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Krieg in der Ukraine: So ist die Lage

Moskaus Militär meldet die Tötung Dutzender Generäle und Offiziere. Die ukrainische Hauptstadt Kiew ist am Sonntagmorgen erneut aus der Luft angegriffen worden. Die Entwicklungen im Überblick.

Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen mit dem Militär in der Region Mykolajiw.
Foto: -/Ukrainian Presidential Press Office/AP/dpa

Die Ukraine soll sich nach Aussage von Bundeskanzler Olaf Scholz auf die Unterstützung des Westens verlassen können, auch wenn sich der Abwehrkampf gegen Russland noch lange hinziehen sollte.

«Klar ist, und das werden wir dort nochmal als G7 zusichern, dass wir die Ukraine so lange unterstützen, wie das nötig ist», sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in einem Interview kurz vor dem Gipfel der sieben führenden demokratischen Industrienationen am kommenden Wochenende auf Schloss Elmau.

Der Westen muss sich nach Einschätzung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg darauf vorbereiten, dass der Krieg «Jahre dauern könnte», wie er der «Bild am Sonntag» sagte. Deshalb dürfe die Unterstützung für die Ukraine nicht nachlassen. Die Kosten dafür seien hoch, aber das sei kein Vergleich zu dem Preis, den die Ukraine jeden Tag mit vielen Menschenleben zahle, sagte Stoltenberg.

Auch der britische Premierminister Boris Johnson rechnet nicht mit einem baldigen Ende. Der russische Präsident Wladimir Putin habe sich auf einen Abnutzungskrieg verlegt, um die Ukraine «mit schierer Brutalität» in die Knie zu zwingen, schrieb Johnson in einem Gastbeitrag für die «Times on Sunday». Die Ukraine selbst peilt neue Verhandlungen mit Russland erst für Ende August an – nach ukrainischen Gegenangriffen.

Ukrainischer Außenminister: «Werden mit Schaufeln kämpfen»

Die Ukraine würde auch im Falle eines Endes westlicher Waffenlieferungen den Kampf gegen Russland weiterführen. «Wenn wir keine Waffen erhalten, in Ordnung, dann werden wir mit Schaufeln kämpfen, aber wir werden uns verteidigen, denn dieser Krieg ist ein Krieg um unsere Existenz», sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf Englisch in der ARD-Talksendung «Anne Will». «Je früher wir also Waffen erhalten, je früher sie gesendet werden, desto größer ist die Hilfe für uns. Wenn Waffen später geschickt werden, werden wir nach wie vor „danke“ sagen, aber dann wird viel verspielt sein, viele Menschen werden gestorben sein.»

Kuleba betonte, niemand im Westen solle glauben, dass die Ukraine ohne Waffenlieferungen eher zu Zugeständnissen bereit wäre. Er fügte hinzu: «Je später sie uns die Waffen schicken, desto mehr Menschen werden vorher sterben und desto mehr Menschen werden den russischen Grausamkeiten zum Opfer fallen und mehr ukrainisches Territorium wird von den Russen erobert werden.»

Kuleba sagte, sein Land habe deutlich weniger Waffen als Russland zur Verfügung. «Wir können den Krieg nicht mit einem solchen Ungleichgewicht gewinnen.» In den vergangenen Tagen hätten die Russen allein 1000 Raketen auf Ziele in der Ukraine abgefeuert. Deswegen benötige sein Land auch Luftabwehrsysteme.

Medien: Britischer Armeechef mahnt zur Vorbereitung

Der neue Generalstabschef der britischen Streitkräfte hat Medienberichten zufolge in einem Rundschreiben an alle Soldaten die Vorbereitung auf einen Kriegseinsatz in Europa gefordert. Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine müsse sich Großbritannien auch auf weitere russische Aggressionen auf dem europäischen Festland einstellen, argumentierte General Patrick Sanders der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge. «Es gibt jetzt den dringenden Zwang, eine Armee aufzubauen, die in der Lage ist, an der Seite unserer Verbündeten Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen», zitierte PA aus dem Schreiben des Generalstabschefs, der seinen Posten am vergangenen Montag angetreten hatte. Der Generalstabschef ist der ranghöchste Soldat der britischen Landstreitkräfte.

Moskaus Militär meldet Tötung Dutzender Generäle

Das russische Militär hat nach eigenen Angaben mit einem Raketenangriff einen Führungsgefechtsstand der ukrainischen Streitkräfte mit hochrangigen Offizieren zerstört.

