Nach monatelangen Bemühungen gibt es endlich eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas. Die Zukunft bleibt jedoch ungewiss.
Frieden im Gazastreifen: Hoffnung nach langem Krieg
Der Krieg im Gazastreifen dauert seit über einem Jahr an, Tausende Menschen wurden getötet, das Küstengebiet ist größtenteils zerstört. Der Konflikt hat massive Auswirkungen in der Nahost-Region. Nach langen Bemühungen der USA, Ägyptens und Katars wurde endlich eine Waffenruhe zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas erreicht. Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten zu dieser Vereinbarung:
Was bedeutet das Abkommen für Israel – und was für die Hamas?
Falls die zunächst für sechs Wochen vereinbarte Waffenruhe auch ein dauerhaftes Ende des Krieges einleiten sollte, ist es unwahrscheinlich, dass es wirkliche Gewinner unter den Konfliktparteien geben wird. Weder hat Israel sein Kriegsziel erreicht, die Hamas vollständig zu zerstören, noch werden im Rahmen dieses Abkommens sofort alle Geiseln aus dem Gazastreifen befreit.
Die islamistische Hamas hat ihre wichtigsten Anführer und die Kontrolle über den Gazastreifen verloren, den sie seit 2007 beherrscht. Die Zukunft ihres Kampfes gegen Israel ist unsicher.
Die größten Verlierer und Leidtragenden des Krieges sind zweifellos die Hunderttausenden betroffenen Zivilisten in Gaza sowie die Geiseln und ihre Angehörigen. Für sie alle bedeutet das Abkommen nun etwas Hoffnung.
Auch die israelische Gesellschaft ist durch das Massaker der Hamas und anderer Extremisten in Israel vom 7. Oktober 2023 und vom längsten Krieg in der Geschichte des Staates gespalten und traumatisiert. Die Hoffnung vieler Israelis, dass man die Palästinenser mit ihren Forderungen nach einem eigenen Staat einfach ignorieren kann, hat sich als trügerisch erwiesen.
Des Weiteren hat das Ansehen Israels in vielen Teilen der Welt stark gelitten. Es ist unklar, ob in der zweiten Phase des Abkommens eine Einigung über die Freilassung der verbleibenden Geiseln erzielt wird. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sieht sich daher Vorwürfen ausgesetzt, dass er mit dem aktuellen Abkommen die restlichen Geiseln im Stich gelassen habe.
Wie stabil ist das Abkommen?
Die Vereinbarung steht auf unsicheren Beinen – schon allein, weil sich Israels Regierung und die Hamas geschworen haben, einander zu vernichten. Angesichts des tiefen Misstrauens ist unklar, ob beide Seiten sich über Wochen an die vereinbarten Schritte halten werden und ob bestimmte Passagen unterschiedlich interpretiert werden. Der Ausgang der Verhandlungen in den nächsten Phasen des Abkommens über ein dauerhaftes Ende des Krieges und einen Abzug Israels aus dem Gazastreifen ist ebenfalls unsicher.
Beobachter warnen daher davor, dass nach der ersten Phase der Waffenruhe die Kämpfe wieder aufflammen könnten – insbesondere da es auf beiden Seiten Befürworter einer Fortsetzung des Krieges gibt. Auf der anderen Seite gibt es in der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza sowie in Israel einen starken Wunsch, dass die Waffen nach 15 Monaten Krieg endlich schweigen.
Netanjahu verursachte auch mit einer knappen Erklärung in der Nacht Verwirrung. Sein Büro teilte mit, dass er erst nach abschließender Klärung letzter Details eine Erklärung zur Waffenruhe abgeben wolle. Es wurde jedoch erwartet, dass das Sicherheitskabinett und anschließend die gesamte israelische Regierung an diesem Donnerstag zustimmen würden. In den vergangenen Monaten wurde Netanjahu während der indirekten Verhandlungen vorgeworfen, dass er wiederholt Chancen für ein Abkommen über eine Waffenruhe in letzter Minute verstreichen ließ.
Wie läuft die Freilassung der Geiseln jetzt ab?
Innerhalb von sechs Wochen sollen zunächst 33 der verbleibenden 98 Geiseln, die in der Gewalt der Hamas sind, freigelassen werden. Zu dieser ersten Gruppe gehören Frauen – darunter Soldatinnen – sowie zwei Kinder unter fünf Jahren, ältere und kranke Personen. Laut Medienberichten befinden sich darunter auch zwei Israelis, die seit über zehn Jahren im Gazastreifen festgehalten werden.
