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1.000 Tage Krieg – Wie kommen Moskau und Kiew zu Frieden?

Seit fast 1.000 Tagen führt Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein Ende ist nicht in Sicht. Trotzdem ist von möglichen Verhandlungen oder Deals die Rede. Wie stehen die Friedenschancen?

Russische Angriffe rufen in der Ukraine immer wieder schwere Zerstörungen hervor, wie hier in Lwiw am Sonntag.
Foto: Uncredited/Ukrainian Emergency Service via AP/dpa

Die bisherige Bilanz der russischen Invasion in der Ukraine umfasst mehr als 12.000 getötete Zivilisten, Zehntausende gefallene Soldaten und gut 300.000 Kriegsversehrte auf ukrainischer Seite. Dutzende Städte und Dörfer wurden zerstört. Die geschätzten Kriegsschäden belaufen sich auf über 750 Milliarden Euro. Am Dienstag (19. November) dauert Russlands Angriffskrieg 1.000 Tage.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bereits mehrere Pläne zur Beendigung des Konflikts vorgelegt. Vor dem dritten Kriegswinter und den Aussichten auf eine Friedenslösung stellen sich einige Fragen und Antworten:

Russland ist weiter auf dem Vormarsch in der Ukraine – wie groß ist der Druck auf die ukrainischen Streitkräfte?

Die Situation für die ukrainischen Truppen entlang der Front wird zunehmend kritischer. Das Hauptproblem ist weniger der Mangel an Nachschub an Munition und Waffen. Trotz einer verschärften Mobilmachung fehlen Kiew vor allem motivierte Soldaten.

Die Anzahl der Deserteure nimmt zu. Von über 60.000 Fällen in diesem Jahr wurden knapp 10.000 allein im Oktober registriert. Die Dunkelziffer soll Beobachtern zufolge noch weit höher liegen. Dazu kommen die Verluste durch Tod, Verwundung oder Gefangenschaft. Größere russische Frontdurchbrüche könnten nur eine Frage der Zeit sein.

Präsident Selenskyj hat eine «Friedensformel», einen «Siegesplan» und nun einen Aktionsplan ausgearbeitet – wie stellt er sich eine Lösung des Konflikts vor?

Selenskyj rückt offiziell von seiner im Herbst 2022 präsentierten «Friedensformel» nicht ab. Kernforderung bleibt ein kompletter Abzug der russischen Truppen vom international anerkannten Staatsgebiet in den Grenzen von 1991. Da dies auf militärischem Weg aussichtslos erscheint, gesteht Selenskyj nur zu, dass nicht alle besetzten Gebiete zurückerobert werden müssen. Sie könnten auch auf Verhandlungsweg wieder zurückkommen – wie, das ließ er offen.

Zudem lehnt Kiew den von Moskau geforderten Verzicht auf den in der Verfassung verankerten Nato-Beitritt ab. Mit seinem in diesem Herbst präsentierten «Siegesplan» erhöhte Selenskyj den Einsatz noch und verlangt von den westlichen Verbündeten bereits während des Krieges eine Einladung in das Militärbündnis Nato.

Russlands Armee verzeichnet täglich Geländegewinne – wie groß ist das Potenzial noch?

Seit der Eroberung der Festung Awdijiwka bei Donezk zu Jahresbeginn haben sich die russischen Soldaten etwa 40 Kilometer nach Westen vorgeschoben. Die Geländegewinne sind zwar minimal, aber kontinuierlich.

Die strategisch wichtige Stadt Kurachowe im südlichen Donbass steht vor dem Fall. Auch Pokrowsk, Tschassiw Jar und Torezk sind stark bedroht. Im Norden bröckelt die Front entlang des Flusses Oskil. Sollte der wichtige Eisenbahnknoten Kupjansk fallen, dürften die russischen Truppen auch Lyman wieder einnehmen und das letzte unter Kiews Kontrolle stehende Ballungsgebiet im Donbass um Slowjansk bedrohen.

Die Verluste Moskaus sind jedoch enorm. Es gibt keine genauen Zahlen, aber westlichen Schätzungen zufolge sind bereits über 115.000 russische Soldaten gefallen und mehr als eine halbe Million verwundet – mit einer zunehmenden Tendenz. Dies begrenzt langfristig das Eroberungspotenzial der Russen.

Im russischen Grenzgebiet Kursk halten ukrainische Truppen weiter Ortschaften besetzt – wie und wann kann Russland dort die Kontrolle zurückerlangen? 

Die Russen haben 50.000 Soldaten zusammengezogen, darunter etwa 10.000 nordkoreanische Kämpfer. Ihr Ziel ist es, die Ukrainer bis zum Amtsantritt von Donald Trump in den USA mit einer Großoffensive aus dem Land zu vertreiben.

Putin wird keineswegs kernrussisches Gebiet aufgeben, falls der Krieg eingefroren wird. Bisher waren die russischen Angriffe jedoch trotz hoher Verluste nicht besonders erfolgreich.

Möglicherweise schafft es die Ukraine, die Positionen zu halten und die russischen Truppen zu stoppen. Die überraschende Entscheidung von US-Präsident Joe Biden, der Ukraine den Einsatz von weitreichenden Waffen gegen militärische Ziele auf russischem Staatsgebiet zu erlauben, könnte die russische Angriffswelle bei Kursk bremsen. Später dürfte die Ukraine mit diesem neuen «Freifahrtschein», um den Selenskyj monatelang gebeten hat, auch andere militärische Ziele in Russland ins Visier nehmen.

