Mit aller Macht gewinnen – Kimmichs Fokus auf die bevorstehende WM-Qualifikation und die Suche nach dem goldenen Pokal vor den Toren New Yorks.
Joshua Kimmich: Der unerbittliche Anführer der deutschen Nationalmannschaft

Joshua Kimmich war sofort vom Ehrgeiz ergriffen. Schon beim Aufwärmspiel mit Robert Andrich und Robin Koch durfte sein Ball keinesfalls den Boden berühren. Verlieren war verboten. Dies war das Motto für den Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft gleich beim ersten Training vor dem Start in die WM-Qualifikation am Donnerstag (20.45 Uhr/ARD) in Bratislava gegen die Slowakei.
Mit aller Kraft gewinnen. Dies ist sein Motto für die WM-Saison, die in gut neun Monaten vor den Toren New Yorks enden wird – Kimmichs möglicherweise letzte Chance auf den goldenen Pokal, der bei den Turnier-Blamagen 2018 in Russland und 2022 in Katar in weiter Ferne blieb. Er bleibt die tragische Figur einer Generation, die immer wieder scheitert.
Der Blick geht schon jetzt nach Amerika
«Wir hatten zuletzt einige Turniere, die nicht erfolgreich waren. Besonders die Weltmeisterschaften waren nicht erfolgreich. Wir möchten nun versuchen, es besser zu machen», sagte Kimmich. In ihm sieht es emotionaler aus, als die recht nüchtern klingende, schon vor seinem 100. Länderspiel im Sommer getroffene, Ansage vermuten lässt.
«Die WM-Vorbereitung beginnt auch nicht erst zwei Wochen davor, sondern sie ist schon gestartet», machte der 30-Jährige klar. Die Slowakei, Nordirland und Luxemburg. Das ist nicht die Gegnerkategorie, die das DFB-Team vor grundsätzliche Probleme stellen sollte. Das direkte Ticket als Gruppensieger ist fest eingeplant. Doch an Philosophie und System wird kräftig gearbeitet.
Julian Nagelmann holte sich Kimmich vor dem eigentlichen Trainingsstart zum Gespräch unweit des Mittelkreises auf dem hermetisch abgeschirmten Übungsplatz im Teamquartier in Herzogenaurach. Letzte, wichtige Dinge wurden mit Leon Goretzka und Angelo Stiller besprochen. Es schien, als würde eine neue zentrale Herzkammer für die DFB-Elf entstehen.
Nagelsmann hat taktische Umstellungen angekündigt. Um die konkrete Umsetzung macht der 38-Jährige ein großes Geheimnis. Kimmich sei unverändert «der beste rechte Außenverteidiger», machte der Bundestrainer klar. Aber nun gäbe es eben notwendige Anpassungen. Zu leicht hatten Italiener (2:1/3:3), Portugiesen (1:2) und Franzosen (0:2) in den K.o.-Spielen der Nations League im März und Juni durch das deutsche Zentrum Tore erzielt.
Die erste publik gewordene Entscheidung ist die Rückbeförderung Kimmichs in die defensive Mittelfeldzentrale. «Julian weiß, wenn er mich als Rechtsverteidiger braucht, dann spiele ich rechts. Wenn er mich im Mittelfeld haben will, dann im Mittelfeld. Das ist seine Entscheidung», sagte der Bayern-Anführer. «Ich spiele da, wo er es mir sagt.»
Droht ein Führungskräfte-Vakuum?
Kimmich ist nicht nur der entscheidende Pulsgeber, sondern auch das Hirn der Nationalmannschaft. Ohne andere wichtige Stammspieler wie Stammtorwart Marc-André ter Stegen, Zauberfuß Jamal Musiala oder Vize-Kapitän Kai Havertz. Es besteht die Gefahr eines kleinen Vakuums in der Führungsebene.
Antonio Rüdiger, der zweite Spielführerstellvertreter, wurde von Nagelsmann öffentlich gerügt, nachdem er im spanischen Pokalfinale für Real Madrid im Frühling ausgerastet war. Seit seinem Wechsel zum FC Liverpool ist Florian Wirtz derzeit eher ein Lehrling in England.
Also bleibt Kimmich als unbestrittener Anführer in zentraler Funktion, als eine Art Korsett, das den Laden für das WM-Projekt zusammenhalten muss, das auch Nagelsmann mit dem großen Titelziel optimistisch angeht. Der Bundestrainer wird für die Team-Hierarchie andere Mechanismen als die einfache Stammkraft-Backup-Aufteilung wählen müssen, die bei der Heim-EM 2024 erfolgreich war – bis zum bitteren Viertelfinal-Aus gegen Spanien (1:2 n.V.).
EM-Sommer mit Image-Wandel
Das plötzliche Ende dieses kleinen Sommermärchens hatte natürlich auch Kimmich verletzt, führte jedoch zu einem anderen Bild in der öffentlichen Wahrnehmung. Der ehrgeizige, überambitionierte und oft verbissene Spieler hatte ein humorvolles, lächelndes Gesicht gezeigt und zusammen mit seinem Freund und Kollegen David Raum ein Bäumchen im Teamcamp gepflanzt.
«Bisher habe ich viele Tiefen und Höhen mit dem DFB-Team erlebt. Als deutsche Nationalmannschaft geht man in jedes Turnier, um den Titel zu gewinnen. Wir müssen uns aber auf die Dinge konzentrieren, die wir beeinflussen können», sagte Kimmich. Zum Beispiel, dass der eigene Ball nicht auf den Boden fällt.