Es bleibt unklar, wie viele der Geiseln, die während des beispiellosen Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt wurden, noch am Leben sind. Israelische Krankenhäuser haben sich auf die Aufnahme von zutiefst traumatisierten und teilweise auch kranken und verletzten Geiseln vorbereitet. Am 16. Tag der Waffenruhe sollen laut Plan die Verhandlungen über die zweite Phase – und damit die Freilassung der restlichen Entführten – beginnen.
Kommt jetzt endlich mehr Hilfe in den Gazastreifen?
Zumindest hoffen die Zivilisten und Hilfsorganisationen darauf, Zugang zum von Israel abgeriegelten Küstengebiet zu erhalten. Der Grenzübergang Rafah zwischen Gaza und Ägypten, der seit acht Monaten geschlossen ist, könnte bereits am Donnerstag wieder geöffnet werden. Ein Vertreter des ägyptischen Roten Halbmonds im Nord-Sinai gab bekannt, dass rund 600 Lastwagen mit Hilfsgütern zur Einfuhr bereitstehen.
Die humanitäre Situation in Gaza ist extrem schlecht. Gemäß den UN-Angaben leiden über 90 Prozent der palästinensischen Bevölkerung unter starkem Hunger. Es mangelt an Wasser, Unterkünften, Medikamenten und alltäglichen Notwendigkeiten. Berichten zufolge sollen gemäß einer Vereinbarung täglich 600 Lastwagen mit Hilfsgütern nach Gaza gebracht werden. Aufgrund von Kämpfen, Plünderungen, israelischen Beschränkungen und einem Mangel an Lastwagen und Fahrern gelangen zuletzt viel weniger Hilfsgüter nach Gaza als erforderlich.
Kann in Gaza der Wiederaufbau beginnen?
Es ist noch zu früh dafür. Laut US-Präsident Joe Biden soll der Wiederaufbau erst in der dritten Phase der Waffenruhe beginnen – also nach Phase zwei, in der alle verbliebenen Hamas-Geiseln freigelassen werden sollen. Ägypten hat eine internationale Konferenz zum Wiederaufbau in Aussicht gestellt. Bevor jedoch ein möglicher Termin, die Liste der Teilnehmer oder finanzielle Zusagen festgelegt werden können, müssen noch viele Hürden in dem Konflikt überwunden werden. Es besteht das Risiko, dass neue Kämpfe ausbrechen könnten.
Zudem ist unklar, wer in Zukunft das weitgehend zerstörte Küstengebiet regieren wird. Israel und die Hamas haben sehr unterschiedliche Ansichten. Israel lehnt eine weitere Herrschaft der Hamas entschieden ab und droht damit, den Kampf wieder aufzunehmen, bis die Macht der bereits stark dezimierten Terrororganisation endgültig gebrochen ist. Die Hamas fordert hingegen eine Garantie, dass der Krieg endet – vermutlich um sich neu zu organisieren und ihre alte Machtposition zurückzugewinnen. Oder um erneut aufzurüsten, wie es Israels Rechte befürchten.
Antony Blinken, der scheidende US-Außenminister, hat kürzlich einen Plan für die Zukunft des Gazastreifens mit den folgenden Kernprinzipien vorgestellt: “Zum einen ist eine von Palästinensern geführte Regierung erforderlich, die den Gazastreifen mit dem Westjordanland vereint und der örtlichen Autonomiebehörde unterstellt ist. Zum anderen darf es langfristig keine militärische Besetzung des Gazastreifens durch Israel geben, auch keine Verkleinerung des Gazastreifens oder Versuche, ihn nach dem Konflikt zu belagern oder zu blockieren.”
Haben Donald Trumps Drohungen gewirkt?
Der kommende Machtwechsel in Washington scheint ein Faktor für die Fortschritte in den Verhandlungen gewesen zu sein. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat zwar immer zu Israel gestanden, aber auch zunehmend Kritik an der Kriegsführung in Gaza geübt. Sein designierter Nachfolger Donald Trump hingegen ist als Verbündeter Netanjahus bekannt und es ist fraglich, wie stark seine Regierung die israelische in die Schranken weisen wird. Seine Drohungen an die Hamas, im Nahen Osten werde ohne Freilassung der Geiseln bis zu seiner Amtseinführung «die Hölle losbrechen», waren vor diesem Hintergrund also wohl durchaus ernstzunehmen.