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Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Russland und die Ukraine wollen am Dienstag in Istanbul wieder verhandeln. Seit Beginn der russischen Invasion sind ukrainischen Angaben zufolge mehr als 140 Kinder getötet worden. Aktuelle Entwicklungen.

Ein ukrainischer Spezialpolizist patrouilliert während der nächtlichen Ausgangssperre.
Foto: Felipe Dana/AP/dpa

Rund viereinhalb Wochen nach der russischen Invasion in die Ukraine starten Moskau und Kiew am Dienstag in Istanbul eine neue Verhandlungsrunde.

Die Delegationen aus Russland und der Ukraine kommen am Dienstagmorgen um etwa 9:30 MESZ im Dolmabahce-Büro des Präsidenten in Istanbul zusammen, wie das türkische Präsidialbüro mitteilte. Vor Beginn der Gespräche wolle sich die türkische Seite jeweils mit den Delegationen treffen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan nach einer Kabinettssitzung in Ankara. Er betonte erneut, er hoffe auf einen baldigen Waffenstillstand.

Erdogan sagte, er halte telefonischen Kontakt zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und zu Kremlchef Wladimir Putin, es gehe in eine «positive Richtung». Die Unterhändler aus der Ukraine und aus Russland waren bereits dreimal im Grenzgebiet von Belarus zusammengetroffen. Danach wurden die Gespräche in Videoschalten abgehalten.

Die Verhandlungen zwischen der ukrainischen und der russischen Delegationen gestalten sich mehr als vier Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs als äußerst schwierig. Kiew will etwa einen Abzug der russischen Truppen und Sicherheitsgarantien. Moskau fordert einen Nato-Verzicht der Ukraine sowie eine Anerkennung der abtrünnigen ostukrainischen Separatistengebiete als eigene Staaten und der 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim als Teil Russlands.

Selenskyj: Situation ungeachtet ukrainischer Erfolge angespannt

Ungeachtet mancher militärischer Erfolge schätzt Selenskyj die Situation in seinem Land weiter als angespannt ein. Das sagte er in seiner allabendlichen Videoansprache auf Telegram. Die ukrainischen Verteidiger hätten russische Einheiten aus der Stadt Irpin bei Kiew zurückschlagen können, sagte er. Die Kämpfe dauerten jedoch dort und auch in anderen Landesteilen weiter an.

Russische Truppen hielten den Norden des Kiewer Gebiets unter ihrer Kontrolle, verfügten über Ressourcen und Kräfte, sagte Selenskyj. Sie versuchten, zerschlagene Einheiten wieder aufzubauen. Auch in den Gebieten Tschernihiw, Sumy, Charkiw, Donbass und im Süden der Ukraine bleibe die Lage «sehr schwierig».

Selenskyj forderte erneut schärfere Sanktionen gegen Russland. Bezüglich eines in Europa diskutierten Embargos russischer Öllieferungen sagte er, dass es nun viele Hinweise gebe, dass eine derartige Verschärfung der Sanktionen gegen Russland nur erfolgen werde, wenn Moskau Chemiewaffen einsetze. «Dafür gibt es keine Worte», sagte Selenskyj. «Denken Sie mal, wie weit es gekommen ist. Auf Chemiewaffen warten», sagte er weiter und stellte die Frage ob nicht alles, was Russland bisher getan habe, bereits ein derartiges Embargo verdiene. Details dazu, woher diese Hinweise stammten, nannte er nicht.

Berichte von großen Zerstörungen in Charkiw

In der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw sind seit Beginn der russischen Angriffe nach ukrainischen Angaben fast 1180 mehrgeschossige Wohnhäuser zerstört worden, sagte der Charkiwer Bürgermeister Ihor Terechow nach Angaben der Agentur Unian. Außerdem seien mehr als 50 Kindergärten, fast 70 Schulen und 15 Krankenhäuser vernichtet worden. Binnen 24 Stunden hätten die russischen Truppen Charkiw fast 60 Mal mit Artillerie und Mörsern beschossen. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Rund 30 Prozent der Bevölkerung hätten die Stadt verlassen, so Terechow. Einige Menschen seien aber auch wieder zurückgekehrt. Charkiw hatte vor Kriegsbeginn rund 1,5 Millionen Einwohner und ist nach Kiew die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Seit der russischen Invasion vor viereinhalb Wochen wird die Stadt aus der Luft und mit Artillerie angegriffen.

Die Bewohner ausgebombter Häuser werden nach Angaben Terechows in verbliebenen Schulen, Kindergärten sowie Kellern und U-Bahn-Stationen untergebracht. Trotz der Angriffe seien die Supermärkte in Charkiw weiter geöffnet, und es gebe alle notwendigen Lebensmittel. Charkiw werde auch mit humanitärer Hilfe aus anderen Städten versorgt.

