Herrnhut ist jetzt Welterbe. Und nach dem Städtchen in Sachsen ist als Nächstes in Deutschland wohl Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin an der Reihe.
Welterbe Herrnhut: «Eine Idee des Zusammenlebens»
Die UNESCO hat die sächsische Kleinstadt Herrnhut als Teil der Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine als neues Welterbe ausgezeichnet. Das zuständige Komitee der UN-Organisation für Kultur gab die Entscheidung am Freitag im indischen Neu-Delhi bekannt. Inzwischen gibt es mehr als 1200 Welterbestätten. Davon sind in Deutschland mehr als 50, was einem Anteil von etwa 4,5 Prozent entspricht. Nicht übel.
Es wird erwartet, dass am Samstag eine Entscheidung über einen deutschen Antrag getroffen wird: Schwerin und sein Schloss auf einer Insel im See sowie weitere Teile der Innenstadt könnten dann ebenfalls auf der Liste des Weltkulturerbes landen.
«Die Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine stehen für den kulturellen und geistigen Austausch über Ländergrenzen und Kontinente hinweg», sagte die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer.
Brüdergemeine 1722 in Herrnhut gegründet
Herrnhut ist der Ursprung für die Evangelische Brüdergemeine. Protestantische Glaubensflüchtlinge aus Mähren gründeten den Ort vor gut 300 Jahren. Das fehlende «d» im Namen der Gemeinde «Brüdergemeine» ist der Sprache der damaligen Zeit geschuldet.
Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) bot den Glaubensflüchtlingen das Land in der Oberlausitz zur Ansiedlung an.
Am 17. Juni 1722 fällte der Zimmermann Christian David den ersten Baum, um den neuen Ort unter des «Herrn Hut» zu bauen. Als sich die Brüder-Unität weltweit ausbreitete, trugen Missionare aus der Oberlausitz einen Bauplan für neue Siedlungen in andere Länder. Mit Christiansfeld in Dänemark wurde eine davon schon 2015 Unesco-Welterbe.
Herrnhut wurde nun gemeinsam mit Bethlehem in Pennsylvania (USA) und Gracehill in Nordirland aufgrund eines transnationalen Erweiterungsantrags in die Liste aufgenommen.
Einstimmige Entscheidung
Nach Angaben von Sachsens Staatskanzleichef Conrad Clemens wurde der Beschluss einstimmig gefasst. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gratulierte Herrnhut. „Er freue sich sehr“, sagte er in einer Videobotschaft auf der Plattform X.
Vize-Ministerpräsident Wolfram Günther (Grüne) sagte, die Unesco-Entscheidung sei «eine hervorragende Nachricht». «In Zeiten, in denen viele negative Nachrichten aus Sachsen kommen, richtet die Entscheidung den Blick auf die vielen Engagierten und Aktiven vor Ort, die an der Zukunft des Freistaats bauen.»
Die Brüdergemeine-Siedlungen zeichneten eine schlichte, klare Architektur aus mit Fokus auf gemeinsamem Leben, Arbeiten und Glauben, sagte Staatskanzleichef Clemens, der als Sohn eines Pfarrers der evangelischen Freikirche seit Geburt der Herrnhuter Brüdergemeine angehört. «Es ist eine Idee des Zusammenlebens, die auf Weltoffenheit, Gleichberechtigung und fast familiärem Zusammenhalt fußt», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der Titel sei «in einer Zeit, wo wir viel Spaltung und Polarisierung erleben, ein schönes Zeichen».
Schon am Freitag wurden neben Herrnhut andere Orte in die Welterbeliste aufgenommen. Besonders bemerkenswert ist die archäologische Stätte des Klosters des Heiligen Hilarion, auch als Tell Umm Amer bekannt, im Gazastreifen. Das Kloster, das im 4. Jahrhundert in byzantinischer Zeit gegründet wurde, wurde auch in die Liste des gefährdeten Welterbes aufgenommen.
Die Stätte befindet sich in einem Dorf weniger als zehn Kilometer südlich von Gaza-Stadt und wird als frühes Zeugnis des Christentums in der Region angesehen. Es herrscht derzeit Krieg im Gazastreifen. Israel reagierte mit Luftangriffen und einer Bodenoffensive, nachdem Terroristen der regierenden Hamas im Gazastreifen am 7. Oktober ein beispielloses Massaker mit über 1200 Toten in Israel verübt hatten.
Titel «Weltkulturerbe» als Tourismusfaktor
In Regionen ohne Krieg ist der Titel «Weltkulturerbe» in den letzten Jahrzehnten zu einem Tourismusfaktor geworden. Die Unesco weiß: Die meisten Kultur- und Naturerbestätten erlangen mit ihrer Einschreibung einen gesteigerten Bekanntheitsgrad, der sich oftmals in einer Zunahme der Besucherzahlen spiegelt.
In Wismar an der Ostseeküste, die Stadt in Mecklenburg wurde 2002 aufgenommen, haben sich die Übernachtungszahlen seither auf etwa 414.000 im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Der Welterbe-Status sei dabei ein Faktor von mehreren, sagt ein Stadtsprecher. Ein anderer sei die ZDF-Krimiserie «Soko Wismar».
In Schwerin, der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern (MV) erwarten die Touristiker angesichts der anstehenden Entscheidung ebenfalls einen Boom von Städtetouristen. «Selbstverständlich gibt es die Erwartung, dass Schwerin durch den Status als Weltkulturerbe international an Bekanntheit gewinnt», heißt es von der Stadt.
MV-Landestourismusverbandschef Tobias Woitendorf betont das Potenzial: «Aus der Chance heraus entstehen natürlich auch Anforderungen wie Mehrsprachigkeit, Digitalisierung sowie ein gutes Orientierungs- und Informationssystem für die Gäste der Stadt, damit das Entdecken des gekürten Areals für alle zum Erlebnis werden kann.»