Seehofer genießt sein neues, ruhigeres Leben fernab von München und Berlin. Er setzt sich für lokale Projekte ein und liest viel.
Horst Seehofer: Vom Polit-Rampenlicht zum zufriedenen Rentner
Horst Seehofer ist verschwunden, weit weg. Trotz seiner langjährigen politischen Karriere hat er den Ausstieg erstaunlich gut gemeistert. Seit er Ende 2021 sein Amt als Bundesinnenminister abgegeben hat, ist er kaum noch präsent. Gelegentlich tritt er auf, zuletzt im Europawahlkampf für Manfred Weber. Es scheint, dass der ehemalige Spitzenpolitiker Seehofer heute ein zufriedener Polit-Rentner ist, was auch von alten Weggefährten bestätigt wird.
Phantomschmerzen, wie manche andere vor ihm? Fehlanzeige. «Das war mein Vorsatz – und das ist mir auch gelungen», sagt er. Und was Seehofer noch einhält (und was viele ihm nicht zugetraut hätten): Dass er, der einst mit wenigen Worten Koalitionen ins Wanken bringen oder seine ganze Partei verunsichern konnte, nun seit zweieinhalb Jahren schweigt, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen. Heute feiert er seinen 75. Geburtstag.
Seehofer genießt sein neues, ruhigeres Leben außerhalb von München und Berlin. «Das ist ein unheimlicher Befreiungsschlag: Keinen Verantwortungsdruck mehr haben, in keine festen Pläne mehr eingebunden sein. Ich mache nur noch Wohlfühltermine und was mir Spaß macht», sagt er. «Ich setze mich hier vor Ort für die Hochschulen, die Kirche, Sportvereine ein, helfe mit Rat und manchmal auch mit Tat. Außerdem bin ich viel in der Natur unterwegs, gehe zu vielen Stammtischen und Gesprächskreisen mit Freunden. Mir wird nicht langweilig.» Und Seehofer liest viel, fährt Fahrrad, E-Bike, arbeitet nebenbei an der Digitalisierung seiner Modelleisenbahn. Die Nachrichten scannt er täglich, aber nur wenige Artikel liest er komplett.
«Ich gehe in keine Talkshow»
Auf CSU-Parteitagen oder bei Vorstandssitzungen hat man Seehofer als Pensionär ohnehin nicht mehr gesehen. «Ich halte mich mit öffentlichen Äußerungen komplett zurück, bis auf vielleicht ein Interview pro Jahr. Ich gehe auch in keine Talkshow», sagt er und betont: «Vor allem die Grundentscheidung, die Politik meines Nachfolgers nicht zu bewerten, war richtig.» Wobei man sagen muss: Wie schlecht es um das Verhältnis Seehofers zum aktuellen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder bestellt ist, ist allgemein bekannt. Dazu braucht es keine neuen Interviews, von keinem der beiden.
Söder gratuliert Seehofer – natürlich ohne all dies zu erwähnen – vorab: Bayern habe ihm viel zu verdanken. «Er hat Krisen gemanagt in schwierigen Zeiten, aktiv Zukunft gestaltet und den Menschen als Landesvater Zuversicht gegeben.» Seehofer habe sich als Vollblutpolitiker große Verdienste erworben und könne auf ein eindrucksvolles Lebenswerk zurückblicken.
Interessant ist indes schon, was Seehofer in einem aktuellen Interview der «Augsburger Allgemeinen» über die Lage von CDU und CSU sagt: dass er das Potenzial für die Union insgesamt bei 30 bis 40 Prozent sieht, und für die CSU bei «weit über 40 Prozent». «Wir erreichen derzeit aber nur den unteren Rand, bestenfalls.» In den vergangenen Jahren sei eigentlich überhaupt kein Wahlergebnis mehr aus seiner Zeit erreicht worden. «Ich schildere nur Tatsachen, ohne Vorwurf», schiebt Seehofer hinterher. Und wen hält er für den richtigen Mann für die Unions-Kanzlerkandidatur, CDU-Chef Friedrich Merz? «Ja», sagt Seehofer. «Er macht seine Arbeit als Partei- und Fraktionsvorsitzender sehr gut. Er hat die CDU geordnet.»
Mehr als vier Jahrzehnte Politik
Seehofers Lebensleistung wird jedoch nicht einmal von seinen politischen Gegnern und Kontrahenten ernsthaft in Frage gestellt. Über vier Jahrzehnte seines Lebens hat er der Politik gewidmet. Insgesamt 28 Jahre verbrachte er im Bundestag für die CSU. Er war Bundesminister, Parteichef und bayerischer Ministerpräsident. Er hat sowohl persönlich als auch politisch Höhen und Tiefen erlebt wie kaum ein anderer. Im Jahr 2002 erlitt er eine Herzmuskelentzündung, die ihn fast das Leben kostete.
