Der VfB Stuttgart kassiert bis zu 90 Millionen Euro für den Nationalstürmer. Bayern München geht leer aus. Was bedeutet der Deal für alle Parteien?
Neuer Rekordtransfer: Woltemade wechselt nach England
Jetzt also doch: Nick Woltemade steht vor einem Abschied vom VfB Stuttgart und aus der Fußball-Bundesliga und wird im Falle eines erfolgreichen Medizinchecks nach England wechseln. Bis zu 90 Millionen Euro möchte Newcastle United für den deutschen Nationalstürmer zahlen. Wochenlang bemühte sich auch der FC Bayern München um den Angreifer. Jetzt hat der deutsche Rekordmeister nicht zum ersten Mal in diesem Transfersommer das Nachsehen. Was hat der bevorstehende Deal für alle Parteien zu bedeuten?
Für den VfB Stuttgart:
Es scheint, dass sich die Hartnäckigkeit der VfB-Bosse ausgezahlt hat – zumindest finanziell. Statt den Torjäger für bis zu 60 Millionen Euro an einen direkten Ligakonkurrenten zu verkaufen, erhalten die Schwaben nun wahrscheinlich deutlich mehr. Trotzdem wiegt der sportliche Abschied des 23-Jährigen schwer.
«Fakt ist, dass das ein herber Verlust für uns ist», sagte VfB-Coach Sebastian Hoeneß vor dem Spiel am Samstag (15.30 Uhr/Sky) gegen Borussia Mönchengladbach und verwies auf ein «Spannungsfeld» mit der Club-Führung. «Das ist auch normal, denn die Verantwortung für das Sportliche liegt am Trainer.» Es gebe aber auch die finanzielle Situation «und der kann ich mich auch nicht verwehren, das werde ich auch nicht».
Der Trainer, der deutlich genervt von der Entwicklung war, muss Lösungen finden. Laut Enzo Millot wäre Woltemade bereits der zweite wichtige Spieler, der den VfB verlässt – Ersatz für beide ist noch nicht gefunden. Die Vereinsführung ist unter Druck, die Zeit läuft.
Mögliche Kandidaten: Medienberichten zufolge beschäftigen sich die Stuttgarter mit einer Leihe des früheren Mainzers Brajan Gruda (Brighton & Hove Albion) sowie mit Bilal El Khannouss (Leicester City) und Alexis Claude-Maurice (FC Augsburg). «Es geht darum, dass wir gute Spieler bekommen, mit guter Qualität, die schon etwas erlebt und sofort Wirkung haben», sagte Hoeneß. Auf die neue Situation müsse man reagieren.
Für den FC Bayern München:
Trotz ihres frühen Interesses gehen die Bayern anscheinend auch bei Woltemade leer aus – wie zuvor schon bei Florian Wirtz. Dies ist ein Rückschlag, da das erfolglose Werben um Woltemade zeigt: Der Rekordmeister bekommt nicht mehr jeden deutschen Spieler, den er haben möchte. Und auf der Führungsebene herrscht offensichtlich Uneinigkeit.
Sportvorstand Max Eberl äußerte während der Club-WM sogar öffentlich Zweifel an diesem Transfer. Andere beim FC Bayern wollten den Nationalspieler unbedingt. Diese Außendarstellung ist ein Problem für die Münchner. So dass Sportdirektor Christoph Freund am Freitag geradezu trotzig sagte: «Wir als Bayern München sind auch sehr, sehr stark.»
Für Werder Bremen:
Woltemades Heimatverein profitiert von dem großen Transfer, wenn er zustande kommt. Als er acht Jahre alt war, wechselte der Bremer zu Werder. Gemäß den DFB-Statuten stehen dem Ausbildungsverein fünf Prozent der Transfersumme zu, wenn ein Spieler wie er später ins Ausland wechselt.
Diese drei bis vier Millionen Euro gleichen Werders Schaden in der Causa Woltemade jedoch nicht aus. Es ist für die klammen Bremer ein finanzielles und strategisches Desaster, dass ein hochtalentierter Spieler aus der eigenen Jugend den Verein ablösefrei verlässt und nur ein Jahr später mehr als 80 Millionen Euro wert ist. Der Grund: Woltemade sah keine Perspektive für sich in Bremen und fühlte sich in der Heimat nicht genügend gefördert.
Für die Bundesliga:
Der nahende Wechsel von Nick Woltemade nach England zeigt, wie die Bundesliga im Vergleich zur Premier League immer mehr an Gewicht verliert. Das bestätigt auch Freund: «Es sagt etwas Grundsätzliches aus, wenn man sieht, wie viele Top-Spieler in den letzten zwölf Monaten von der deutschen Bundesliga in die Premier League gewechselt sind – und auch, welche Summen da fließen.»
Neben Woltemade und Wirtz wechselte beispielsweise auch Benjamin Sesko für kolportierte 76,5 Millionen Euro von RB Leipzig zu Manchester United. Xavi Simons aus Leipzig (Tottenham Hotspur) und Piero Hincapié aus Leverkusen (FC Arsenal) könnten bis zum Ende der Transferfrist am Montag noch folgen.
Dank der Hilfe von bestimmten Ländern, wohlhabenden Investoren und deutlich höheren TV-Einnahmen sind die Chancen in England größer. «Die Bundesliga ist sehr attraktiv, aber die Premier League hat die Mittel, sich hier zu bedienen», sagt Hoeneß.
Für die Nationalmannschaft:
Bundestrainer Julian Nagelsmann betonte erst in dieser Woche und damit vor dem aufkommenden Woltemade-Gerücht, dass einige Wechsel seiner Schützlinge in diesem Sommer «nicht glücklich» gewesen seien. Der 38-Jährige denkt an die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr und braucht Spieler, die sich regelmäßig auf dem Platz beweisen dürfen. Positiv: Nick Woltemade spielt in England in einer der besten Ligen der Welt und kann sich auf der europäischen Bühne beweisen, allerdings muss er sich in der neuen Umgebung erst einmal zurechtfinden – Risiko und Chance zugleich.
Für den Spieler Nick Woltemade:
Die Woltemade-Seite war wochenlang klar: Wenn der Stürmer den VfB verlassen sollte, dann sollte München das Ziel sein. Als das nicht zu klappen schien, riet Ex-Nationalspieler Stefan Effenberg dem Senkrechtstarter, in Stuttgart zu bleiben. «Es spricht doch überhaupt nichts dagegen, diese Entscheidung um ein Jahr zu vertagen», hatte der TV-Experte gesagt und an Woltemades Status beim DFB-Pokalsieger erinnert.
Eine weitere Möglichkeit ergibt sich nun. Woltemade steht vor der Herausforderung, von Newcastle als potenzieller Nachfolger des schwedischen Topstürmers Alexander Isak geholt zu werden, der zum FC Liverpool wechseln möchte. Die Erwartungen sind hoch. Zudem muss Woltemade liefern, wenn er bei der WM spielen will.