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EM-Spielorte rechnen mit deutlich mehr Prostitution

Reden wir über Sex: Zur EM werden viele Fans an die Spielorte reisen. Auch mehr Zulauf für Sexarbeitende wird erwartet, zeigt eine dpa-Umfrage an Spielorten.

Die Einschätzungen, wie hoch die Nachfrage von Sexarbeitenden in EM-Spielstätten steigen wird, varriert.
Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Erst ins Stadion, dann ins Bordell? Die Polizei, Stadtverwaltungen und die Sexarbeitenden erwarten eine Zunahme der Nachfrage nach Prostitution während der Fußball-Europameisterschaft.

Allerdings variieren die Einschätzungen, wie hoch diese ausfallen dürfte. Keinen «riesengroßen Ansturm» der Freier, aber einen leichten Anstieg der Nachfrage erwartet Kolja-André Nolte vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen in Köln, nach eigenen Angaben mit fast 1000 Mitgliedern größter Verband seiner Art in Europa. «Wir verzeichnen bei unseren Mitgliedern keine Angst vor Überforderung, sondern eher eine Vorfreude auf ein paar mehr Kunden während der EM.»

Mehr Zulauf für Bordell- und Hotelprostitution

Dafür rechnet die Frankfurter Polizei mit einem signifikanten Anstieg der Zahl von Prostituierten in der Stadt. «Die Zunahme wird sich maßgeblich auf die Bordell- und insbesondere die Hotelprostitution auswirken», sagte ein Sprecher.

«Die Straßenprostitution ist in Frankfurt seit jeher deutlich unterrepräsentiert.» Zudem habe das Konzept Laufhaus grundsätzlich an Attraktivität für die Prostituierten verloren. Vielmehr bestehe weiterhin der pandemiebedingte Trend weg von organisierten Strukturen wie Bordelle oder Saunaclubs hin zu privateren Angeboten wie Escortservice, Hotels oder Terminwohnungen.

Die für die Prostitution, vornehmlich auf der Straße, zuständige Stadtpolizei – eine eigene Einheit neben der Frankfurter Polizei -, hat zwar keine Erkenntnisse, dass sich viele Prostituierte angekündigt hätten. «Es ist aber natürlich so, dass wir damit rechnen», sagte Leiter Matthias Heinrich. Man kenne das von anderen großen Events oder großen Messen. «Das ist ganz klar, dass das solche Dinge nach sich zieht».

Auch in Dortmund wird mit einer «hohen Auslastung der hier ansässigen Bordelle» gerechnet, so Pressereferent Christian Stein. Und die Stadt Stuttgart geht davon aus, dass mehr Prostituierte ihre Dienste anbieten werden – um einer erhöhten Nachfrage gerecht zu werden.

Gemeldete Prostituierte dürfen in ganz Deutschland arbeiten

Präzise Prognosen etwa auf Basis der amtlichen Registrierungen von Sexarbeitenden können die Städte nicht abgeben – «da die Anmeldungen nichts über den tatsächlichen Arbeitsort der Prostituierten aussagen», erklärt die Stadt Düsseldorf.

«Nach erfolgter Anmeldung ist eine Tätigkeit im ganzen Bundesgebiet möglich. Viele Prostituierte wechseln ständig zwischen mehreren Einsatzorten.» Auch in der Stadtverwaltung der Nachbarstadt gehe man davon aus, «dass ein möglicherweise kurzfristig erhöhtes Angebot an sexuellen Dienstleistungen in Köln nicht anhand der Anmeldezahlen abzulesen sein wird».

Eine Hausnummer nennt hingegen John Heer, Vorstandsvorsitzender des Verbandes deutscher Laufhäuser, für Stuttgart, wo er ein Laufhaus im Rotlichtviertel betreibt: Schätzungsweise 30 bis 40 Frauen arbeiten während des Turniers zusätzlich in der Stadt. «Aber wir bewegen uns dann natürlich wieder im Bereich der illegalen Prostitution», so Heer. Zum Vergleich: Die Stadt schätzt, dass sich sonst täglich rund 400 Menschen als Prostituierte in Stuttgart betätigen, vor allem Frauen.

Die Sorge ist da, dass auch Zwangsprostitution in großer Zahl stattfindet. Es werde im Ausland in einschlägigen Artikeln dafür geworben, «wie einfach und legal es ist, in Deutschland Frauen zu kaufen», sagte die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion und Gründerin des Parlamentskreises Prostitution und Pornografie, Leni Breymaier, kürzlich der «Rheinischen Post». Und weiter: «Wir können davon ausgehen, dass die Nachfrage auch während der Europameisterschaft nicht durch Freiwillige gedeckt werden kann und es deshalb noch mehr Zwangsprostitution geben wird.»

Verband: Große Messen sind besser fürs Geschäft als Fußball

Es wird deutlich, wie schwierig es ist, die Sexarbeit und die Anzahl der freiwilligen und insbesondere unfreiwilligen Beteiligten zu erfassen, wenn man sich die Diskussionen ansieht, die nun zum Beginn des Turniers 2024 aufkommen, mit Verweis auf die Weltmeisterschaft in Deutschland im Jahr 2006: Damals sollen eine mittlere fünfstellige Zahl von Zwangsprostituierten in Deutschland gearbeitet haben.

Der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen entgegnet allerdings: «Weder vor noch nach der Weltmeisterschaft 2006 fand eine nennenswerte Zunahme von Menschenhandel in Deutschland statt. Die «40.000 Opfer» gab es schlicht nicht.» Hinter den Falschmeldungen würden Befürworter eines grundsätzlichen Verbots der Prostitution stecken.

Verbandssprecher Nolte erklärt, dass große Messen grundsätzlich besser für das Geschäft sind als Fußballspiele. Obwohl viele Fan-Gruppen aus Männern bestehen, sind sie in der Regel nicht so vertraut miteinander, um gemeinsam ein Bordell zu besuchen. Messen sind mit vielen allein reisenden Männern und viel Zeit am Abend deutlich vorteilhafter für das Gewerbe.

Auch bei der Beratungsstelle für Prostituierte in Stuttgart gehe man nicht davon aus, dass mehr Prostituierte zur EM in die Stadt kommen werden, sagte Sachgebietsleiterin Christine Winzer. Zwar gebe es kaum verlässliche Zahlen, doch: «Die Kolleginnen sagen: Fußball und Prostitution passt nicht zusammen.» Die Männer kämen schlicht zum Fußball gucken.

Mehr Testmöglichkeiten und Aufklärung

Köln wird jedoch mehr Streetworker losschicken und das Gesundheitsamt Düsseldorf wird seine Testangebote für sexuell übertragbare Infektionskrankheiten an Spieltagen deutlich ausweiten. Die Frankfurter Stadtpolizei plant, Streifen gegen Straßenprostitution einzusetzen, die außerhalb der dafür vorgesehenen Toleranzzonen stattfindet.

Und aus Dortmund heißt es: «Um gerade auch die Frauen zu schützen, sind Veranstaltungen und Aufklärungskampagnen von ortsansässigen Organisationen sowie dem Gesundheitsamt geplant.» Der Bundesverband Nordisches Modell, der sich unter andere für die Beseitigung der Benachteiligung von Frauen in der Prostitution einsetzt, hat eine Kampagne initiiert: «#RoteKartefürFreier – für eine EM ohne Sexkauf». Sie appelliere an Männer und potenzielle Freier, «Fan zu sein, aber kein Freier zu werden».

dpa