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EU plant Russland Kriegsverbrechen vorzuwerfen

«Diese Kriegsverbrechen müssen sofort aufhören»: Die EU will wie Washington von russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine sprechen. Boris Johnson sieht gar schon die Line zur Barbarei überschritten.

Ukrainische Soldaten in einem Außenbezirk von Kiew helfen einer fliehenden Familie bei der Suche nach einem Fahrzeug. Die US-Regierung geht davon aus, dass russische Soldaten in der Ukraine Kriegsverbrechen begehen.
Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa

Die Europäische Union dürfte der US-Regierung in der Einschätzung folgen, dass Russland in der Ukraine Kriegsverbrechen begeht.

Im jüngsten Entwurf der Abschlusserklärung für den EU-Gipfel heute und morgen in Brüssel heißt es: «Russland führt Angriffe auf die Zivilbevölkerung durch und zielt auf zivile Objekte, darunter Krankenhäuser, medizinische Einrichtungen, Schulen und Schutzräume. Diese Kriegsverbrechen müssen sofort aufhören.» In einem vorherigen Entwurf war noch von «Verbrechen» die Rede.

Am Mittwoch hatte die US-Regierung russischen Truppen in der Ukraine erstmals offiziell Kriegsverbrechen vorgeworfen. US-Präsident Joe Biden wird zeitweise als Gast an dem EU-Gipfel teilnehmen.

In dem Entwurf, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, fordern die 27 EU-Staaten Russland dazu auf, den Angriff auf die Ukraine unverzüglich zu beenden, alle Kräfte und das gesamte Gerät abzuziehen und die territoriale Integrität, die Souveränität und die Unabhängigkeit der Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen anzuerkennen. Zivilisten, die im Kriegsgebiet eingeschlossen seien, müssten es sicher verlassen können, alle Geiseln unverzüglich freigelassen und ungehinderter humanitärer Zugang gewährt werden. Russland müsse seinen Verpflichtungen aus dem internationalen Recht nachkommen.

Die EU sagt dem Entwurf zufolge zu, weiter koordinierte politische, finanzielle, materielle und humanitäre Unterstützung für die Ukraine zu leisten. Man sei zudem bereit, rasch weitere Sanktionen zu beschließen. Jeder Versuch, die bereits beschlossenen Sanktionen zu umgehen oder Russland anderweitig zu helfen, müsse gestoppt werden.

Johnson sieht rote Linie zur Barbarei überschritten

Russlands Präsident Wladimir Putin hat mit dem Krieg gegen die Ukraine nach den Worten des britischen Premiers Boris Johnson einen Tabubruch begangen.

«Wladimir Putin hat die rote Linie zur Barbarei bereits überschritten», antwortet Johnson am Rande eines Nato-Sondergipfels auf die Frage, ob der Einsatz von Chemiewaffen eine rote Linie sei.

Die Nato müsse jetzt prüfen, was noch getan werden könne, um die Ukraine zu unterstützen und die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. «Je härter unsere Sanktionen, je härter unser wirtschaftlicher Schraubstock um das Putin-Regime, desto mehr können wir den Ukrainern helfen, desto schneller könnte die Sache vorbei sein, denke ich.»

Ukraine: Mehr als 290 tote Zivilisten in Charkiw

Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine vor einem Monat sind bei Kämpfen um die Stadt Charkiw im Nordosten des Landes nach Angaben der lokalen Polizei 294 Zivilisten getötet worden. Darunter seien 15 Kinder, teilten die Beamten der zweitgrößten Stadt des Landes am Donnerstag im Nachrichtenkanal Telegram mit. Die Menschen verließen kaum ihre Bunker, wo sie Schutz vor den Angriffen suchten. Wohngebäude, Schulen, Krankenhäuser, Versorgungsunternehmen und Betriebe stünden in Flammen. Vor dem Krieg lebten 1,5 Millionen Menschen in Charkiw. Die von russischen Truppen belagerte Stadt werde immer wieder Ziel von Luftangriffen, teilte die ukrainische Armee mit.

WHO: 64 Angriffe auf Gesundheitswesen

Das Gesundheitswesen in der Ukraine ist laut der Weltgesundheitsorganisation WHO seit dem russischen Einmarsch 64 bestätigten Angriffen ausgesetzt gewesen. Das bedeute zwei bis drei Angriffe pro Tag, teilt die WHO Europa mit. Insgesamt seien bei diesen Attacken 15 Menschen getötet und 37 verletzt worden.

