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Ukraine warnt: Neue Fluchtbewegungen wegen Energie-Ausfällen

Russland greift in der Ukraine vermehrt Infrastruktur an. In vielen Bereichen ist die Stromversorgung unterbrochen. Das könnte im Winter kritische Ausmaße annehmen, warnt die Führung des Landes.

Evakuierte Personen aus Cherson gehen nach ihrer Ankunft am Bahnhof in Dschankoj eine Treppe hoch.
Foto: Uncredited/AP/dpa

Die Ukraine hat angesichts massiver russischer Raketenangriffe auf die Energie-Infrastruktur des Landes vor einer humanitären Katastrophe gewarnt. «Der Aggressor hört nicht auf, unser Land zu terrorisieren», teilte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag in Kiew mit. Nach Angaben der Präsidialverwaltung waren im Land rund 1,5 Millionen Kunden des Energieversorgers Ukrenerho ohne Strom. Selenskyjs Berater Mychajlo Podoljak sagte, Russland versuche, Ukrainer zu einer neuen massenhaften Flucht nach Europa zu drängen.

«Wenn es in der Ukraine keinen Strom, keine Heizung, kein Wasser mehr gibt, kann das einen neuen Migrationstsunami auslösen», sagte Ministerpräsident Denys Schmyhal der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (F.A.S.). Schmyhal warf Russland vor, es wolle die Ukraine durch Angriffe auf ihre zivile Infrastruktur «in eine humanitäre Katastrophe stürzen». Der Ukraine solle ein kalter Winter beschert werden, in dem viele Menschen erfrieren könnten.

Nach Darstellung von Selenskyj hatte Russland am Samstag erneut 36 Raketen auf die Ukraine abgefeuert. Die meisten seien von der Luftverteidigung abgeschossen worden. Trotzdem schlugen russische Raketen in teils wichtige Energieanlagen ein, wie ein von Selenskyj veröffentlichtes Foto zeigte. Es handele sich um die typische Taktik von Terroristen. «Die Welt kann und muss diesen Terror stoppen», sagte der Staatschef. Er dankte den Energiedienstleistern, die dabei seien, die Infrastruktur wieder aufzubauen.

Ukraine bittet um Hilfen gegen Energieausfälle

Schmyhal bat die westlichen Verbündete um «mobile Ausrüstung zur Erzeugung von Strom und Wärme» sowie um Anlagen zur Wasseraufbereitung. Treibstoff für die Generatoren sei «im Augenblick» noch genug da, «aber wenn großräumig Strom und Heizung ausfallen, brauchen wir mehr». Dann brauche sein Land auch «Stromimporte» aus dem Westen. Zudem bat der Ministerpräsident Deutschland um rasche weitere Militärhilfe.

Die Ukraine warte «ungeduldig» auf neue Munition, die man «jetzt schon» brauche, sagte Schmyhal. «Es geht buchstäblich um Tage.» Auch Störsender seien nötig, um die täglich «zwanzig bis dreißig iranischen Kamikaze-Drohnen» abzuwehren, die Russland gegen die Ukraine einsetze. Schmyhal lobte das neu gelieferte deutsche Flugabwehr-Raketensystem Iris-T. Es sei mittlerweile im Einsatz und habe «schon sehr, sehr viele Menschenleben gerettet».

Für den Wiederaufbau möchte Schmyhal das im Ausland eingefrorene russische Vermögen verwenden. Er sagte, die Schäden durch Russlands Angriff betrügen im Augenblick «mehr als 750 Milliarden» Dollar. Zugleich gebe es eingefrorene russische Aktiva im Wert von 300 bis 500 Milliarden Dollar. «Wir sollten einen Mechanismus zur Beschlagnahme russischer Vermögenswerte entwickeln,» sagte er.

Am Montag wird Schmyhal mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein deutsch-ukrainisches Wirtschaftsforum in Berlin eröffnen, an dem Spitzenvertretern beider Länder über den Wiederaufbau der Ukraine beraten wollen. Aus der Ukraine werden mehrere Minister nach Berlin reisen oder online zugeschaltet, wie die Veranstalter bekanntgaben.

Energieversorger beklagt Schäden nach Raketenangriffen

Nach den neuen russischen Raketenangriffen vom Samstag hat der ukrainische Energieversorger im Land schwere Schäden an den Hauptnetzen im Westen des Landes beklagt. Die Folgen seien vergleichbar mit den russischen Angriffen zwischen dem 10. und 12. Oktober – oder sogar schlimmer, teilte Ukrenerho am Samstag in Kiew mit. Kremlchef Wladimir Putin hatte bei den Angriffen an jenen Oktobertagen befohlen, gezielt die Energie-Infrastruktur des Landes zu beschießen. Das galt als Vergeltung für eine Explosion auf der Krim-Brücke von Russland zu der annektierten Schwarzmeer-Halbinsel. Die Ukraine hat sich zu der schweren Explosion nicht bekannt.

Der ukrainische Netzbetreiber teilte auch mit, dass Experten die Schäden so schnell wie möglich beseitigen wollten. Selenskyj hatte in dieser Woche mitgeteilt, dass durch die russischen Angriffe mit Raketen und Drohnen rund 40 Prozent der Energie-Infrastruktur des Landes zerstört seien. Gegenwärtig ist die Versorgung nach Angaben von Ukrenerho unter anderem in den Regionen Kiew, Sumy, Charkiw, Saporischschja und Dnipropetrowsk eingeschränkt. Hunderttausende Haushalte waren von Stromausfällen betroffen.

Der Energieversorger forderte die Menschen einmal mehr zum Stromsparen auf. So sollten etwa unnötige Lichtquellen ausgeschaltet und Waschmaschinen nur in den Nachtstunden betrieben werden. Nach Darstellung von Ukrenerho will der Feind die Menschen im Land in Rage versetzen und die Lage destabilisieren. «Wut gibt uns Stärke», hieß es in der Mitteilung des Versorgers. Er appellierte an die Menschen, mit Verständnis und Mithilfe zur Besserung der Lage beizutragen.

Russland hatte am Samstag mit neuen Raketenangriffen auf die Ukraine landesweit Luftalarm ausgelöst. Das Verteidigungsministerium in Moskau bestätigte eine Vielzahl an Angriffen. Russland führt seit fast acht Monaten einen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

dpa