Paare enthüllen intime Details vor laufender Kamera, während Zuschauer mit Spannung folgen. Doch wie viel Ehrlichkeit verträgt eine Beziehung wirklich, bevor das Vertrauen bröckelt?
Social Media Trend: Geheimnisse ohne Urteil
Ein neuer Trend sorgt auf Instagram und TikTok derzeit für zahlreiche Klicks, aber auch Streits und angeblich sogar Trennungen: „We listen and we don’t judge“, zu Deutsch: „Wir hören zu und wir urteilen nicht“.
In den Videos mit diesem Titel enthüllen Paare vor laufender Kamera abwechselnd böse Geheimnisse, die oft den Partner betreffen, und versuchen dabei, sich nicht gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Der Humor daran liegt darin, dass trotz der teilweise heftigen Themen keine Diskussion entstehen darf.
„Gar nicht so schlecht, Single zu sein“
In den Videos gestehen die Partner und Partnerinnen etwa, das Essen des anderen nicht zu mögen, wenig Spaß am gemeinsamen Sex haben oder, dass sie die Arbeit des anderen schlecht finden. Während die Paare kaum Zeit für eine Reaktion haben, sind die Zuschauenden dafür umso mehr am „judgen“. Regelmäßige Kommentare unter den Videos lauten etwa „We listen and we get divorced“ („Wir hören zu und wir lassen uns scheiden“) oder „Ist doch gar nicht so schlecht, Single zu sein“.
Die Mehrheit der Videos ist unbedenklich. Für die Paare sind sie häufig nur ein Scherz, während sie für die Zuschauer durch den authentischen Überraschungseffekt vor allem amüsant sind, wie bei Kevin Bacon (66) und seiner Frau Kyra Sedgwick (59). Dennoch wirft der Trend eine bedeutende Frage auf: Sollten Menschen in Beziehungen tatsächlich alles miteinander teilen? In der Praxis fällt es uns oft schwer, absolute Ehrlichkeit zu ertragen, selbst wenn wir sie uns theoretisch wünschen.
Es gibt drei Gründe für Geheimnisse in Beziehungen
Leider gibt es keine allgemeine Faustregel als Antwort, da die Beweggründe und die Schwere der möglichen Geheimnisse zu unterschiedlich sind. Laut der Buchautorin und Psychotherapeutin Amy Morin gibt es jedoch drei Gründe, warum Menschen Geheimnisse bewahren: um sich selbst, die andere Person oder ihre Beziehung zu schützen. Wer ein Geheimnis preisgeben möchte, sollte zunächst darüber nachdenken, warum er es hat und ob die Gründe dafür egoistisch sind.
Einige Geheimnisse können dem anderen unnötig wehtun. Wenn man beispielsweise den Ex-Freund etwas attraktiver fand als den aktuellen Partner, sollte man das lieber für sich behalten. Ein einmaliger, unbedeutender Flirt bei der Arbeit, der keinerlei Einfluss auf die Beziehung hat, muss auch nicht unbedingt angesprochen werden.
Es wird riskant, wenn Geheimnisse ans Licht kommen, die das Vertrauen untergraben. Idealerweise sollte man solche Themen in einer Partnerschaft bereits ansprechen, bevor es zu einer explosiven Situation kommen könnte. Psychologin Morin empfiehlt, darüber zu sprechen, wie die Privatsphäre in der Beziehung gestaltet werden soll und welche Informationen man vom Partner wissen möchte oder lieber nicht erfahren will.
Zuhören, ohne zu urteilen
Um zu verhindern, dass der Partner oder die Partnerin Geheimnisse für sich behält, sollte zudem ein Umfeld geschaffen werden, das Ehrlichkeit fördert. Auf „Psychology Today“ schreibt Morin dazu: „Wenn Ihr Partner Informationen preisgibt, sollten Sie Ihre Reaktion darauf kontrollieren. Wenn Sie schreien oder sich aufregen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Partner beim nächsten Mal ehrlich ist.“ Insofern könnte man von dem Social Media Trend tatsächlich noch etwas lernen, nämlich: „We listen and we don’t judge.“