«Angriffe auf das Gesundheitswesen sind eine Verletzung des humanitären Völkerrechts, aber eine verstörend geläufige Kriegstaktik – sie zerstören entscheidende Infrastruktur, aber schlimmer noch, sie zerstören Hoffnung», erklärte Jarno Habicht, der WHO-Vertreter in der Ukraine. Ohnehin schon gefährdeten Menschen werde so die Versorgung entzogen, die oft den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmache.

Nach knapp einem Monat Ukraine-Krieg wies das in Kopenhagen ansässige Europa-Büro der WHO auf die verheerenden Folgen des Konflikts für das ukrainische Gesundheitssystem hin. Der Zugang zu Gesundheitsdiensten sei durch den Krieg stark eingeschränkt worden, der Bedarf an Behandlungen von Traumata und chronischen Erkrankungen groß. Zerstörte Gesundheitsinfrastruktur und unterbrochene medizinische Versorgungsketten stellten eine ernsthafte Bedrohung für Millionen Menschen dar. Es werde angenommen, dass etwa jede zweite Apotheke in der Ukraine geschlossen sei.

Russland weist US-Diplomaten aus

Russland hat derweil mehrere US-Diplomaten in Moskau zu unerwünschten Personen erklärt. Einem Vertreter der US-Botschaft in Moskau sei eine Liste mit Namen von Diplomaten übergeben worden, die das Land verlassen müssten – als Reaktion auf die Ausweisung von zwölf russischen Vertretern bei den Vereinten Nationen in New York Ende Februar. Zur Zahl der ausgewiesenen Diplomaten machte das Außenministerium in Moskau keine Angaben. Der US-Seite sei auch mitgeteilt worden, dass jedwede feindliche Handlungen der Vereinigten Staaten gegen Russland eine passende Antwort erhielten, teilte das Ministerium weiter mit.

Ein Sprecher des Außenministeriums in Washington bestätigte den Erhalt der Liste. «Das ist der jüngste nicht hilfreiche und unproduktive Schritt Russlands in unserem bilateralen Verhältnis», sagte der Sprecher. Moskau solle die «ungerechtfertigten Ausweisungen» beenden, forderte er. «Mehr als je zuvor ist es jetzt entscheidend, dass unsere Länder das nötige diplomatische Personal vor Ort haben, um die Kommunikation zwischen unseren Ländern zu ermöglichen.»

Die USA hatten Ende Februar nach Darstellung der russischen UN-Vertretung zwölf Diplomaten in New York zu unerwünschten Personen erklärt. Die Vereinigten Staaten würden damit ihre «Verpflichtungen im Gastlandabkommen grob verletzen», kritisierte Moskau.

Tatsächlich besitzen zumindest einige Diplomaten, die bei den Vereinten Nationen in New York arbeiten, besonderen Schutz, weil die UN eine internationale Organisation sind, zu der alle Mitgliedsländer Zugang haben müssen. In dem Gastlandabkommen zwischen den USA und den Vereinten Nationen heißt es dazu, dass «im Falle des Missbrauchs solcher Aufenthaltsprivilegien» Gesetze und Vorschriften der USA angewandt werden können. Auf diese Passage berief sich im Februar der stellvertretende amerikanische UN-Botschafter Richard Mills.

Biden in Europa

Für Präsident Biden stehen an diesem Donnerstag gleich drei Gipfeltreffen auf dem Programm – er ist bereits in Brüssel angekommen. In der belgischen Hauptstadt beraten sich die Staats- und Regierungschefs der Nato, der EU sowie der führenden demokratischen Wirtschaftsmächte (G7). Biden nimmt an allen drei Gipfeln teil.

Die Verbündeten wollen über weitere Unterstützung für die Ukraine und neue Maßnahmen gegen Russland beraten. Am Freitag reist Biden weiter nach Polen, wo am Samstag ein Treffen mit Präsident Andrzej Duda geplant ist. Zudem will er dort US-Truppen besuchen. Es ist Bidens dritte Europareise seit seinem Amtsantritt im Januar 2021.

dpa