Eine Region voller Geschichte und kulinarischer Köstlichkeiten – das Sauerland hat mehr zu bieten als man denkt.
Das Sauerland: Von Politikern und Legenden
Der wahrscheinlich nächste Bundeskanzler ist Sauerländer. Und zwar offensiver Sauerländer. Friedrich Merz warb im Wahlkampf selbst damit, dass er «mehr Sauerland wagen» wolle. Auch von außen wird er stark mit seiner Heimatregion in Verbindung gebracht: «Friedrich Merz ist sicher jemand, der eher das Sauerland verkörpert», sagt zum Beispiel Angela Merkel. Der Sauerländer selbst würde sagen: Friedrich Merz ist «von da wech». Im Sinne von: Kommt da her. Aber was und wie ist das überhaupt, dieses Sauerland?
Imageproblem Name
Wenn das Sauerland ein Problem hat, dann ist es sein Name. Sauerland – das klingt nach einem Land der Miesepetrigkeit. Dabei hat die Bezeichnung mit der heutigen Bedeutung des Wortes wohl gar nichts zu tun. Eher schon – ganz genau weiß man es nicht – mit «sumpfig» oder «südlich».
Letzteres käme dann daher, dass die Region schon im Mittelalter südlich mehrerer größerer Städte wie Dortmund, Soest, Münster und Paderborn gelegen war. Sauerland gleich Südland – das klingt fast schon nach der berühmten «Terra Australis Incognita», dem unbekannten Südland, das Seefahrer jahrhundertelang vergeblich gesucht haben. Aber in Westfalen haben sie eben nie nachgesehen.
Söhne des Sauerlands
Bereits zwei Sauerländer haben es vor Friedrich Merz an die politische Spitze geschafft: Heinrich Lübke (1894-1972), der zweite Bundespräsident, und Franz Müntefering (85), ehemals SPD-Chef und Vizekanzler. Lübke, gebürtig aus Enkhausen im Hochsauerlandkreis, ist vor allem für seinen ungewöhnlichen Umgang mit der englischen Sprache («Lübke-Englisch») bekannt. Dies führte sogar zu einer erfolgreichen Langspielplatte mit dem Titel «Heinrich Lübke redet für Deutschland».
Sein bekanntestes Zitat «Equal goes it los» – Gleich geht’s los – soll allerdings von einem Journalisten erfunden worden sein. Müntefering, genannt «Münte», galt aufgrund seiner wortkarg-knorrigen Art als Verkörperung des Sauerländers schlechthin. Ein unvergessenes Zitat von ihm lautet: «Da reicht Volksschule Sauerland.»
Der ewige Winnetou
In den 70er und 80er Jahren brachte Pierre Brice der Naturbühne in Elspe im Sauerland bundesweite Berühmtheit. Im cremefarbenen Fransenanzug ritt der schöne Bretone zu Martin Böttchers über Lautsprecher eingespielter Filmmelodie den Festspielhügel hinunter und verkündete in stark französisch eingefärbtem Deutsch: «Isch ‚abe gesprochen!»
Pierre Brice ist mittlerweile verstorben, aber ansonsten hat sich in 50 Jahren praktisch nichts verändert. Wie lange dies angesichts des rasch voranschreitenden Bedeutungsverlusts von Karl May und der zunehmenden Kritik am I-Wort noch funktionieren kann, ist die Frage.
Zunächst jedoch bietet Elspe seinem treuen Publikum einen Winnetou ohne Veränderungen: Der Apache sei edel, hilfsbereit und gut. Friedrich Merz wäre sicherlich der Letzte, der damit ein Problem hätte.
Die Sage vom mangelnden Fingerspitzengefühl
Das «Land der 1000 Berge» mit seinen schwarzen Märchenwäldern ist besonders reich an Sagen und Legenden. Viele davon drehen sich um die «Hollen», die Unterirdischen, eine Art Heinzelmännchen. Sie werden als sehr soziale Wesen beschrieben, so sollen die Sauerländer früher ihre Kinder bei ihnen zum Aufpassen abgegeben haben, bevor sie zum Arbeiten aufs Feld gingen. Sozusagen eine Gratis-Kita, die Helferlein erwarteten für ihre Schichten nicht mehr als ein Schüsselchen Milch.
