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Netanjahu kündigt Gaza-Offensive «in kommenden Tagen» an

In Katar laufen Verhandlungen über eine neue Waffenruhe im Gaza-Krieg. Sie sollen aber «unter Feuer» geführt werden, wie Israels Regierung betont. Der UN-Nothilfechef warnt vor einem «Völkermord».

Israels Ministerpräsident Netanjahu bleibt bei seiner harten Linie gegenüber der Hamas. (Archivbild)
Foto: Uncredited/Israeli Government Press Office/AP/dpa

Die notleidende Zivilbevölkerung im Gazastreifen muss sich auf eine neue großangelegte Offensive Israels zur Zerschlagung der palästinensischen Terrororganisation Hamas einstellen. Der Einsatz solle «in den kommenden Tagen» beginnen, kündigte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gestern an. Ziel sei es, die Hamas vollständig zu besiegen und die verbliebenen Geiseln in ihrer Gewalt zu befreien. UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher kritisierte Israels Umgang mit dem nach außen abgeriegelten Küstengebiet scharf und warnte vor einem «Völkermord».

Eine neue Militäroffensive dürfte die Notlage der Menschen im dicht besiedelten und nach mehr als anderthalb Jahren Krieg großflächig zerstörten Gazastreifen weiter verschärfen. Schon jetzt seien 2,1 Millionen Palästinenser wegen zurückgehaltener humanitärer Hilfe vom Hungertod bedroht, mahnte Fletcher. «Israel schafft bewusst und schamlos unmenschliche Bedingungen für die Zivilbevölkerung in den besetzten palästinensischen Gebieten», sagte er vor dem UN-Sicherheitsrat bei einer Sitzung in New York.

«Welche Beweise brauchen Sie jetzt noch?», fragte Fletcher in die Runde des mächtigsten UN-Gremiums. «Werden Sie entschlossen handeln, um Völkermord zu verhindern und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts zu gewährleisten? Oder werden Sie stattdessen sagen: „Wir haben alles getan, was wir konnten“?»

https://x.com/UNReliefChief/status/1922404655801204938

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron übte ebenfalls heftige Kritik. «Was die Regierung von Benjamin Netanjahu aktuell macht, ist inakzeptabel», sagte er im Sender TF1. Humanitäre Hilfe aus Frankreich und anderen Ländern für die Bevölkerung in Gaza werde von Israel blockiert. Die humanitäre Krise sei verheerend, es gebe kein Wasser und keine Medikamente. Macron sprach von einer Schande.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte laut einer Sprecherin bei einem Treffen mit Netanjahu in Jerusalem die Dringlichkeit, «den Zugang der Bevölkerung in Gaza zu humanitären Hilfen wieder zu gewährleisten».

Netanjahu: Wir gehen im Gaza-Krieg «bis zum Ende»

Netanjahu sagte bei einem Treffen mit verwundeten Reservisten, die Zerschlagung der Hamas und die Befreiung der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gehörten untrennbar zusammen. «In den kommenden Tagen werden wir mit voller Kraft hineingehen, um die Kampagne zu vollenden», versprach er. Selbst wenn die Hamas anbiete, weitere Geiseln freizulassen, werde Israel den Krieg nicht beenden. Eine zeitlich begrenzte Waffenruhe sei möglich, nicht aber ein dauerhaftes Ende der Kämpfe.

Die Armee hat vor kurzem damit begonnen, zehntausende Reservisten zu mobilisieren. Laut israelischen Medien soll jedoch vor einem neuen Angriff noch das Ende des dreitägigen Besuchs von US-Präsident Donald Trump in der Golfregion abgewartet werden, der am Dienstag in Saudi-Arabien begann und weitere Stopps in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten vorsieht.

Netanjahu sagte, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung den Gazastreifen verlassen würde, wenn es entsprechende Ausreisemöglichkeiten gäbe. Israel bemüht sich derzeit, Drittstaaten zu gewinnen, um die Menschen aufzunehmen. Viele Palästinenser befürchten eine neue Flucht- und Vertreibungswelle aus dem Gazastreifen, ähnlich wie während des Krieges bei der israelischen Staatsgründung 1948 und während des Sechstagekrieges 1967.

Weitere Gaza-Verhandlungen in Katar

Die indirekten Gespräche zwischen Israel und der Hamas, vermittelt von den USA, Ägypten und Katar, kamen vor einigen Monaten zum Stillstand. Medienberichten zufolge ist ein Team israelischer Unterhändler nun in der Hauptstadt von Katar, Doha, eingetroffen, um eine neue Verhandlungsrunde zu beginnen. Es wird erwartet, dass auch der US-Sondergesandte Steve Witkoff und Trumps Geisel-Beauftragter Adam Boehler an den Gesprächen teilnehmen.

