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Winterwahlkampf in Deutschland: Politiker kämpfen bei eisigen Temperaturen

Karl Lauterbach und andere Politiker trotzen der Kälte mit langen Mänteln, Handwärmern und heißen Getränken, um im Straßenwahlkampf präsent zu sein.

Das politische Berlin muss erstmals einen Wahlkampf im Winter meistern (Archivbild).
Foto: Jan Woitas/dpa

Deutschland ist nicht mehr so geübt im Winterwahlkampf, da in den letzten 30 Jahren alle Bundestagswahltermine im Herbst oder Spätsommer lagen. Das unerwartete Bibbern betrifft sowohl Wahlkämpfer als auch Wähler.

Der letzte richtige Winterwahlkampf war 1987

Der Wahlkampf mit kalten Füßen liegt lange zurück. 1983 wurde der Bundestag nach dem Bruch der sozialliberalen Koalition von Helmut Schmidt am 6. März in vorgezogenen Neuwahlen gewählt, vier Jahre später am 25. Januar 1987 und dann erneut am 2. Dezember 1990.

Der letzte echte Winterwahlkampf war 1987 – zu dieser Zeit waren Teile der Republik unter Eis und Schnee begraben, an Wahlkampfständen wurden Schals und Eiskratzer verteilt.

Am Wahltag selbst fragte die «Hamburger Morgenpost» sogar: «Fällt die Wahl aus?» Das geschah nicht, doch die Wahlbeteiligung sackte von 89 auf 84 Prozent ab. 

Der Winterwahlkampf hatte insgesamt eine so abschreckende Wirkung, dass der Wahltermin fortan konsequent immer weiter nach vorn gezogen wurde, bis er wieder im September lag – ideal zwischen Sommerferien und Herbstbeginn.

Karl Lauterbach hat sich Funktionsunterwäsche gekauft

Karl Lauterbach macht der derzeitige Winterwahlkampf zu schaffen. «Ich bin eigentlich eine Frostbeule und von daher ist dieser stetige Straßenwahlkampf bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt keine Freude für mich», gestand der Bundesgesundheitsminister der Deutschen Presse-Agentur.

«Gegen die Eiseskälte habe ich mir extra einen dicken langen Wintermantel und Funktionsunterwäsche gekauft», sagt der Minister. Dazu gehörten lange Unterhosen aus Gewebe, das extra warm halte. «Außerdem habe ich zum ersten Mal in meinem Leben mit Handwärmern gearbeitet.» 

Am vergangenen Samstag habe er in seinem Wahlkreis in Leverkusen vier Stunden an einem Stück am SPD-Wahlkampfstand ausgeharrt. «Das geht nur, wenn ich dabei ganz viel heißen Kaffee trinke.» Auch Bewegung sei wichtig, um in Form zu bleiben. Deshalb spiele er regelmäßig Tischtennis, unter anderem mit seinem Freund Günter Wallraff. 

Im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen im Sommer oder Herbst sei es jetzt auf jeden Fall schwieriger, mit den Wählerinnen und Wähler ins Gespräch zu kommen. Um dennoch Begegnungen möglich zu machen, organisiere er Townhall-Veranstaltungen etwa in einem Bistro, einem Kulturbunker und einem Kinosaal. «Aber es bleibt dabei: Winter ist eine suboptimale Zeit für einen Bundestagswahlkampf. Sommer-Wahlkampf ist schöner.» 

Witterungsverhältnisse wie bei Shakespeare

„Während Spitzenpolitiker wie Lauterbach irgendwann wieder ins politische Berlin zurückdüsen, stehen die normalen Parteimitglieder oft tagelang draußen in der Kälte. Einige beschweren sich darüber, dass die Kabelbinder, mit denen die Wahlplakate befestigt werden, bei Kälte schneller brüchig werden.“

Insgesamt gestaltet es sich schwieriger, mit Wählerinnen und Wählern ins Gespräch zu kommen, da weniger Leute auf der Straße sind. Grill- und Sommerfeste entfallen, in Bayern muss der Wahlkampf ohne Bierzelt auskommen.

Das alles ist dem Zulauf nicht unbedingt förderlich. Bei manchen Wahlkampfveranstaltungen hätten die Beteiligten aus Shakespeares «König Lear» zitieren können: «Wer ist da, außer schlechtem Wetter?» 

Psychologe: Wähler sind noch im Winterschlaf 

Aus psychologischer Sicht ist der Winter nicht unbedingt geeignet, um miteinander ins Gespräch zu kommen. «Im Dezember verabschieden wir uns meist erst einmal in eine Art seelischen Winterschlaf», sagt Psychologe Stephan Grünewald, Leiter des Kölner Rheingold-Instituts. «Zunächst wird man von der Weihnachts-Hektik beschlagnahmt, das Fest selbst ist dann mit einer gewissen harmonisierenden Weltabgewandtheit verbunden, und die Zeit zwischen den Jahren ist ein ausgedehntes Nirwana – eine Periode, in der man sich auf sich selbst und den engsten Familienkreis fokussiert.» Anschließend sei man dann erst einmal mit dem (Nicht-)Einhalten guter Vorsätze beschäftigt. Erst Ende Januar öffne sich wieder ein Tor für die Aufmerksamkeit.

«Die Chance eines Wahlkampfs ist ja auch immer, dass wir durchlässig werden und uns die Argumente und Perspektive der anderen erreichen», sagt Grünewald. Die Winter-Verfassung schaffe aber eine gewisse Undurchlässigkeit: «Wir legen uns ein dickes Fell zu und ziehen uns in unsere Höhle zurück. Das macht einen Austausch schwierig.» 

In mehreren Corona-Studien habe das Rheingold-Institut zudem festgestellt, dass sich die gefühlte Jahreszeiten-Rhythmik seit 2020 noch verstärkt habe. Das komme dadurch, dass die Infektionszahlen während der Corona-Zeit zu Beginn des Winters immer sprunghaft angestiegen seien und es in der Folge dann zu Lockdowns und abendlichen Ausgangssperren gekommen sei. «Man wartete dann wirklich auf das Frühjahr, um aus dem Haus und aus sich selbst herauszugehen. Nun ist Corona nicht mehr so präsent, sitzt aber immer noch im unbewussten Bio-Rhythmus der Menschen fest.»

Dementsprechend hätten im Dezember und Januar viele Wahlkämpfer die Erfahrung gemacht, dass der Parteien-Wettstreit die Wähler kaltlasse. Die derzeitige Überhitzung des Wahlkampfs mit scharfen gegenseitigen Angriffen sei auch eine Gegenreaktion darauf, um die Wähler doch noch aufzurütteln. «Die Massendemonstrationen zeigen, dass das zu gelingen scheint.»

Wahlkampf im Karneval – ganz schön anstrengend

Die Parteien im Rheinland haben Probleme, Säle für Wahlkampfveranstaltungen zu finden, da diese bereits lange im Voraus für Karnevalssitzungen reserviert sind.

Aber auch für die Büttenredner und Komiker ist es herausfordernd, dass wenige Tage vor Weiberfastnacht gewählt wird. «Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so etwas in 33 Jahren schon mal erlebt habe», sinniert TV-Entertainer Guido Cantz, einer der gefragtesten Redner im Kölner Karneval. «Ich muss natürlich meine Hausaufgaben machen und aktuell und spontan sein.» 

Der nächste Winterwahlkampf kommt bestimmt

Es wird wahrscheinlich nicht das letzte Mal sein, dass im Winter Wahlkampf geführt wird. Wenn die nächste Regierung nicht erneut vorzeitig scheitert, wird auch in vier Jahren wieder im Winter gewählt.

dpa