Einmal, als ein frecher Bauer ihre Milch trank, verschwanden die Hollen für immer im Berg. Es wird auch erzählt, dass sie im Wald spielende Kinder sogar mit Gold beschenkten, was dazu führte, dass die Eltern mit Schaufel und Spitzhacke loszogen, um das Edelmetall abzubauen. Auch darauf reagierten die Hollen mit sofortigem Kontaktabbruch. Daher könnte man schlussfolgern, dass der Sauerländer manchmal das nötige Feingefühl vermissen lässt.
Het Sauerland als Sehnsuchtsziel
Das Sauerland ist für Niederländer das am schnellsten erreichbare Mittelgebirge. Diese Tatsache macht die Region vor allem im Winter sehr beliebt. Einige Hotels haben sich schon seit vielen Jahren auf Gäste aus dem Nachbarland spezialisiert, mit niederländischem Fernsehen, niederländischer Musik und niederländischem Essen (Hagelslag-Streusel, Frikandeln).
Im Sauerland kann man «ultiem genieten», heißt es in niederländischen Medien – die deutsche Region steht für ultimativen Genuss. Besonders beliebt: «Kerstsfeer opsnuiven in Sauerland» – weihnachtliche Atmosphäre aufsaugen.
Die Wetterlage wird mitunter genauer verfolgt als in Deutschland selbst: «Sauerland: Blijft de winter kwakkelen?» («Bleibt der Winter unbeständig?») heißt es dann. Oder auch: «Dik pak sneeuw onderweg naar het Sauerland» – ein dicker Packen Schnee ist unterwegs. Der Perspektivwechsel zeigt: Das Sauerland kann ein klassisches Sehnsuchtsziel sein.
Bauernhof und Big Business
Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass das Sauerland ausschließlich aus Wiesen, Wäldern und einer Kuh pro Einwohner besteht. Dazu beigetragen haben könnte die Band Zoff, die in einem populären Lied («Sauerland») mal allerlei rätselhafte Ortsangaben aus der Region in einen Mitgröl-Text goss («Mein Herz schlägt für das Sauerland, vergrabt mein Herz im Lennesand, wo die Mädchen noch wilder als die Kühe sind», «In einer Baracke in Kalberschnacke, da übt die Kapelle der Feuerwehr»).
Davon sollte man sich aber nicht täuschen lassen: Im Sauerland wird auch tüchtig industriell produziert. Die örtliche Industrie- und Handelskammer zählt diverse Weltmarktführer auf – etwa für «Maschinen für das Fertigungsverfahren der gesteuerten rollierenden-Umformtechnik», Beutel-Verschlüsse und in der Fahrtreppenindustrie. Wenn jemand weiß, wie es ist, die Treppe einmal runter- und wieder hochzufahren, dann vermutlich Friedrich Merz. Also politisch.
Die Dicken Sauerländer kann man essen
Wer durch eine Galerie mit bekannten Spezialitäten aus dem Sauerland blättert, könnte bereits beim Lesen eine gewisse Kurzatmigkeit entwickeln – es handelt sich um deftige und fleischlastige Gerichte.
Ein beliebtes Gericht ist beispielsweise Potthucke, ein mit Fleisch gefüllter und gebackener Kartoffelteig. Vielleicht hat auch schon jemand in Dicke Sauerländer gebissen – klingt nach Kannibalismus, ist aber der Name von Bockwürsten in einer Konservendose.
Zusammenfassend kann man sagen: Wer die Sauerländer Küche erfolgreich verdaut, zeigt definitiv Standhaftigkeit – eine Eigenschaft, die auch in der Politik wichtig ist.