Netanjahu hatte angekündigt, die Verhandlungen sollten «unter Feuer» geführt werden. Eine von Israel geforderte Entwaffnung der Hamas lehnt die Islamisten-Organisation ab. Sie fordert als Bedingung für eine Freilassung der verbliebenen Geiseln ein vollständiges Ende des Gaza-Kriegs.

Luftangriffe auf Kliniken in Gaza

Währenddessen setzt sich das Blutvergießen in Gaza fort. In der Nacht berichteten palästinensische Quellen von einem israelischen Luftangriff auf Dschabalija, bei dem es angeblich zahlreiche Opfer gegeben hat. Zuvor wurden bei Luftangriffen auf zwei Krankenhäuser im Süden des Gebiets laut Klinikangaben mindestens 19 Menschen getötet. Die israelische Armee gab an, dass es sich um einen gezielten Angriff auf Hamas-Terroristen handelte – das Militär beschuldigt die Islamisten schon lange, Krankenhäuser für terroristische Zwecke zu nutzen. Ein Sprecher der Hamas wies diese Behauptung zurück. Die Angaben beider Seiten konnten nicht unabhängig überprüft werden.

https://x.com/kann_news/status/1922315401318351316

Im Mittelpunkt stand ein vermuteter Angriff auf Mohammed al-Sinwar, den jüngeren Bruder des im Oktober 2024 getöteten Hamas-Anführers Jihia al-Sinwar. Es war zunächst unklar, ob er unter den Toten bei dem Angriff auf das Europäische Krankenhaus in Chan Junis war. Nach der Tötung des Hamas-Militärchefs Mohammed Deif im Juli des letzten Jahres durch das israelische Militär hatte Mohammed al-Sinwar die Führung der bewaffneten Hamas-Einheit, den Kassam-Brigaden, übernommen.

Sollte er nun tot sein, könnte das die Verständigung auf eine Waffenruhe und ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln erleichtern, sagte ein israelischer Regierungsvertreter der «Jerusalem Post». Al-Sinwar sei der extremste Akteur aufseiten der Hamas gewesen, was deren Verhandlungsposition angeht. «Wenn er nicht mehr dabei ist, dürfte das den Bemühungen um ein Abkommen zuträglich sein.»

Auch die israelische Attacke auf das Nasser-Krankenhaus in Chan Junis in der Nacht zu Dienstag galt laut Darstellung des Militärs Hamas-Terroristen. Dabei wurden palästinensischen Angaben zufolge drei Menschen getötet. Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa sprach von einem «gezielten Angriff» auf den palästinensischen Journalisten Hassan Eslaiah, der wegen Verletzungen in der Klinik behandelt worden sei. 

Eslaiah (andere Schreibweisen: Aslieh/Aslih) wurde bereits im letzten Monat bei einem Angriff in der Nähe des Nasser-Krankenhauses schwer verletzt. Die Armee Israels behauptete damals, dass der Palästinenser am 7. Oktober 2023 am Hamas-Massaker in Israel teilgenommen habe. Er sei auf israelisches Gebiet vorgedrungen und habe Aufnahmen von Morden, Brandstiftungen und Plünderungen gemacht, die er dann in sozialen Medien veröffentlichte. Als freier Journalist lieferte er unter anderem der Nachrichtenagentur AP Fotos, von denen einige im Oktober 2023 auch in den dpa-Bildfunk übernommen wurden.

Neue Raketenangriffe auf Israel

Zum ersten Mal seit langer Zeit wurden wieder Raketen aus dem Gazastreifen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Zwei Geschosse wurden laut Militärangaben abgefangen, ein drittes landete in offenem Gelände. Darüber hinaus hat die israelische Armee nach eigenen Angaben erneut eine Rakete abgefangen, die aus dem Jemen abgefeuert wurde. Die mit der Hamas verbündeten Islamisten der Huthi-Miliz gaben an, dass ihr Angriffsziel der Flughafen der Küstenmetropole Tel Aviv war.

Während des Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Israel fand der Angriff statt. Steinmeier, seine Frau Elke Büdenbender und Teile der Delegation wurden in den Luftschutzraum ihres Hotels gebracht. Sie verbrachten dort ungefähr 15 Minuten. Zur Zeit des Angriffs hatten die deutschen Gäste gerade zum Abendessen in der Residenz von Israels Präsident Izchak Herzog aufbrechen wollen, was sie dann verspätet taten.

dpa