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Gewalt in Partnerschaften: Männer als Opfer und Täter

Eine neue Studie zeigt, dass Männer oft Gewalt in Partnerschaften erleben. Viele Betroffene suchen jedoch keine Hilfe aus Scham oder Bagatellisierung.

Philipp Müller und Laura-Romina Goede sind Mitautoren der neuen Studie «Gewalt gegen Männer in Partnerschaften» des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN).
Foto: Christina Sticht/dpa

Wenn es in Familien zu Gewalt kommt, sind in den meisten Fällen Männer die Täter. Dies zeigen die überfüllten Frauenhäuser und die Fälle, die der Polizei gemeldet werden. Im Jahr 2022 waren bundesweit 78,3 Prozent der Tatverdächtigen bei Gewalt in Partnerschaften Männer. Doch auch sie können Opfer von Beziehungsgewalt werden, wie eine neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) zeigt.

In einer Online-Umfrage gaben mehr als die Hälfte – nämlich 54 Prozent – der befragten 18- bis 69-jährigen Männer an, bereits Gewalt in einer Partnerschaft erlebt zu haben. Fast 40 Prozent berichteten von psychischer Gewalt, 39 Prozent von Kontrollverhalten ihres Partners oder ihrer Partnerin und fast 30 Prozent von physischer Gewalt. 5,4 Prozent gaben an, sexuelle Gewalt erlebt zu haben, während 6,5 Prozent bereits digitale Gewalt erfahren hatten.

Keine klaren Täter-Opfer-Konstellationen

In dem Projekt wurden in einer Online-Umfrage knapp 12.000 Männer im Alter zwischen 18 und 69 Jahren kontaktiert, von denen 1209 teilnahmen. Eine wichtige Erkenntnis, so Mitautorin Laura-Romina Goede, ist, dass es in den meisten Fällen keine eindeutigen Täter-Opfer-Konstellationen gibt. Fast 75 Prozent der Befragten gaben an, sowohl schon einmal Täter als auch Opfer gewesen zu sein.

«Gewalt in Partnerschaften ist komplex, es gibt eine Dynamik», sagt die Kriminologin. Häufig beginne es mit übergriffigem Verhalten, Abwertungen und Schuldzuweisungen oder auch einer Isolation vom sozialen Umfeld. «Irgendwann waren dann die Grenzen so weit verschoben, dass es auch zu körperlicher Gewalt kam», beschreibt Mitautor Philipp Müller.

Die Forscher stellten fest, dass hauptsächlich Männer von weniger schweren Formen physischer Gewalt betroffen waren, wie z.B. Wegschubsen. Psychische Gewalt äußerte sich oft in Anschreien, Beschimpfungen und Beleidigungen.

Der Studie zufolge nahmen nur 7,9 Prozent der Befragten nach der Gewalterfahrung Kontakt zu Polizei oder Beratungsstellen auf. 59 Prozent derjenigen, die keinen Kontakt zu Behörden oder Beratungen suchten, gaben als Grund, dass sie die Gewalt als «nicht so schlimm» empfunden hätten.

Psychische Folgen

Jedoch haben scheinbar weniger schwere Formen von Gewalt oft auch ernsthafte Auswirkungen auf die Gesundheit. 66 Prozent der Betroffenen fühlten sich psychisch belastet, mehr als 40 Prozent berichteten von Stress, Anspannung und Gefühlen der Machtlosigkeit und Erniedrigung. Fast jeder fünfte Betroffene hatte Schlafstörungen und Alpträume.

«Wir plädieren daher für ein breiteres Verständnis von Gewalt, das über strafrechtlich relevantes Verhalten hinausgeht», betont Goede. Ständiges Abwerten und Schlechtmachen über Jahre hinweg könne massive psychische Folgen haben.

Wenn Männer Gewalt erleben, stehen sie oft vor anderen Problemen als Frauen. Das veranschaulichten auch 16 Interviews, die die Forschenden mit Betroffenen führten. Weil Gewalt gegen Männer ein gesellschaftliches Tabu ist, schätzten viele ihre Situation lange falsch ein oder suchten die Schuld bei sich selbst, erläutert Müller. «Ein Interviewpartner sagte mir: ‚Wenn ich mich nicht als Opfer von Gewalt empfinde, schalte ich auch nicht die Polizei ein.’»

Laut Müller blieben viele der befragten Männer trotz der Gewalterfahrung in der Familie, weil sie befürchteten, dass im Falle einer Trennung die Kinder bei der Mutter bleiben würden. Der Kriminologe berichtet, dass emotionale Abhängigkeiten eine wichtige Rolle spielten, insbesondere wenn man früh in einer Beziehung zusammengezogen und Kinder bekommen habe.

Mehr Hilfen gefordert

«Wir wollen mit unserer Studie nicht das Thema Gewalt gegen Frauen relativieren», betont Müller. Notwendig sei aber ein größeres Bewusstsein in der Gesellschaft darüber, dass auch Männer Opfer werden könnten. Zudem müssten spezielle Hilfsangebote ausgebaut werden.

Auch die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz setzt sich dafür ein. Jana Peters von der Koordinierungsstelle kritisiert, dass es bisher bundesweit nur 48 Plätze für Männer in Schutzeinrichtungen gibt. Nur in Sachsen gibt es eine Förderrichtlinie für solche Einrichtungen, während sie in einigen anderen Bundesländern Projektstatus haben. In den meisten Ländern gibt es bisher überhaupt keine speziellen Schutzeinrichtungen für Männer.

Peters plädiert dafür, Einrichtungen zu schaffen, in denen Männer auch gemeinsam mit ihren Kindern unterkommen können. 60 Prozent der Betroffenen hätten Kinder, oft trauten sie sich nicht, die Kinder mitzunehmen, wenn sie aus einer gewaltbelasteten Beziehung flüchteten. «Für die Kinder ist es aber total wichtig, aus dem gewaltvollen Umfeld herauszukommen», sagt Peters.

dpa