Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Gelsenkirchen, Taylor’s Version

Der Besuch von Taylor Swift versetzt Gelsenkirchen in einen Ausnahmezustand: Die ganze Stadt ist in Glitzer gehüllt. Nach langem Warten grüßt sie dann von der Bühne – hoch oben und doch ganz nah.

Hunderte Fans verfolgten das Konzert vor dem Stadion.
Foto: Christoph Reichwein/dpa

Sie strahlt. Taylor Swift taucht überraschend auf der Bühne auf, singt die ersten Worte des Abends in ein funkelndes Mikrofon. Dann breitet sie ihre Arme aus und lächelt in die Menge. Fast 60.000 Fans, aus der ganzen Welt nach Gelsenkirchen gereist, sind jetzt völlig aus dem Häuschen. Es wird gejubelt, geschrien und sogar geweint.

Während der ersten Lieder, es sind Songs ihres Albums «Lover», singt und tanzt Swift in einem pinken Bodysuit über die scheinbar endlos lange Bühne. Dann hält die 34-Jährige inne und sagt die Worte, auf die so viele hier so lange gewartet haben: «Gelsenkirchen, willkommen zur „Eras Tour“!»

Den folgenden Jubel lässt Swift erst mal wirken. Vollkommene Ekstase ist normal für sie – wo sie auftaucht, wird sie von ihren «Swifties» frenetisch empfangen. Seit über einem Jahr reist die Sängerin mit ihrer «Eras Tour» durch die Welt. Es ist eine musikalische Reise durch ihre Schaffensphasen – jeder «Era» (Epoche) widmet sie ein eigenes Bühnenbild. Die Show ambitioniert zu nennen, wäre untertrieben: 45 Lieder stehen auf der Setlist, dreieinhalb Stunden lang dauert ein Konzert. 

Ausgerechnet Gelsenkirchen

Dass diese in jeder Hinsicht gewaltige Produktion nicht in Berlin aufgeführt wird, aber gleich dreimal in Gelsenkirchen, hatte vorab sogar international für Spott gesorgt. US-Moderator Jimmy Kimmel witzelte etwa, es habe noch nie jemand von «Gelsenkirchen, Deutschland» gehört. «Vielleicht existiert es nicht einmal». 

Vom Gegenteil können sich Fans aus den USA, Kanada, Südafrika und vielen europäischen Ländern nun selbst überzeugen. Als «Hauptgewinn» für das Image von Gelsenkirchen hatte der Kulturwissenschaftler Jörn Glasenapp die Swift-Konzerte vorab bezeichnet. Die Stadt berichtete, der Hype um die «Eras Tour» sei sogar größer als das Interesse an den Spielen bei der Fußball-Europameisterschaft in Gelsenkirchen.

Nahbarer Popstar

In Sachen Pop-Perfektion setzt die Musikerin mit der «Eras Tour» neue Maßstäbe. Dass sie in ihrer gigantischen Inszenierung nie arrogant oder zu weit entfernt erscheint, liegt wohl vor allem an einem – Swift ist freundlich, hinter dem Profi irgendwo auch Mensch. Ihre wahre Stärke als Popkünstlerin liegt darin, diesen Hauch von Nahbarkeit stets greifbar zu machen.

Wenn sie die Standing Ovations nach der Ballade «Champagne Problems» minutenlang genießt, mit ihren Tänzern Grimassen schneidet, oder eben ihr berühmtes Lächeln lächelt, dann wirkt das sympathisch. Dann glaubt man ihr die Freude, diese Show spielen zu können – hier, in Gelsenkirchen. So wie es ihr wenige Tage zuvor auch die Menschen in Mailand, Zürich, Amsterdam geglaubt haben.

Fragt man «Swifties» in der Warteschlange vor der Arena danach, was sie an diesem Popstar so sehr begeistert, dann lauten die häufigsten Antworten: «Sie ist echt.» «Sie ist wie eine Schwester.» «Ich sehe zu ihr auf.» Diese Antworten sind kein Zufall. Swift und ihr Team haben jahrelang mit Fan-Events und Social-Media-Posts daran gearbeitet, sie als Superstar von nebenan zu perfektionieren.

Zwei Alben «Taylor’s Version» fehlen noch

Wie stark die «Swifties» als Fangemeinschaft sind, zeigt sich am Beispiel von «Taylor’s Version»: Nach einem Streit mit ihrem alten Label hat Swift begonnen, ihre ersten sechs Alben neu aufzunehmen, um die Rechte daran zurückzugewinnen. Immer wieder sorgten die Fans bereits dafür, dass die neue alte Musik Streamingrekorde brach. 

Nun stehen noch zwei Neuauflagen aus: «Reputation» (2017) und ihr Debütalbum «Taylor Swift» (2006). Es ist möglich, dass sie eines oder beide Alben während der laufenden Tour veröffentlicht. Denkbar ist auch, dass sie das Projekt «Taylor’s Version» erst nach der Tournee vollendet.

Was kommt nach der «Eras Tour»?

Was dagegen völlig offen scheint, ist die Frage, wie Swift ihre Karriere fortschreiben will. Die «Eras Tour» hat die schon vorher berühmte Sängerin auf ein Level katapultiert, für das es kaum noch Vergleiche gibt. Der US-Musiker Billy Joel sprach in Anlehnung an die «Beatlemania» von einer «Swiftmania». Wie weit lässt sich diese Euphorie noch steigern? 

Ein neues Album wäre wohl der einfachste Schritt. In der jüngeren Vergangenheit hat Swift ihre künstlerische Palette aber auch erweitert, trat bei mehreren Musikvideos als Regisseurin in Erscheinung. Das Branchenmagazin «Variety» berichtete von einem Spielfilm-Deal mit dem Studio Searchlight Pictures. 

Viele Fans hoffen darauf, dass sie eher privates Glück finden – eine Verlobung und eine Familie mit ihrem Freund Travis Kelce. Die beiden sind seit gut einem Jahr zusammen. Laut pixeligen Fotos und Videos in sozialen Netzwerken scheint es, dass Kelce auch in Gelsenkirchen in einer der Logen zuschaut. Es ist nicht das erste Mal, dass er ein Konzert seiner Geliebten besucht. Bei einem von Swifts Auftritten in London war der NFL-Star sogar Teil der Choreographie auf der Bühne.

Klar ist, dass die «Eras Tour» noch in diesem Jahr zu Ende geht. Das hatte Swift bereits im Juni bei der 100. Show in Liverpool angekündigt.

Der Glücksmotor

Swift wird oft als Pop-Maschine bezeichnet, die jedoch auch Kritik auf sich zieht. Ihre Privatflüge belasten das Klima und ihre Exklusivverträge mit Unternehmen wie Ticketmaster und Live Nation schaden der Musikbranche. Dennoch bleibt das Gemeinschaftsgefühl, das ihre Maschine stets zuverlässig hervorbringt, unbestritten.

Der «Eras»-Glücksmotor funktioniert in Nashville wie in London, in Singapur wie in Buenos Aires. Und er taucht eben auch Gelsenkirchen für ein paar Stunden in buntes Funkellicht. Zwei weitere Shows warten noch im Ruhrgebiet, bevor Swift vier weitere Deutschlandshows in Hamburg und München spielt.

dpa