Mehr als 140 Kinder seit Kriegsbeginn in Ukraine getötet

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges sind in der Ukraine nach Angaben aus Kiew mindestens 143 Kinder getötet und 216 verletzt worden. Das teilte die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmyla Denissowa, auf Telegram mit. Die Angaben ließen sich ebenfalls zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die genaue Zahl der getöteten und verletzten Kinder könne wegen der andauernden Angriffe des russischen Militärs auf ukrainische Städte nicht ermittelt werden, sagte Denissowa.

Russische Raketen treffen nächstes Treibstofflager

Russland hat in der Nordwestukraine nach Anhaben dortiger Behörden ein weiteres Treibstofflager mit Raketen angegriffen. Der Angriff sei im Gebiet Riwne erfolgt, teilte der Gouverneur der Region, Witalij Kowal, im Nachrichtendienst Telegram mit. Der Zivilschutz sei bereits vor Ort. Aufgrund des weiter geltenden Luftalarms sollen die Bürger jedoch weiter in den Schutzkellern bleiben.

Damit sind nach Dubno, Luzk, Lwiw, Mykolajiw und mehreren Lagern bei der Hauptstadt Kiew rund ein Dutzend Kraftstofflager zumindest schwer beschädigt worden. Beobachter befürchten, dass es dem wichtigen Agrarexporteur Ukraine zu Beginn der Aussaat an Sprit mangeln könnte.

Einrichtung von Fluchtkorridoren unmöglich

Aufgrund der Bedrohung durch russische Truppen können heute Angaben aus Kiew zufolge keine Fluchtkorridore zur Evakuierung von Zivilisten eingerichtet werden. Es gebe Geheimdienstinformationen über mögliche «Provokationen» auf den Routen, sagte die stellvertretende Regierungschefin Iryna Wereschtschuk. Die Ukraine und Russland werfen sich seit Wochen gegenseitig vor, die Evakuierung von Zivilisten aus besonders umkämpften Gebieten zu sabotieren.

Evakuierungsmission für Mariupol weiter unklar

Die von Frankreich mit der Türkei und Griechenland geplante Evakuierungsmission für die belagerte ukrainische Hafenstadt Mariupol ist weiter nicht abschließend vereinbart. Nach der Ankündigung der humanitären Aktion durch Präsident Emmanuel Macron stehe die dafür nötige Abstimmung mit Russlands Präsident Wladimir Putin noch aus, heißt es aus dem Élyséepalast in Paris. «Andererseits entwickeln sich die Ereignisse derzeit schnell, und es (das Gespräch) kann jeden Moment sein», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge.

Kiew: Russland bringt neue Raketen nach Belarus

Zur Vorbereitung neuer Raketenangriffe auf die Ukraine werden russische Abschussrampen in Belarus nach Erkenntnissen der ukrainischen Militäraufklärung mit frischen neuen Projektilen versorgt. Die Raketen seien für die bei Kalinkawitschy aufgestellten Einheiten mit dem «Iskander»-Waffensystem gedacht, hieß es. Städte in der Ukraine wurden am Wochenende wiederholt von russischen Raketen getroffen. Das «Iskander»-System (Nato-Code SS-26 Stone) ist eine mobile Abschussbasis, die sowohl ballistische Kurzstreckenraketen als auch Marschflugkörper abfeuern kann.

Kiew fordert von UN eine Schutzzone für Tschernobyl

Die Ukraine forderte vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Einrichtung einer speziellen Schutzzone für das Atomkraftwerk Tschernobyl. Nach den Worten der stellvertretenden Regierungschefin Iryna Wereschtschuk sollte dort eine Sondermission der UN die Kontrolle übernehmen. «Im Sinne der nuklearen Sicherheit stellen die verantwortungslosen und unprofessionellen Aktionen der russischen Militärs eine ernsthafte Bedrohung nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Hunderte Millionen Europäer dar», sagte sie nach Angaben der «Ukrajinska Prawda».

In der Sperrzone um das 1986 havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl sind ukrainischen Angaben zufolge keine größeren Brände mehr festgestellt worden. Aufnahmen von Satelliten würden derzeit keine derartigen Wärmequellen feststellen, teilte der ukrainische Zivilschutzdienst mit. Anderslautende Informationen seien falsch.

Russland: Sturz von ukrainischer Führung nicht geplant

Russlands Sicherheitsratschef Nikolai Patruschew hat Berichte über eine angeblich geplante Auswechslung der ukrainischen Führung als Falschnachricht zurückgewiesen. «Das Ziel unserer Spezial-Operation in der Ukraine ist nicht – wie sie es im Westen darzustellen versuchen – ein Wechsel des Kiewer Regimes, sondern ein Schutz der Menschen vor einem Genozid, die Entmilitarisierung und die Entnazifizierung der Ukraine», sagte Patruschew am Montag der Agentur Interfax zufolge.

dpa