«Durch den Schlag wurden mehr als 50 Generäle und Offiziere der ukrainischen Streitkräfte, darunter auch Generalstabsoffiziere und der Kommandostab des Truppenverbands «Kachowka», der Luftlandetruppen und der Verbände vernichtet, die im Gebiet Mykolajiw und Saporischschja agieren», sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow am Sonntag.

Laut Konaschenkow lag der ukrainische Führungsgefechtsstand im Gebiet Dnipropetrowsk nahe der Siedlung Schyroka Datscha, südlich der Großstadt Krywyj Rih und wurde von seebasierten Marschflugkörpern des Typs «Kalibr» getroffen. Die Lenkwaffen sollen eine Reichweite von bis zu 2500 Kilometer haben.

Daneben seien durch die Kalibr-Raketen auch mehrere westliche Artilleriesysteme vom Typ M777 und bis zu 20 gepanzerten Fahrzeuge auf einem Werksgelände in Mykolajiw vernichtet worden. Andere Raketen hätten eine Eisenbahnstation im Gebiet Dnipropetrowsk getroffen, wo gerade ukrainisches Militär verladen wurde. Zudem sei auch im Gebiet Donezk eine größere ukrainische Einheit mit Raketen beschossen worden. Konaschenkow bezifferte die ukrainischen Verluste in den beiden letztgenannten Fällen auf mehr als 300 Soldaten. Unabhängig können diese Angaben nicht überprüft werden.

Der Armeesprecher verkündete zudem die vollständige Einnahme der Ortschaft Metjolkine durch russische Truppen. Der ukrainische Generalstab hatte zuvor einen russischen Teilerfolg bei den Kämpfen um den Vorort des Verwaltungszentrums Sjewjerodonezk eingeräumt.

Neue Luftangriffe auf ukrainische Hauptstadt Kiew

Die ukrainische Hauptstadt Kiew ist am Sonntagmorgen erneut aus der Luft angegriffen worden – es waren Sirenen des Luftalarms und Explosionen zu hören. Nach offiziellen Angaben schoss die ukrainische Luftabwehr russische Raketen über der Stadt jedoch ab. «Im Stadtbezirk Wyschhorod waren heute Morgen Explosionen zu hören. Die Luftabwehr hat feindliche Flugziele beschossen», teilte der Militärgouverneur des Gebiets Kiew, Olexij Kuleba, am Sonntag auf seinem Telegram-Kanal mit.

Seinen Angaben zufolge gab es keine Schäden und Verletzten in der Stadt. Er bat die Kiewer allerdings darum, weiterhin nach dem Luftalarm die Schutzkeller aufzusuchen. In verschiedenen sozialen Netzwerken tauchten später Fotos auf, die Spuren einer Rakete am Himmel über dem Gebiet Kiew zeigen sollen.

Russische Truppen haben Kiew seit Kriegsbeginn mehrfach unter Beschuss genommen. Zu Beginn der Invasion versuchten russische Boden- und Luftlandetruppen auch, die ukrainische Hauptstadt zu erobern, wurden aber zurückgeschlagen. Später hat Moskau seine Truppen aus dem Gebiet um Kiew zurückgezogen. Mit Raketen ist die Stadt aber von russischem Gebiet aus immer noch zu erreichen.

So schlug unter anderem während des Besuchs von UN-Generalsekretär António Guterres Ende April eine Rakete in einem Wohnhaus im Zentrum von Kiew ein. Bei der Kiew-Visite von Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag gab es gleich zweimal Luftalarm, ein Einschlag wurde aber nicht gemeldet.

Johnson warnt vor langwierigem Krieg in der Ukraine

Der britische Premierminister Boris Johnson hat die westlichen Verbündeten aufgerufen, sich auf einen langen Krieg in der Ukraine einzustellen. Der russische Präsident Wladimir Putin habe sich auf einen Abnutzungskrieg verlegt, um die Ukraine «mit schierer Brutalität» in die Knie zu zwingen, schrieb der konservative Politiker in einem Gastbeitrag für die «Times on Sunday».

«Das Vereinigte Königreich und seine Freunde müssen darauf reagieren, indem sie sicherstellen, dass die Ukraine das strategische Durchhaltevermögen hat, um zu überleben und als Sieger hervorzugehen», schrieb Johnson. Zeit sei dabei ein entscheidender Faktor. «Alles wird davon abhängen, ob die Ukraine ihre Fähigkeiten zur Verteidigung ihres Territoriums schneller stärken kann als Russland seine Angriffskapazitäten erneuert.»