Der Westen kritisiert, Russland habe kein echtes Interesse an Verhandlungen – wie stellt sich Moskau dann ein Kriegsende vor?

Moskau betont immer wieder Verhandlungsbereitschaft, legt jedoch klare Bedingungen fest. Putin hat mehrfach betont, dass Kiew nicht nur den Nato-Beitritt aufgeben, sondern auch auf die besetzten Gebiete verzichten müsse. Der Kremlchef hat Aufmerksamkeit erregt, als er beim politischen Waldai-Diskussionsforum Anfang des Monats sagte, die Menschen in den von Russland kontrollierten Gebieten sollten selbst darüber entscheiden, wo die Grenze verläuft.

Konstantin Remtschukow, Chefredakteur der russischen Tageszeitung «Nesawissimaja Gaseta», hat kürzlich geschrieben, dass im Kreml das Bewusstsein gewachsen ist, dass die Ukraine ein eigenständiges Land mit eigener Identität ist; ein Land, in dem viele nichts mehr mit Russland zu tun haben wollen.

Es klang wie eine Bestätigung dieser These, als Putin beim Waldai-Forum bemerkte, dass die Ukraine als «souveränes und unabhängiges Land» eine Zukunft habe, aber nur, wenn sie neutral bleibe und sich nicht zu einem gegen Russland gerichteten Werkzeug des Westens machen lasse. Zugleich ließ er durchblicken, dass er etwa zu einem Deal mit dem designierten US-Präsidenten Trump bereit sei.

Trump hat angekündigt, den Krieg rasch zu beenden – wie stellt er sich das vor?

Trump selbst äußerte sich bisher nicht dazu. Das «Wall Street Journal» berichtete aber von Ideen aus seinem Umfeld. Eine davon ist demnach, dass die Ukraine sich verpflichten solle, mindestens 20 Jahre lang nicht der Nato beizutreten, um weiter US-Militärhilfe zu bekommen. 

Auch wird über eine entmilitarisierte Zone entlang des Frontverlaufs gesprochen. Die Zone soll nicht von Amerikanern, sondern von Europäern gesichert werden, so informierte Personen. Die Zeitungsquellen betonten jedoch, dass letztendlich Trump über das Vorgehen der USA entscheiden werde.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die USA die Ukraine-Hilfe einstellen?

Es ist zumindest eine Möglichkeit, dass die Hilfen gekürzt werden oder damit gedroht wird, um die Ukraine zu Verhandlungen zu zwingen. Mit dem Wahlsieg von Trump kommen nun Republikaner an die Macht, die schon lange behaupten, dass die USA zu viel Geld für die Unterstützung der Ukraine ausgeben.

So schrieb Trumps voraussichtlicher Nationaler Sicherheitsberater Mike Waltz im vergangenen Jahr mit Blick auf die republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus: «Die Ära der Blankoschecks für die Ukraine vom Kongress ist vorbei.» Zugleich meinte er aber, die USA hätten gegen Russland das Druckmittel, die Einschränkungen für den Einsatz an die Ukraine gelieferten amerikanischen Waffen aufzuheben.

Des Weiteren könnte Tech-Milliardär Elon Musk, der derzeit viel Zeit mit Trump verbringt, Einfluss auf die zukünftige Ukraine-Politik haben. Musk und sein Vertrauter David Sacks setzen sich schon lange für ein schnelles Ende des Krieges ein. Vor zwei Jahren präsentierte Musk auch einen eigenen Friedensplan. Dieser beinhaltete Volksabstimmungen in den von Russland besetzten Gebieten, die diese faktisch in russischer Hand verankert hätten.

Deutschland ist der wichtigste Unterstützer der Ukraine nach den USA – wie geht es weiter nach dem Bruch der Ampel-Koalition?

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat versprochen, der Ukraine unerschütterliche Hilfe zu gewähren, solange dies erforderlich ist. Auch wenn der weitere Verlauf der Ukraine-Hilfe von den Ergebnissen der vorgezogenen Bundestagswahl im Februar abhängt, wird selbst im Falle eines Wahlsieges der CDU, die in den Umfragen führt, ein deutscher Unterstützungskurs als wahrscheinlich angesehen.

Er könnte sogar noch steigen mit der Bedrohung einer weiteren Eskalation, wenn ein möglicher Kanzler Friedrich Merz (CDU) seine Drohung wahr macht und den Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefert – mit dem Ziel, auch militärische Ziele weit im russischen Hinterland zu treffen. Scholz, der am Freitag selbst erstmals seit fast zwei Jahren wieder mit Kremlchef Putin telefoniert hatte und den Dialog mit Moskau fortsetzen will, lehnt das weiterhin kategorisch ab.

Wie kann eine Lösung in dem Konflikt aussehen?

Eine Lösung ist bisher nicht absehbar. Allerdings wird zunehmend über Diplomatie zur Beendigung des Krieges gesprochen. Auch Präsident Selenskyj erwähnt dies immer häufiger. Kanzler Scholz warnt bisher vor einem Diktatfrieden und betont, dass eine Lösung nur im Einvernehmen mit Kiew möglich ist.

Russland warnt davor, dass der Krieg andauern wird, solange die USA und andere westliche Verbündete Waffen an die Ukraine liefern und Kiew darauf abzielt, Moskau eine strategische Niederlage zuzufügen, um zu verhindern, dass es jemals wieder ein anderes Land angreifen kann.

dpa