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Russlands Teilmobilmachung sorgt für heftige Debatte bei UN

Am Morgen ordnet der Kremlchef in einer Fernsehansprache eine Teilmobilmachung der russischen Streitkräfte an. Von der anderen Seite der Welt geben Scholz, Biden und Macron deutliche Antworten.

Bundeskanzler Olaf Scholz spricht vor den Delegierten in der UN-Generaldebatte.
Foto: Michael Kappeler/dpa

Die russische Anordnung einer Teilmobilisierung der eigenen Streitkräfte im Angriffskrieg gegen die Ukraine hat weltweit Besorgnis und Kritik ausgelöst. Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte in einer Fernsehansprache am Mittwochmorgen an, noch am selben Tag mit der Aktion zu beginnen. Verteidigungsminister Sergej Schoigu nannte 300.000 Reservisten, die mobilisiert werden sollen. Knapp sieben Monate nach Beginn des Krieges will der Kreml so auch Personalprobleme an der Front lösen.

Der Ukraine-Krieg dominierte auch die UN-Generaldebatte in New York, wo mehr als 140 Staats- und Regierungschefs am Sitz der Vereinten Nationen Reden halten wollten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warf dem Kreml «Imperialismus» vor, US-Präsident Joe Biden sagte, Russland wolle die Ukraine mit seinem «schamlosen» Verstoß gegen die UN-Charta vernichten. In der Nacht zum Donnerstag wurde in New York auch eine Videobotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erwartet. Russland wird von Außenminister Sergej Lawrow vertreten.

Mit den neuen Truppen will der Kreml auch die angekündigten Scheinreferenden in besetzten ukrainischen Gebieten über einen Beitritt zu Russland unterstützen. Die geplanten Abstimmungen, die vom 23. bis 27. September in den international nicht anerkannten «Volksrepubliken» Luhansk und Donezk im Osten sowie im südlichen Gebiet Cherson und in der Region Saporischschja abgehalten werden sollen, werden weltweit als völkerrechtswidrig angesehen. Sie laufen ohne Zustimmung der Ukraine, unter Kriegsrecht und nicht nach demokratischen Prinzipien ab. Auch ein Einsatz unabhängiger internationaler Beobachter ist nicht möglich.

Auf ähnliche Weise annektierte Russland 2014 die ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim. International wurde die Abstimmung nicht anerkannt. Auch diesmal ist eine Anerkennung nicht in Sicht. Dennoch würde der Kreml Angriffe auf Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja nach erfolgreichen Scheinreferenden wohl als Angriffe auf das eigene Staatsgebiet werten.

Scholz spricht von Imperialismus und «Akt der Verzweiflung»

Bundeskanzler Scholz bezeichnete die Mobilisierung Hunderttausender russischer Soldaten als «Akt der Verzweiflung». «Russland kann diesen verbrecherischen Krieg nicht gewinnen», sagte Scholz am Rande der UN-Generaldebatte. Er reagierte damit auch auf die geplanten Scheinreferenden.

Der Kanzler bekräftigte, dass die Abstimmungsergebnisse von der Weltgemeinschaft «niemals akzeptiert» würden. Sie könnten «keine Rechtfertigung dafür bieten, was Russland tatsächlich vorhat, nämlich mit Gewalt das Land des Nachbarn zu erobern oder Teile des Territoriums davon», betonte Scholz.

Schon zuvor hatte Scholz Kremlchef Putin in seiner ersten Rede vor der UN-Vollversammlung am Dienstagabend «blanken Imperialismus» vorgeworfen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hatte von einem Wiederaufleben des Imperialismus gesprochen.

Biden: Russland will Existenzrecht der Ukraine auslöschen

US-Präsident Biden warf Russland vor, die Ukraine vernichten zu wollen. «In diesem Krieg geht es schlicht und einfach darum, das Existenzrecht der Ukraine als Staat auszulöschen. Und das Recht der Ukraine, als Volk zu existieren», sagte Biden in seiner Rede. «Wer auch immer Sie sind, wo auch immer Sie leben, was auch immer Sie glauben, das sollte Ihnen das Blut in den Adern gefrieren lassen.»

Für Kriegsverbrechen in der Ukraine müsse Moskau zur Rechenschaft gezogen werden, forderte Biden in New York. Er verurteilte nicht nur von Russland geäußerte nukleare Drohungen scharf, sondern auch solche von Nordkorea und anderen Ländern. «Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden.»

Selenskyj: Russland laufen die Soldaten weg

Nach Meinung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj zeigt die angekündigte Teilmobilisierung in Russland, dass Moskau Probleme mit seinem Militärpersonal hat. «Wir wissen bereits, dass sie Kadetten mobilisiert haben, Jungs, die nicht kämpfen konnten. Diese Kadetten sind gefallen», sagte Selesnkyj im Interview der «Bild».

Putin brauche «eine millionenschwere Armee», sehe aber, «dass seine Einheiten einfach weglaufen». Zu Putins indirekter Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen sagte Selenskyj: «Ich glaube nicht daran, dass er diese Waffen einsetzen wird.» Er räumte aber ein: «Wir können diesem Menschen nicht in den Kopf schauen, es gibt Risiken.»

Nawalny: Putin «wirft russische Bürger in den Fleischwolf»

Nach dem Befehl zur Teilmobilmachung in Russland beklagte der im Straflager inhaftierte Kremlgegner Alexej Nawalny bei einem Auftritt vor Gericht, dass der «verbrecherische Krieg» Putins immer schlimmere Ausmaße annehme. Der Kremlchef wolle so viele Menschen wie möglich in das Blutvergießen in der Ukraine mit hineinziehen, sagte Nawalny am Mittwoch. «Um seine eigene Macht zu verlängern, zerfleischt er das Nachbarland, tötet dort Menschen. Und jetzt wirft er noch eine riesige Zahl an russischen Bürgern in den Fleischwolf», so Nawalny.

Bei Protesten gegen die Teilmobilmachung wurden in Russland Hunderte Menschen festgenommen. Das Bürgerrechtsportal OVD-Info zählte am Mittwochabend russlandweit 735 Festnahmen. In der Hauptstadt Moskau seien 260 Demonstranten festgesetzt worden, in St. Petersburg 267. In den beiden größten Städten des Landes gab es auch die größten Kundgebungen. In Moskau forderten die Menschen in Sprechchören ein «Russland ohne Putin». In Tomsk und Irkutsk in Sibirien, in Jekaterinburg am Ural und an anderen Orten gingen demnach vereinzelt Menschen auf die Straße. Angesichts massiver staatlicher Repressionen dürften die Proteste aber wohl nicht allzu groß ausfallen.

Russland-Experte: Putin wird nicht gut aus Krieg kommen

Der Russland-Experte Stefan Meister glaubt indes nicht, dass sich die Ukraine von der neuen Eskalation durch Russland demotivieren lasse. «Die Leute, die jetzt eingezogen werden, sind auch nicht unbedingt die Bestausgebildetsten und Kampffähigsten.» Es könne Wochen oder gar Monate dauern, bis sie alle einsatzfähig seien. Bis dahin könne die Ukraine noch ganze Landesteile zurückerobert haben, sagte der Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Zudem gerate Putin in Russland selbst zunehmend unter Druck, der innere Rückhalt schwinde. «Umso mehr die russische Gesellschaft in diesen Krieg hineingezogen wird, umso mehr Opfer, auch Tote auch zurückkommen aus der Ukraine, umso größer wird der Druck sein auf Putin. Ich sehe hier nicht, dass Putin da gut rauskommen wird aus diesem Krieg», sagte Meister weiter.

dpa