Auch politisch erlebte Seehofer Höhen und Tiefen: Seine gesamte Karriere stand auf dem Spiel, als er einst im Streit über die Gesundheitspolitik als Bundestags-Fraktionsvize zurücktreten musste. Jahre später unterlag er im Kampf um den CSU-Vorsitz seinem Rivalen Erwin Huber – bevor er nach der Landtagswahl-Pleite 2008 doch noch zum Zuge kam.
Seehofer regierte einige Jahre lang als bayerischer Ministerpräsident unangreifbar, aber nicht unumstritten. Seine Kritiker warfen ihm einen autokratischen Regierungsstil vor und behaupteten, dass er ein gnadenloser Populist sei und seinen Kurs ändere wie ein Fähnchen im Wind.
«Soziales Gewissen» der CSU
Ein historisch bleibendes Verdienst Seehofers ist eine Reise, die ihn Ende 2010 nach Prag führte. Seehofer war es, der nach langem Streit um die Vertreibung der Sudetendeutschen eine politische Eiszeit beendete: Mit dem ersten Besuch eines bayerischen Regierungschefs in Prag schlug er damals ein ganz neues Kapitel in den Beziehungen zu Tschechien auf. Und was Seehofer noch auszeichnete: ein sozialer Kompass, der manchen Politikern heute zu fehlen scheint. «Soziales Gewissen» der CSU wurde er früher genannt, mit einem Blick für die «kleinen Leute» – auch er selbst hatte sich aus ärmeren Verhältnissen hochgearbeitet.
«Das schönste Amt war tatsächlich das Ministerpräsidenten-Amt, wegen des Kontakts zu so vielen Menschen überall im Land», sagt Seehofer heute. «Manche meinen ja sogar, Sie sind der Königsnachfolger, daran hat sich bis heute nichts geändert. Und die schönste Erfahrung war, dass wir 2013 die absolute Mehrheit im Landtag noch einmal zurückerobern konnten.»
Siege und bittere Niederlagen
Nach erfolgreichen Zeiten wie diesen musste Seehofer auch in Bayern schmerzhafte Niederlagen hinnehmen. Trotz zahlreicher Wahlpleiten zögerte er sein Karriereende als bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef hinaus, bis der wachsende interne Druck der CSU ihn schließlich zum schrittweisen Rücktritt zwang. Eine seiner letzten bitteren Niederlagen war es, als er damals ausgerechnet seinem langjährigen Rivalen Söder Platz machen musste.
Seehofer setzte jedoch seine Arbeit in Berlin fort. Im Jahr 2018, im Alter von 68 Jahren, wurde er Bundesinnenminister mit Verantwortungsbereichen für Bau und Heimat. Dies geschah unter Kanzlerin Angela Merkel, mit der er zuvor jahrelang über die Flüchtlingspolitik gestritten hatte.
Seehofer blieb jedoch seinem Verhalten treu: Auch in seinem neuen Amt schaffte er es ab und zu, einen Großteil der Bevölkerung gegen sich aufzubringen. Einmal drohte er Merkel spektakulär mit Rücktritt, erneut ging es um die Asyl- und Flüchtlingspolitik – um dann letztendlich doch nachzugeben. Seehofer präsentierte seine spektakulären Wendungen stets überzeugt als vollkommen stringent.
Eigene Fehler sieht er rückblickend nur einzelne. «Meine erste Reform als Bundesgesundheitsminister würde ich heute anders gestalten, flexibler, nicht mehr so hart», sagt er. Kritik, er habe als bayerischer Ministerpräsident den Bau von Stromtrassen oder Windrädern gebremst, lässt er nicht gelten. «Ich stehe zu dem, was wir entschieden haben, und zwar zu 100 Prozent», sagt er. «Wir haben dadurch viel Unfrieden vermieden.»
Was wünscht er sich für die Zukunft? «Politisch hätte ich einen Wunsch: dass noch deutlich mehr getan wird für Kinder aus benachteiligten Familien – damit diese auch eine vernünftige Ausbildung bekommen. Bildung ist nun einmal das Tor zum Leben», sagt er. «Und persönlich habe ich eigentlich nur einen Wunsch: Gesundheit für meine Umgebung und für mich.»