerätschaften der Anbauvereinigungen, die seit Anfang April legal Cannabis produzieren dürfen, seien sicher auch höhere Gehalte möglich. Zwar soll der THC-Anteil nach dem Cannabis-Gesetz bei der Abgabe der Vereinigungen an 18- bis 21-Jährige 10 Prozent nicht übersteigen – doch umfassende Kontrollen sind für Kommunen kaum umzusetzen. Gefordert seien sie laut Gesetzestext ohnehin nur «gelegentlich», sagt Thomasius.

Der THC-Gehalt ist im Vergleich zu den Joints der 68er-Jahre dramatisch gestiegen, was ein Problem darstellt, da Konsumenten oft die gleiche Menge Cannabis wie zuvor konsumieren, aber nun viel mehr THC aufnehmen als zuvor. Die Hanfpflanze Cannabis sativa enthält insgesamt über 60 Cannabinoide, wobei Tetrahydrocannabinol als die stärkste psychoaktive Substanz gilt. Im gesamten Körper gibt es Rezeptoren, an denen körpereigene Cannabinoide sowie THC binden können.

Es ist biologisch plausibel, dass THC das Gehirn von Jugendlichen beeinflusst, da das Gehirn in der Pubertät besonders anfällig für Veränderungen ist. Laut einem Forschungsteam in Kanada beeinflusst THC über das körpereigene Cannabinoid-System unter anderem Nervenverbindungen und die Entwicklung der weißen Substanz im Gehirn.

Risiko für Angststörungen

Zu den bekannten Folgen regelmäßigen Cannabis-Konsums in der Pubertät gehöre neben dem höheren Risiko für Psychosen ein um bis zu etwa zehn Punkte sinkender IQ-Wert, erklärt Thomasius. «Wenn ein ohnehin nicht so hoher IQ von 90 auf 80 sinkt, dann bedeutet das eine Lernstörung.» Auch Auffassungsgabe und Konzentrationsfähigkeiten litten. Im Gehirn könnten bei Cannabis-Konsum in der Pubertät bis zu gut ein Drittel der funktionsfähigen Verbände im Frontalhirn verloren gehen, das zuständig für Funktionen wie Denken, Vernunft und Emotionsregulation ist. Auch sei das Risiko für Angststörungen und Depressionen höher.

Jedoch nicht nur das, dass Konsumenten ihr eigenes Leben und das ihrer Familie beeinträchtigen können – auch andere Menschen sind betroffen, beispielsweise durch die eingeschränkte Verkehrstüchtigkeit. «In den USA hat sich die Zahl schwerer Verkehrsunfälle unter Cannabiseinfluss schon verdoppelt bis verzehnfacht seit der Legalisierung dort», sagt Thomasius.

Jugendlichen seien solche Risiken nicht wirklich bewusst, sagt der Mediziner. «Das wird bisher überhaupt nicht angemessen kommuniziert.» Analysen zeigten, dass die Risikowahrnehmung für Gesundheitsschäden durch Cannabis-Konsum in den USA und Europa generell abnehme. Bei Jugendlichen komme hinzu, dass sie allgemein nicht so viel Selbstfürsorge und ein geringeres Risikobewusstsein hätten. Und dass Erwachsene etwas nutzen dürfen, Jugendliche aber die Finger davon lassen, habe noch nie funktioniert.

Die Cannabis-Legalisierung bedeute Verharmlosungseffekte und setze völlig falsche Signale, betont Thomasius daher. «Wir können jetzt schon voraussagen, dass die Psychose-Inzidenzen ansteigen werden.» Und jeder solche Fall bedeute ein Wiederholungsrisiko, wenn nicht lebenslang auf alle psychoaktiven Substanzen verzichtet werde. «Wenn einmal eine Psychose aufgetreten ist, ist die Vulnerabilität bei Drogenkonsum erhöht.»

André McDonald und Susan Bondy von der Universität Toronto haben für ihre Studie bevölkerungsbasierte Erhebungsdaten aus den Jahren 2009 bis 2012 mit Gesundheitsleistungsdaten bis zum Jahr 2018 verknüpft. Die über 11.000 Teilnehmer, die zu Beginn der Studie im Alter von 12 bis 24 Jahren waren, hatten bis dahin keine psychotische Störung.

Gemäß der Auswertung gaben fünf von sechs Jugendlichen (12 bis 19 Jahre), die im Verlauf der Studie aufgrund einer psychotischen Störung ins Krankenhaus eingeliefert oder die Notaufnahme aufgesucht hatten, an, Cannabis konsumiert zu haben. Möglicherweise gab es eine Untererfassung, da der Freizeit-Cannabiskonsum zu dieser Zeit in Kanada noch für alle Altersgruppen illegal war, was die Angaben zum eigenen Cannabiskonsum beeinflusst haben könnte. Bei jungen Erwachsenen (20 bis 33 Jahre) wurde kein deutlicher Zusammenhang festgestellt.

McDonald erklärte, dass die Mehrheit der Jugendlichen, die Cannabis konsumieren, keine psychotische Störung entwickelt. Jugendliche, die Cannabis konsumieren, haben jedoch ein 11-mal höheres Risiko für eine psychotische Störung als Jugendliche, die es nicht verwenden.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Analyse, wie auch vorherige epidemiologische Studien, eine Korrelation zeigt, jedoch keinen kausalen Zusammenhang. Das bedeutet, dass ein umgekehrter Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden kann: Jugendliche mit psychotischen Symptomen könnten beispielsweise vor der klinischen Diagnose mit Cannabis begonnen haben.

Auch weitere potenziell relevante Faktoren wie die Genetik oder möglicherweise erlebte Traumata in der Vergangenheit wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Tatsächlich bestimmt die Genetik die Anfälligkeit für Psychosen stark, erklärt Thomasius. Cannabis-Konsum sei bei einer solchen familiären Vorbelastung dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

dpa