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Lagebild Organisierte Kriminalität: Brutalität nimmt zu

Der Druck auf kriminelle Banden steigt. Zur Wahrheit gehört dabei, dass der Anstoß für viele Verfahren aus dem Ausland kam. Dort war es der Polizei gelungen, Nachrichten aus einem Krypto-Messengerdienst zu entschlüsseln.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nimmt vor der Bundespressekonferenz an der Vorstellung des vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Lagebericht zur Organisierten Kriminalität teil.
Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Um ausufernde Gewalt und Bandenkriege wie in Schweden oder den Niederlanden zu verhindern, will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den Druck auf kriminelle Clans und andere Gruppierungen der organisierten Kriminalität erhöhen. Es handele sich um «ein wachsendes Phänomen mit erheblichen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft», sagte Faeser am Mittwoch in Berlin bei der Vorstellung des bundesweiten Lagebildes Organisierte Kriminalität (OK).

– Mehr Verfahren: Wie das vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellte Lagebild zeigt, ist die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen kriminelle Banden in Deutschland 2021 im Vergleich zum Vorjahr um rund 17 Prozent auf 696 Verfahren angestiegen. Hauptgrund für diese Entwicklung sind Informationen, die aus der 2020 entschlüsselten geheimen Kommunikation von Verbrechern stammen, vor allem über den Anbieter Encrochat. Der Polizei in den Niederlanden und Frankreich war es 2020 gelungen, mehr als 20 Millionen geheimer Nachrichten abzuschöpfen. In der Folge wurden auch in Deutschland zahlreiche Drogenhändler verurteilt.

– Mehr Waffen: Eine weitere Entwicklung, die der Polizei Sorgen macht, ist die immer stärkere Bewaffnung der Mitglieder von OK-Gruppierungen. Lag der Anteil der bewaffneten Tatverdächtigen 2020 noch bei rund 6,4 Prozent, so wurde im vergangenen Jahr bei 7,5 Prozent der Verdächtigen eine Waffe sichergestellt. Auch bei Durchsuchungen von mutmaßlichen Mitgliedern der inzwischen verbotenen rockerähnlichen Gruppierung «United Tribuns» in der vergangenen Woche waren zahlreiche Waffen beschlagnahmt worden.

– Größere Brutalität: Um «Schuldner» einzuschüchtern und sich gegenüber rivalisierenden Verbrecherbanden zu behaupten, greifen Angehörige von OK-Gruppierungen nach Angaben der Polizei zunehmend zu drastischen Methoden. Im Lagebericht heißt es: «In einem Verfahren zerschnitt eine Person einem „Geschäftspartner“ mit einem Teppichmesser vor laufender Kamera das Gesicht und zeigte das Video zur Einschüchterung einem weiteren Tatbeteiligten.»

– Mehr finanzieller Schaden: Den durch OK-Gruppierungen im vergangenen Jahr verursachten finanziellen Schaden gibt das Bundeskriminalamt mit 2,2 Milliarden Euro an. Zum Vergleich: Im Vorjahr lag die Summe bei rund 837 Millionen Euro. Ein Grund ist die hohe Zahl von Betrugsdelikten. Dass diese stark zugenommen haben, zeigt laut BKA, wie schnell manche Verbrecherbanden auf neue Tatgelegenheiten reagieren. So hat sich die Zahl der Verfahren, in denen Bezüge zur Corona-Pandemie festgestellt wurden, 2021 im Vergleich zum Jahr davor verdreifacht. «Dieser Anstieg ist in hohem Maße auf die unrechtmäßige Beantragung und Nutzung von Corona-Soforthilfen der Bundesregierung zurückzuführen», heißt es.

– Mafia-Gruppen: Mehr als verdoppelt hat sich die Zahl der Tatverdächtigen, die verschiedenen italienischen Gruppierungen zugeordnet werden. Im vergangenen Jahr ermittelte die Polizei hier 319 Verdächtige.

– Clankriminalität: Mehr als 70 Prozent der 34 Ermittlungsverfahren in diesem Bereich konzentrierten sich auf die Bundesländer Berlin, Nordrhein-Westfalen, Bremen und Niedersachsen. Dort hätten sich «kriminelle Strukturen der Clankriminalität in besonderer Weise verfestigt», heißt es in dem Lagebild, das die Situation im Jahr 2021 abbildet. Die Strukturen «dürfen sich nicht weiter verfestigen», sagte Faeser. Wichtige Elemente der Bekämpfung seien eine hohe Polizeipräsenz an bestimmten Brennpunkten, «auch Videoüberwachung an entsprechenden Orten kann ein nützliches Mittel sein». Hier müsse die Botschaft gesendet werden: «Der Rechtsstaat lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen.»

Der Grünen-Obmann im Innenausschuss des Bundestages, Marcel Emmerich, sagte, es sei nicht die Herkunft, «sondern die soziale Situation wie Bildungschancen und Zugang zum Arbeits- und Wohnungsmarkt, die gerade junge Menschen in die Kriminalität treiben». Laut BKA nutzen kriminelle Clanmitglieder «Verbindungen in die ursprünglichen Herkunftsländer zur Begehung von Straftaten, aber auch als potenzielle Rückzugsmöglichkeit im Falle einer Strafverfolgung».

dpa