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Ngugi wa Thiong’o – Der Riese der afrikanischen Literatur

Er wurde verfolgt, eingesperrt, mit dem Tode bedroht. Doch Ngugi wa Thiong’o ließ sich nicht zum Schweigen bringen. Seine Bücher waren Kritik an Fremdherrschaft und Diktatoren in Afrika.

Thiong´o wurde immer wieder als möglicher Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt. (Archivbild)
Foto: Sebastiao Moreira/EFE/dpa

Weder Haft noch Morddrohungen konnten den kenianischen Schriftsteller Ngugi wa Thiong’o davon abhalten, die Vergangenheit zu untersuchen und politische Missstände anzuprangern. Nach seiner Festnahme Ende 1977 nach der Aufführung eines regimekritischen Theaterstücks schrieb er seinen nächsten Roman in seiner Zelle auf dem einzigen verfügbaren Material: Toilettenpapier.

Der Kikuyu-Mann, der als Gigant der afrikanischen Literatur und eine der bedeutendsten Stimmen des Kontinents galt, ist nun verstummt. Am Mittwoch starb der Schriftsteller im Alter von 87 Jahren im US-Bundesstaat Georgia, wo er seit vielen Jahren lebte, wie eine Sprecherin seines kenianischen Verlags East African Educational Publishing am Donnerstag bestätigte. Seine Werke wurden in mehr als 50 Sprachen übersetzt.

Schriftsteller inspirierte Generationen von Lesern

In den ersten Reaktionen in sozialen Medien haben Leser und Verlage ihn als furchtlose Stimme gewürdigt, die Generationen geprägt hat. Der Schriftsteller hat gezeigt, dass die besten afrikanischen Geschichten von Afrikanern selbst erzählt werden. Thiong´o hat Generationen von Afrikanern inspiriert, für Gerechtigkeit zu kämpfen, schrieb der ugandische Musiker und Oppositionspolitiker Bobi Wine.

Mit seinen Werken habe Thiong´o daran erinnert, dass Sprache eine Form von Macht und das Erzählen von Geschichten Befreiung seien, schrieb einer seiner Verlage in einer Würdigung auf der Plattform X, wo viele den Autor mit dem revolutionären Gruß «Rest in Power» verabschiedeten. 

Schreiben als Waffe gegen Ausbeutung Afrikas

Schon lange war der Verfasser von Romanen wie «Herr der Krähen», dem Essayband «Dekolonisierung des Denkens» oder dem autobiografischen Werk «Träume in Zeiten des Krieges» ein einflussreicher Autor Afrikas. Das war schon allein deswegen bemerkenswert, weil er mehrere seiner Romane in seiner Muttersprache Kikuyu schrieb und nicht wie andere afrikanische Autoren in der Sprache der einstigen Kolonialherren, auch wenn das den Zugang zum internationalen Buchmarkt erleichtert. 

Sein Fokus lag auf der Ausbeutung Afrikas, zuerst durch die Kolonialherren, später durch andere Mächte. Das Schreiben war seine Waffe und Protestform während der späten Phase der Kolonialherrschaft.

Schriftsteller im Exil

Der Schriftsteller geriet immer wieder in Konflikt mit den Behörden aufgrund seiner scharfen Kritik an den britischen Kolonialherren und der damaligen Regierung von Präsident Daniel arap Moi. Moi, der von 1978 bis 2002 regierte, ließ Ngugi ins Gefängnis werfen und verhinderte, dass er danach Lehraufträge an kenianischen Universitäten erhielt.

1982 verließ er sein Heimatland – zuerst ging er nach London, danach in die Vereinigten Staaten. In Simbabwe überlebte er 1986 nur knapp einen Mordanschlag, als Sicherheitskräfte ein Attentat vor seinem Hotel aufdeckten.

Als Kind hieß der im zentralkenianischen Limuru geborene Autor noch James Ngugi. Er fand den Namen allerdings zu britisch-kolonial und änderte ihn 1976. Sein erster Roman «Weep Not, Child» (1964), der international gefeiert wurde, kam unter seinem Jugendnamen heraus. Ngugi befasst sich darin mit dem 1952 ausgebrochenen antikolonialen Unabhängigkeitsaufstand gegen Großbritannien (Mau-Mau-Krieg). 

Der Autor hatte auch eine persönliche Verbindung zu dem Thema: Sein Vater war einer der Kenianer, die von den weißen Siedlern aus ihrem Land vertrieben wurden. Während der Kämpfe verlor der junge Ngugi mehrere Geschwister.

Kämpfer für Bewahrung afrikanischer Muttersprachen

Er kämpfte mit Leidenschaft für den Erhalt der Muttersprachen in Afrika – obwohl es allein in seinem Heimatland Kenia 42 Sprachen gibt und die Amtssprachen Kisuaheli und Englisch die Kommunikation über ethnische Grenzen hinweg ermöglichen.

Die Vorstellungen, dass etwa regionale Entwicklungen wie nigerianisches oder kenianisches Englisch eigene Identität schaffen, wies er in einem Interview energisch zurück. «Sprache ist ein Kriegsgebiet», betonte er in einem anderen. «Wo immer man in moderner Kolonialgeschichte hinblickt, gründete der Zugang zur Sprache des Kolonialherrn auf dem Tod der Sprachen der Kolonisierten.»

Nur Literaturnobelpreis blieb Thiong´o versagt

Dass er zwar immer wieder für den Literaturnobelpreis im Gespräch war, die Auszeichnung aber nie erhielt, war ihm dagegen nicht so wichtig: «Ich wäre glücklich gewesen, wenn ich ihn erhalten hätte, aber ich schreibe nicht für Preise.» Er freue sich, wenn Leser ihm erzählten, dass seine Bücher sie geprägt hätten – damit sei er doch eine Art «Nobelpreisträger der Herzen».

dpa