Gegen Italien soll die Nationalmannschaft Titelreife demonstrieren. Doch dem Bundestrainer ist fast die ganze Offensive weggebrochen. Spekuliert wird über besondere Namen, aber Nagelsmann blockt ab.
Ausfälle und Zeitdruck: Nagelsmanns schwerer Italien-Plan
Kein Florian Wirtz. Kein Kai Havertz. Und schon lange kein Torgarant Niclas Füllkrug mehr. Wenn Julian Nagelsmann sein Personaltableau für den Knaller-Start der Fußball-Nationalmannschaft ins Länderspieljahr gegen Italien zusammenstellt, klaffen vor allem in der Offensive bedenkliche Lücken. Ein Großteil der umjubelten EM-Angriffsformation – also alle außer Jamal Musiala – muss der Bundestrainer beim brisanten K.o.-Doppelpack in der kommenden Woche ersetzen.
Und das sind keineswegs die einzigen Probleme. Auch im defensiven Mittelfeld sieht es für den Bundestrainer nicht gut aus. Alexander Pavlovic ist erneut langfristig krank, Robert Andrich war zuletzt bei Bayer Leverkusen krank und zuvor oft nur Ersatzspieler. Es wird bereits über ein mögliches Comeback von Leon Goretzka spekuliert, der seit über einem Jahr aus dem Team verbannt ist, obwohl es dazu keine Signale aus dem DFB-Umfeld gibt.
Kein Kontakt mit Goretzka
«Ich bin nicht im Kontakt mit Julian», sagte Goretzka vor dem Achtelfinal-Rückspiel des FC Bayern bei Bayer Leverkusen. «Es ist ja kein Geheimnis, dass ich jedes einzelne meiner Länderspiele mit großem Stolz gemacht habe und mir natürlich auch wünschen würde, dass da noch welche dazukommen», fügte der 30-Jährige an. Also wohl auch kein Goretzka.
Die Liste öffentlich gehandelter Ersatz-Kandidaten für diverse Positionen wurde zuletzt jedenfalls lang und länger. Nagelsmann selbst sprach vorerst noch mehr über ein anderes Problem. «Wir haben nur wenig Zeit. Wir haben praktisch nur ein richtiges Training», beschrieb er schon Ende Januar beim Festakt zum 125. DFB-Geburtstag in Leipzig die Ausgangslage für den sehr kurzen Vorlauf zu den Viertelfinals in der Nations League gegen die Squadra Azzurra, in denen der Sprung zum Finalturnier im Juni gelingen soll.
Im Januar konnte der 37-Jährige noch mit einem Glas Rotwein in der Hand recht entspannt seine Vertragsverlängerung bis zur EM 2028 feiern. Doch die für den ehrgeizigen Trainer viel zu lange viermonatige Winterpause ist nun vorbei. Plötzlich wird die Zeit knapp und Entscheidungen müssen getroffen werden. Nicht nur für die vorderen Positionen. Mit Spannung wird erwartet, welche Antworten Nagelsmann bei seiner Kaderbekanntgabe am Donnerstag (11.00 Uhr) geben wird.
Akuter Zeitmangel für den Bundestrainer
Zeit- und Personalprobleme sind dabei für den Bundestrainer miteinander verquickt. Er hat schlicht keine Chancen, möglichen Debütanten seine Idee im Schnelldurchlauf zu vermitteln. Soll heißen: Wer die Abläufe beim DFB-Team schon kennt, hat klare Vorteile. «Das ist der kürzeste Lehrgang, den wir haben, da können wir gar nicht viel verändern», erklärte Nagelsmann. «Wir können in zwei Einheiten den Plan gegen die Italiener trainieren, so 20 Minuten jeweils», sagte er im Interview der «Frankfurter Allgemeine Zeitung».
Potenzielle Neulinge wie Nick Woltemade, Stürmer aus Stuttgart, oder Mika Biereth, der bei der AS Monaco durchstartet und auch für Dänemark, England oder Bosnien-Herzegowina spielen könnte, wären auf dem Personalbogen eine große Überraschung.
Wenn Nagelsmann seinen Routine-Bonus konsequent anwendet, wäre logischerweise auch BVB-Reservist Waldemar Anton in der Abwehr eher dabei als der junge Yann Aurel Bisseck, der von Inter Mailand neben guter Form auch Italien-Expertise mitbringen könnte.
Vakante Offensiv-Slots
Bei West Ham United steht Füllkrug nach Monaten endlich wieder auf dem Trainingsplatz. Gladbachs Tim Kleindienst hat sich als Option ganz vorne bewährt. Doch wer soll die verletzten Wirtz und Havertz ersetzen? Sicher dabei sind Musiala und Kleindienst sowie die Stuttgarter Chris Führich und Deniz Undav und Bayerns Leroy Sané. Es bleiben mindestens drei vakante Offensiv-Slots.
Nadiem Amiri wird gute Chancen eingeräumt. Er spielte zwar zuletzt 2020 noch unter Bundestrainer Joachim Löw für Deutschland, aber er trumpft gerade mit Mainz 05 mächtig auf. Sein Club-Kollege Jonathan Burkhardt steht auf dem Zettel von Nagelsmann. Jamie Leweling könnte nach seinem tollen Tor-Debüt gegen Holland (1:0) im Oktober zurückkehren. Karim Adeyemi ist einer der wenigen Dortmunder Lichtblicke. Sein BVB-Kollege Maximilian Beier fiel zuletzt deutlich ab. Beide könnten auch noch für die U21 spielen.
Nagelsmann plant keine Veränderungen mit Joshua Kimmich. Der Kapitän muss aufgrund fehlender Alternativen weiterhin hinten rechts spielen, obwohl es auch in der Sechser-Zentrale klemmt.
«Ich muss abwägen: Was ist die kleinere, was ist die größere Baustelle? Aktuell sehe ich noch keinen stabileren Rechtsverteidiger als Josh, erst recht nicht nach der Verletzung von Benny Henrichs. Auf der Sechs habe ich Pascal (Groß), Angelo (Stiller), Pavlo (Aleksandar Pavlović), wenn er fit ist, Rob (Andrich), Felix (Nmecha) und weitere Kandidaten. Das ist die kleinere Baustelle. Deswegen halte ich auch erst einmal daran fest», sagte er der «FAZ».
Nagelsmann muss noch eine weitere Entscheidung treffen. Oliver Baumann oder Alexander Nübel? Wer wird in Abwesenheit von Marc-André ter Stegen die Nummer Eins auf Teilzeitbasis? Nach den Leistungen im Oktober und November scheint es, als hätte der gerade genesene Hoffenheimer Baumann die Nase vorn. Der Bundestrainer wird am Donnerstag Antworten geben.