Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

«Aufhören» gibt es hier nicht – Ein Dorf sucht nach Arian

Feuerwerk, Kinderlieder, Lichtkegel am Himmel: Einsatzkräfte und Bewohner von Elm setzen bei der Suche nach dem sechs Jahre alten Autisten Arian auch auf unkonventionelle Methoden. Wo ist das Kind?

Bei der Suche nach einem vermissten Sechsjährigen wurden sogenannte Skybeamer eingesetzt.
Foto: Jonas Walzberg/dpa

Im niedersächsischen Dorf, wo der sechs Jahre alte Arian vermisst wird, ist die Luft am Freitag klar und frisch vom Regen. Die Häuser im Dorf sind aus Backstein oder rot gestrichen – ähnlich wie in Skandinavien. Vögel singen, ansonsten ist es still.

Elm ist ein Idyll. Wären da nicht die Zettel. Sie hängen an Häusertüren. Und sie hängen auch in der Dorfmitte mit Kreppband festgeklebt an einem Schaufenster, in dem Bilder von vergangenen Dorffesten ausgestellt sind. «Liebe Elmer, Ihr seid aufgefordert, bei der Suche nach Arian zu unterstützen!»

Arian, ein Autist, ist seit Montagabend verschwunden. Er hatte nach Angaben seiner Eltern erst kurz zuvor gelernt, wie man Türen öffnet. Eine Überwachungskamera filmte, wie er nach dem Verschwinden aus dem Elternhaus mit einem Stock auf der Straße herumfuchtelt. Dann eilt er Richtung Wald – und die Spur verliert sich. Der Vater meldet sein Kind als vermisst. Die Suche nach Arian beginnt noch in der Nacht. Seitdem helfen Hunderte Feuerwehrleute, Polizisten, Bundeswehrsoldaten und Freiwillige.

Vor dem Bürgerhaus in Elm stehen verschiedene Gruppen in Uniform. Personen ohne Uniform sehen ernsten, angespannten Gesichtern gegenüber. Es ist der vierte Tag der Suche – und Schichtwechsel: Die Erschöpften der Nacht gehen, neue Helfer kommen. Die Schwere und Anspannung sind spürbar.

Schwieriger Einsatz mit besonderen Suchaktionen

Die Suche ist schwierig. Arian spricht nicht und würde wahrscheinlich nicht auf Zuruf von Fremden reagieren. Auf den Laufzetteln stehen wichtige Hinweise für die Helfer. Sie sollten den Namen des Jungen nicht rufen, da er ängstlich reagieren und sich verstecken könnte. Helfer sollten auf Ansammlungen achten, da es möglich ist, dass sich der Junge, wenn er ruht, mit schwerem Material zudeckt.

Sollten Helfer ihn finden, soll nur eine Person auf ihn zugehen, sich zu ihm hocken – und nicht anfassen. Auf keinen Fall solle gejubelt werden. Wenn er liegt, ihn in liegender Position lassen. «Medizinisch absolut notwendig», heißt es.

Das alles zeigt, wie anspruchsvoll der Rettungseinsatz ist. Die Helfer gehen daher unkonventionell vor, um Arians Aufmerksamkeit zu erregen und ihn schließlich zu finden. Sie legen Süßigkeiten und Ballons aus, zünden nachts Feuerwerke an, da Arian das so gerne mag. Sie verwenden Scheinwerfer, die Lichtkegel in den Himmel werfen, spielen Kinderlieder ab. Rettungskräfte lassen Drohnen aufsteigen, ein Tornado-Flugzeug der Bundeswehr ist in der Luft, Taucher steigen in Tümpel, Polizisten durchsuchen den Fluss Oste, stellen Wildkameras auf. Die Beteiligten geben alles – dennoch bleibt der Junge unauffindbar.

Im Bürgerhaus schwimmt Kaffee in Pappbechern, Helfer reichen anderen Helfern Brötchenhälften mit Wurst, Käse und Marmelade. Jörg Böttjer sitzt zwar im Trockenen, doch ihn stört der Regen. Böttjer ist 51 Jahre alt, Drohnenpilot der freiwilligen Feuerwehr. Wenn es regnet, kann das Gerät nicht fliegen. Das liege an dem Modell der Drohne, sagt er. Am Donnerstag hätten sie Rehe im Rapsfeld gesehen und Hasen. Aber nicht Arian.

Bewohner: «Das Dorf wächst zusammen.»

Elm ist klein, groß ist die Kundschaft beim Dorfbäcker. Zeitungen liegen aus, Gurken- und Wurstgläser stehen im Regal. Einen Supermarkt gibt es in Elm nicht. Ein junger Elmer im Laden sagt: «Das Dorf wächst zusammen.» Eine weitere Kundin bezeichnet den Fall als traurig. Dann schweigt sie.

Im Dorf sagt ein Bewohner, er habe am Montagabend über die Dorf-App von dem Fall erfahren. Sirenen heulten. Die Menschen hätten sich am Gemeindehaus versammelt, sollten dann hineingehen, damit sie einen Hubschrauberpiloten nicht irritieren. Dann fing die Suche an. «Es ging durch die Wälder», sagt der Mann. Bis 5.00 Uhr oder 6.00 Uhr in der Früh habe man gesucht. «Jeder ist da, jeder geht mit.» So sei das in Elm, wo fast jeder jeden kennt.

Die Dorfbewohner sollen mittlerweile nur suchen, wenn sie dazu aufgefordert werden, sagt der Mann. Das habe mit den Spürhunden zu tun. Man soll die Fährte nicht zerstören. Auf dem Zettel, der an mehreren Stellen in Elm hängt, steht auch: «Bitte durchsucht in regelmäßigen Abständen intensiv nur Eure Grundstücke.» Die Dorfbewohner beteuern gleich, man mache das, keine Frage.

Bundeswehrsoldaten laufen an diesem Freitag bei der Suche durch das Dorf, auch Mülltonnen werden durchsucht, die Müllabfuhr fährt deshalb nicht. Dann ist Mittag, die Kirchenglocken läuten. Die Vögel zwitschern weiter. Es hat aufgehört zu regnen, Drohnenpilot Böttjer kann nun womöglich wieder starten. In Elm geben sie nicht auf. «Aufhören», das hört man immer wieder, wollen sie hier nicht.

dpa