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Politische Krise in Großbritannien: Sunak und die Tories vor dem Aus

Britischer Premierminister Sunak kämpft um Wiederwahl, während Tories vor Wahlpleite stehen.

Premier Sunak droht eine historische Wahlniederlage.
Foto: Jonathan Brady/PA Wire/dpa

Rishi Sunak schöpft seine letzte Hoffnung aus dem Fußball. «It’s not over until it’s over», postet der britische Premierminister bei X. Dazu: Ein Bild, wie der 44-Jährige über den Ausgleich der englischen Nationalmannschaft in letzter Minute im EM-Achtelfinale gegen die Slowakei jubelt. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Am Donnerstag wählt Großbritannien ein neues Parlament. Sunaks Post soll zeigen: Bis die Wahllokale schließen, kann alles passieren. Auch ein Sieg von Sunaks Konservativer Partei.

Aber der Premier steht mit seiner demonstrativen Zuversicht zunehmend allein. Selbst Regierungsmitglieder glauben nicht mehr an einen Sieg, längst geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Zu deutlich liegt die Oppositionspartei Labour in allen Umfragen in Führung. Beim nächsten englischen EM-Spiel am Samstag wird Sunak ziemlich sicher nicht mehr im Amt sein. Die Frage ist eigentlich nur noch: Wie katastrophal wird es? Den Tories droht der «wipeout», der Sturz in die Bedeutungslosigkeit.

Rutschen die Konservativen unter 100 Sitze?

Fast jeden Tag gibt es neue Schreckensnachrichten für die Partei, die als eine der erfolgreichsten politischen Kräfte der westlichen Welt gilt. Einige Umfrageprojektionen sehen die Konservativen bei deutlich unter 100 Sitzen. Im Jahr 2019 hatten sie 365 der 650 Mandate gewonnen. Als erster amtierender Premierminister der Geschichte könnte Sunak in seinem Wahlkreis abgewählt werden.

Labour-Chef Keir Starmer ist für den erwarteten Erfolg nur in eingeschränktem Maße verantwortlich, sind Experten der Ansicht. Viele Wähler wissen wenig über den einstigen Chef der Anklagebehörde CPS oder über die Ziele seiner Sozialdemokraten. Schuld sind vielmehr die Konservativen selbst. «Die Tories haben das Recht verwirkt, zu regieren», urteilt die eher konservative Zeitung «Sunday Times». Das Wirtschaftsblatt «Financial Times» kommentiert: «Großbritannien braucht einen Neuanfang.»

Der Politologe Tim Bale nennt die 14-jährige Regierungszeit der Konservativen katastrophal. «Sie sind schon zu lange im Amt und können kaum oder gar keine nennenswerten politischen Erfolge vorweisen», sagt Bale von der Queen Mary University of London im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. «Der Brexit hat nicht funktioniert. Die Einwanderungszahlen sind aus Sicht der Brexit-Gegner zu hoch. Die Wirtschaft ist träge. Das staatliche Gesundheitswesen NHS steckt in der Krise. Und sie haben eine Reihe hoffnungsloser Politiker gewählt.» Es sind vor allem das Chaos und die Skandale unter Sunaks Vorgängern Boris Johnson und Liz Truss, die Wählerinnen und Wähler abgeschreckt haben.

Liberaldemokraten als stärkste Oppositionsfraktion?

Es ist durchaus denkbar, dass die Tories nicht einmal die stärkste Oppositionsfraktion im Unterhaus sind. Dies würde einen erheblichen Einflussverlust bedeuten: Die offizielle Opposition bildet ein Schattenkabinett, hat das Recht, Ausschüsse zu leiten, und erhält im Parlament deutlich mehr Redezeit als kleinere Parteien.

Diese Rolle könnte den Liberaldemokraten zufallen. Parteichef Ed Davey sorgt im Wahlkampf mit aufsehenerregenden Stunts wie Bungee-Jumping dafür, dass die Partei im Gespräch bleibt. Vor allem in Südengland gelten die «Libdems» manchen Konservativen als Alternative.

Die Tories stehen bereits vor der Frage, wie es nach der erwarteten Wahlniederlage weitergeht. Laut Experte Bale spielt es eine wichtige Rolle, wer überhaupt im Parlament verbleibt. Mehrere Kabinettsmitglieder sind gefährdet, darunter auch Penny Mordaunt – weltweit bekannt geworden, als sie bei der Krönung von König Charles ein Schwert trug -, die als Favoritin des moderaten Parteiflügels gilt.

Außer ihr stehen Ex-Innenministerin Suella Braverman und Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch für die Sunak-Nachfolge bereit. Laut «Times» wurden für beide bereits entsprechende Websites vorbereitet. Braverman und Badenoch sind Vertreterinnen des rechtskonservativen Parteiflügels. Unter ihrer Führung würden sich die Tories noch stärker zu einem Ersatz für eine rechtspopulistische Partei entwickeln als bisher, sagt Bale.

«Mr. Brexit» als Problem für die Konservativen 

Fraglich ist jedoch, ob die Tories sich in der Opposition behaupten können. Denn dieser Platz ist bereits besetzt: von Nigel Farage, der maßgeblich den Brexit vorangetrieben hat, und seiner Partei Reform UK. Mit Angriffen gegen Migranten und Kritik an der Konservativen Partei hat Farage, der für seine Nähe zu US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump und seine Zurückhaltung gegenüber Kremlchef Wladimir Putin bekannt ist, den Druck auf Sunak von rechts erhöht.

In Umfragen liegt Reform knapp hinter, mitunter sogar vor den Tories. Weil in Großbritannien nur der Wahlkreissieger einen Sitz im Parlament erhält, dürften die Rechtspopulisten zwar nur wenige Mandate einsammeln. Aber sie kosten die Konservativen entscheidende Stimmen. «Farage ist nicht der Hauptgrund, warum die Tories geschlagen wirken», fasst es Bale zusammen. «Aber er hat die ohnehin schon schlechte Lage für sie noch schlimmer gemacht.»

dpa