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte in einem Interview mit der «Bild»-Zeitung die Sorge geäußert, der Krieg könne sich auf Jahre hinziehen. Sollte die Unterstützung für die Ukraine nachlassen, werde man einen hohen Preis dafür zahlen, warnte Stoltenberg.

Fahnenflucht wohl auch Problem aufseiten der Ukraine

Die intensiven Gefechte im Donbass setzen nach Einschätzung britischer Geheimdienstexperten der Kampfmoral der Truppen beider Seiten im Ukraine-Krieg zu. «Ukrainische Kräfte haben wahrscheinlich in den vergangenen Wochen unter Desertionen gelitten, allerdings ist höchstwahrscheinlich insbesondere die russische Moral weiterhin mit Problemen belastet», hieß es in dem täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg des Verteidigungsministeriums in London. Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine vor rund vier Monaten hatte es immer wieder Berichte über russische Soldaten gegeben, die Fahnenflucht begingen.

«Es gibt weiterhin Fälle, in denen gesamte russische Einheiten Befehle verweigern, und es kommt weiterhin zu bewaffneten Konfrontationen zwischen Offizieren und Soldaten» so die Mitteilung weiter. Hintergrund für die niedrige russische Moral seien unter anderem eine als schlecht wahrgenommene Führung, begrenzte Möglichkeiten zur Ablösung von der Front, sehr schwere Verluste, Stress, schlechte Logistik und Probleme mit der Bezahlung.

Beide Seiten setzten den Briten zufolge in den vergangenen Tagen ihre schweren Artilleriebeschüsse auf den Achsen nördlich, östlich und südlich des Kessels von Sjewjerodonezk im Osten des Landes fort. Die Frontlinie habe sich aber kaum verändert.

Russische Truppen: Geländegewinne bei Sjewjerodonezk

In dem erbitterten Kampf um die ostukrainische Stadt Sjewjerodonezk haben russische Truppen Geländegewinne erzielt und sind in einen Vorort eingedrungen. «Durch Beschuss und die Erstürmung hat der Feind in der Ortschaft Metjolkine einen Teilerfolg erzielt und versucht sich dort festzusetzen», teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht mit.

Das große Dorf Metjolkine liegt südöstlich von Sjewjerodonezk. Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow hatte zuvor erklärt, russische Kräfte hätten die Ortschaft vollständig eingenommen. Die russischen Streitkräfte setzen in der Ukraine mehrere Einheiten aus Tschetschenien mit Tausenden Bewaffneten ein. In Metjolkine seien Offiziere und Soldaten des ukrainischen Bataillons Ajdar freiwillig in Gefangenschaft gegangen, meldete die russische Agentur Tass unter Berufung auf die prorussischen Separatisten der Volksrepublik Luhansk. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Russische Truppen haben das weitgehend zerstörte Sjewjerodonezk immer noch nicht unter Kontrolle. Allerdings wird die Lage immer prekärer für ukrainische Zivilisten, die Zuflucht im örtlichen Chemiewerk Azot gesucht haben. Sie wollten aber nicht evakuiert werden, sagte der Gouverneur des Gebietes Luhansk, Serhij Hajdaj.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte unterdessen, mit Hilfe weiterer Waffenlieferungen aus dem Westen werde die Ukraine die russischen Truppen wieder aus dem Donbass vertreiben können.

Kasachstan ruft zur Vernichtung von Atomwaffen auf

Die Führung der Ex-Sowjetrepublik Kasachstan in Zentralasien hat vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs dazu aufgerufen, bis 2045 weltweit alle Atomwaffen zu vernichten. «Der derzeitige militärische Konflikt auf dem Gebiet der Ukraine, die Gespräche über die atomare Wiederbewaffnung und gegenseitige Drohungen über die Anwendung der Atomwaffen, zwingen uns mehr als je zuvor dazu, darüber nachzudenken, wie verwundbar die Menschheit und wie dringend nötig ein Verbot und die Vernichtung dieser tödlichen Waffe ist», schrieb der kasachische Außenminister Muchtar Tleuberdi in einem Artikel, der am Sonntag auf der Webseite der Tageszeitung «Liter» erschien.

Er rufe alle Staaten, darunter auch die Atommächte, dazu auf, einen Etappenplan zu erarbeiten, um bis 2045 weltweit das gesamte Atomwaffenarsenal zu liquidieren. Das Jahr 2045 sei wegen des 100. Geburtstag der Vereinten Nationen ein wichtiges Datum, so Tleuberdi.

dpa