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Hoffen auf Zinssenkung – «Letzte Meile ist schwierigste»

Die Inflation im Euroraum ist nach dem Preisschock infolge des Ukraine-Krieges wieder auf dem Rückzug. Das eröffnet der EZB Spielräume – von Kreditnehmer ersehnt und von Sparern befürchtet.

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) entscheidet nun über den weiteren geldpolitischen Kurs.
Foto: Boris Roessler/dpa

Seit dem Ende der Nullzinsphase im Euroraum haben sich Kredite verteuert. Immobilienkäufer, Hausbauer und Unternehmen hoffen daher auf eine baldige Senkung der Leitzinsen. Trotz deutlich gesunkener Inflation haben die Euro-Währungshüter die Zinszügel bislang nicht gelockert. Heute wird der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) über den weiteren geldpolitischen Kurs entscheiden.

Wie entwickelt sich die Inflation?

Nach den Rekordhöhen infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat sich die Inflation im gemeinsamen Währungsraum der 20 Staaten mittlerweile deutlich abgeschwächt. Laut einer ersten Schätzung von Eurostat stiegen die Verbraucherpreise im März im Vergleich zum Vorjahresmonat um 2,4 Prozent. Im März 2023 betrug die Inflationsrate noch 6,9 Prozent.

«Einziger Wermutstropfen bleibt die hartnäckig hohe Preisdynamik bei Dienstleistungen», sagte NordLB-Chefvolkswirt Christian Lips zu den aktuellen Zahlen. «Hier kommt den bevorstehenden Lohnabschlüssen eine hohe Bedeutung zu, weshalb die EZB noch neue Daten zur Lohnentwicklung abwarten will.»

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer mahnt: «Im Kampf gegen die Inflation ist die letzte Meile die schwierigste.» Die EZB strebt mittelfristig eine jährliche Inflationsrate von zwei Prozent an. Bei diesem Wert sehen die Währungshüter Preisstabilität gewährleistet. Höhere Teuerungsraten schmälern die Kaufkraft von Verbrauchern. Sie können sich dann für einen Euro weniger leisten. 

Warum zögert die EZB bislang mit Zinssenkungen?

Um die zeitweise hohe Inflation in den Griff zu bekommen, hatten die Währungshüter im Juli 2022 die Jahre der Null- und Negativzinsen beendet und die Zinsen zehnmal in Folge erhöht. Die Inflation nähert sich inzwischen dem 2-Prozent-Ziel, doch die Notenbank möchte sichergehen, dass die Gefahr stark steigender Preise tatsächlich gebannt ist. Die jüngste Entwicklung der Teuerungsrate mache die Währungshüter zuversichtlicher, aber «nicht hinreichend zuversichtlich», hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde nach der Ratssitzung im März gesagt. 

Nach Einschätzung von BVR-Chefvolkswirt Andreas Bley spricht vieles für eine im Trend weiter sinkender Inflation, die Unsicherheiten blieben aber hoch. Die Energiepreise stiegen aktuell wieder und die Löhne wüchsen kräftig. Daher sollte die EZB jeden weiteren Zinsschritt von der Datenlage abhängig machen. «Ein Auf und Ab des Leitzinses würde zu einer starken Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Finanzmärkte führen.»

Was bedeuten die Entscheidungen der EZB für Sparer?

Seit ihrem Höhepunkt gegen Ende des letzten Jahres sind die Festgeldzinsen laut Daten des Vergleichsportals Verivox bereits deutlich gesunken. Bundesweit verfügbare Festgeldanlagen mit einer Laufzeit von zwei Jahren bringen derzeit im Durchschnitt 2,89 Prozent (Stand: 5. März), Anfang Dezember waren es noch 3,36 Prozent.

Eine Leitzinssenkung im Sommer sei in den aktuellen Festgeldkonditionen schon weitgehend eingepreist, erläuterte Verivox-Experte Oliver Müller. «Sollten die Währungshüter angesichts der gesunkenen Inflation im Euroraum nicht nur eine, sondern sogar zwei Leitzinssenkungen in Aussicht stellen, könnten die Festgeldzinsen noch tiefer in den Keller gehen.»

Gespartes wird auf einem Festgeldkonto für einen festgelegten Zeitraum angelegt. Während dieser Zeit haben Sparer keinen Zugriff auf ihr Geld und die Konditionen der Geldhäuser können nicht geändert werden. Daher versuchen Finanzinstitute, die erwartete Zinsentwicklung im Voraus zu berücksichtigen.

Beim Tagesgeld stagnieren die Zinsen bundesweit verfügbarer Angebote den Verivox-Daten zufolge bei durchschnittlich 1,75 Prozent. «Perspektivisch rechnen wir auch beim Tagesgeld mit sinkenden Zinsen», sagte Maier. Die Zinsen für täglich verfügbare Einlagen können die Kreditinstitute jederzeit ändern und an die aktuelle Marktlage anpassen. 

Was bedeuten sinkende Zinsen für Kreditnehmer?

Deka-Bank-Chefvolkswirt Ulrich Kater hält eine Leitzinssenkung im Euroraum wie viele andere Volkswirte ab Juni für wahrscheinlich. «Konsumkredite oder Baufinanzierungen werden allerdings nicht mehr viel billiger werden, da hier bereits eine Reihe von künftigen Zinssenkungen in den heutigen Konditionen vorweggenommen sind», sagt Kater. Nach Daten der FMH-Finanzberatung werden beispielsweise für zehnjährige Baukredite derzeit im Mittel 3,48 Prozent pro Jahr fällig (Stand: 8. April) – Ende Oktober waren es noch über vier Prozent. 

Wie hängen Zinsen und Konjunktur zusammen?

Höhere Zinsen führen zu steigenden Kreditkosten, was die Nachfrage drosseln kann. Dies trägt zur Senkung der Inflationsrate bei. Gleichzeitig belasten teurere Kredite die Wirtschaft, da sich investitionsfinanzierte Kredite verteuern. Einige Unternehmen überdenken daher ihre Investitionen. Sowohl private Hausbauer als auch große Investoren zögern mit Bauprojekten. Neben anderen Faktoren wie beispielsweise einem schwächeren Welthandel kann dies die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum beeinträchtigen.

Die Konjunkturaussichten für den gemeinsamen Währungsraum hatten sich zuletzt verschlechtert. Die EZB sagte in ihrer jüngsten Prognose im März 0,6 Prozent Wachstum für dieses Jahr voraus, im Dezember waren noch 0,8 Prozent erwartet worden. Aufgrund der Konjunkturschwäche wurden Forderungen nach baldigen Zinssenkungen laut.

dpa