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Große Stimme Lateinamerikas – Mario Vargas Llosa gestorben

Geboren in Peru, auf zwei Kontinenten zu Hause – Mario Vargas Llosa war ein Weltbürger. Als Romanautor war er auch politisch engagiert. Nun ist der Literaturnobelpreisträger für immer verstummt.

Mario Vargas Llosa galt als Stimme des Liberalismus. (Archivbild)
Foto: Kiko Huesca/EFE/epa/dpa

Er gehörte zu den bedeutendsten Schriftstellern unter den spanischsprachigen Autoren. Er war einer derjenigen, die die Literatur Lateinamerikas weltweit bekannt machten. Als echter Weltbürger fühlte er sich sowohl in seinem Heimatkontinent als auch in Europa zuhause. Im Jahr 2010 wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Am Sonntag verstarb Mario Vargas Llosa im Alter von 89 Jahren in Lima.

Geboren wurde Vargas Llosa am 28. März 1936 in der südperuanischen Stadt Arequipa, und wie viele andere Literaten begann er seine berufliche Laufbahn als Journalist. Seinen ersten Roman, «Die Stadt und die Hunde», veröffentlichte er 1962 (dt. 1966). Darin verarbeitete er seine Zeit in einer peruanischen Kadettenanstalt zu einer grandiosen Studie über autoritäre Systeme. Er hatte damit sofort international Erfolg.

Es war der Beginn des sogenannten «Booms», des Siegeszugs lateinamerikanischer Literatur in der Welt, zu dem auch Autoren wie Gabriel García Márquez (Kolumbien), Carlos Fuentes (Mexiko) oder Julio Cortázar (Argentinien) beitrugen. Auf Vargas Llosas Erstling folgten «Das grüne Haus» (1967, dt. 1968) und «Gespräch in der Kathedrale» (1969, dt. 1976). Viele Kritiker halten diese drei frühen Romane für seine besten.

Turbulentes Familienleben

Schon zu Beginn seiner literarischen Karriere lebte Vargas Llosa die meiste Zeit in Europa. Es war eine Art Flucht: 1955 hatte er gegen den härtesten Widerstand seiner Familie im zarten Alter von 19 Jahren seine zehn Jahre ältere angeheiratete Tante Julia Urquidi (1926-2010) geheiratet. Vor der zornigen Verwandtschaft verzogen sich die beiden nach Übersee, erst nach Madrid und dann nach Paris, wo die Ehe 1964 in die Brüche ging.

Ein Jahr später heiratete Vargas Llosa seine Cousine Patricia Llosa, Nichte seiner ersten Frau. Mit Patricia hatte er drei Kinder, Álvaro, Gonzalo und Morgana. Kurz nach der goldenen Hochzeit verließ er sie 2015 wegen einer anderen Frau. Das Medienspektakel war gewaltig, denn bei der Auserwählten handelte es sich um die schillernde Society-Königin Isabel Preysler (geb. 1951), Ex-Frau des Sängers Julio Iglesias und Witwe des früheren spanischen Wirtschaftsministers Miguel Boyer. Nach sieben Jahren gab Preysler Ende 2022 die Trennung bekannt. Seit dem Sommer 2023 wurde Vargas Llosa wieder häufiger zusammen mit seiner Ex-Frau Patricia gesehen.

Seiner ersten Frau setzte Vargas Llosa 1977 ein literarisches Denkmal, den Roman «Tante Julia und der Kunstschreiber» (dt. 1979), in dem er die Beziehung verarbeitete. Die wenig erfreute Beschriebene revanchierte sich einige Jahre später mit dem Gegenbuch «Lo que Varguitas no dijo» (Was der kleine Vargas nicht sagte). Dem Ruhm des Großschriftstellers tat das keinen Abbruch.

Als Präsidentschaftskandidat bis in die Stichwahl

Vargas Llosa sah sich als politischer Schriftsteller. Im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen beschränkte er sich jedoch nicht darauf, zu allen möglichen Themen seine Meinung kundzutun, sondern versuchte sich auch selbst einmal als Politiker. Im Jahr 1990 kandidierte er in Peru für das Präsidentenamt, hielt im Wahlkampf überall im Land sorgfältig ausgearbeitete Reden, die jedoch nicht den Nerv des Volkes trafen. Nach dem ersten Wahlgang lag er vorne, aber in der Stichwahl siegte der Außenseiter Alberto Fujimori, und Vargas Llosa begrub seine Ambitionen für alle Zeiten.

In der linken lateinamerikanischen Intellektuellenzunft wurde Vargas Llosa, der in jungen Jahren selbst einmal links stand, mit seinen radikal liberalen Standpunkten zum Außenseiter. Er überwarf sich mit seinem Freund García Márquez (1927-2014), über dessen Roman «Hundert Jahre Einsamkeit» er eine Doktorarbeit geschrieben hatte. Beim internationalen PEN-Kongress 1986 bezeichnete er den Kolumbianer wegen dessen Freundschaft zum kubanischen Revolutionsführer als «Höfling Castros». 2019 fasste er in dem Essay-Buch «Der Ruf der Horde» – «eine intellektuelle Autobiografie», so der Untertitel – sein liberales Credo zusammen. 2021 unterstützte er im Wahlkampf in Chile den ultrarechten Kandidaten José Antonio Kast.

Peruaner und Spanier

Der gebürtige Peruaner besaß seit langem auch die spanische Staatsangehörigkeit. Auf der iberischen Halbinsel wurde er zu einem wortgewaltigen Gegner der katalanischen Separatisten. Der Nationalismus der Separatisten wurde von ihm als kleingeistig und rückwärtsgewandt betrachtet. Als erster Schriftsteller, der nicht auf Französisch schreibt, wurde der Weltbürger im Februar 2023 in die Académie française aufgenommen.

Vargas Llosas schriftstellerisches Gesamtwerk erfasste mit den Jahren ein immer breiteres Spektrum und beschränkte sich thematisch nicht auf sein Heimatland Peru. Ein großer Erfolg der späteren Jahre wurde «Das Fest des Ziegenbocks» (2000, dt. 2001), ein Roman über Leben und Tod des dominikanischen Diktators Rafael Leónidas Trujillo. 2010 erhielt er den Nobelpreis. Da war er schon 74 Jahre alt, aber er wollte sich nicht zur Ruhe setzen, schrieb immer weitere Bücher, viele davon literarischer Durchschnitt. Mit dem Roman «Harte Jahre» (dt. 2020) über die Machenschaften der United Fruit Company in Guatemala gelang ihm noch einmal ein kleines Meisterwerk.

Im Herbst 2023 erschien in Spanien «Le dedico mi silencio» («Ich widme ihr mein Schweigen»), die deutsche Ausgabe kam im August 2024 unter dem Titel «Die große Versuchung» auf den Markt. Der Roman über die kreolische Musik in seinem Geburtsland Peru sei sein letzter, schrieb er im Nachwort. In der Widmung hieß es: «Für Patricia». 

In der Literatur sah der Großschriftsteller auch einen Schlüssel auf dem Weg zu einer besseren Welt. «Die Literatur hat die Gabe, uns zu zeigen, dass etwas schiefläuft», sagte er beim Internationalen Literaturfestival 2020 in Berlin. In seinen Werken wird Vargas Llosas wortgewaltige Stimme weiterleben.

dpa