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Britische Regierung plant Abschiebung nach Ruanda

Migranten sollen ohne Papiere nach Ruanda abgeschoben werden, um Asylantrag zu stellen. Deal mit autoritärer Führung sorgt für Kontroversen.

Die britische Regierung will Migranten, die irregulär ins Land kommen, grundsätzlich nach Ruanda abschieben.
Foto: Gareth Fuller/AP/dpa

Die Regierung Großbritanniens bleibt unbeirrt in ihrem Vorhaben, Migranten unabhängig von ihrer tatsächlichen Herkunft nach Ruanda abzuschieben. Trotz langem Widerstand stimmte das Oberhaus des Parlaments in der Nacht der Gesetzesvorlage zu. Nun muss König Charles III. das Gesetz noch mit seiner Unterschrift in Kraft setzen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wen möchte die britische Regierung abschieben?

Die britische Regierung plant, irreguläre Migrantinnen und Migranten nach Ruanda abzuschieben, unabhängig von ihrer Herkunft oder persönlichen Situation. Dort sollen sie einen Asylantrag stellen, um gegebenenfalls in Ruanda zu bleiben. Eine Rückführung nach Großbritannien ist nicht geplant.

Warum macht Ruanda da mit?

Kommentatoren sind der Ansicht, dass die autoritäre Führung in Kigali sich als verlässlicher Partner des Westens positionieren möchte, um menschenrechtliche Bedenken zu umgehen. Großbritannien zahlt zudem eine Millionensumme an den ostafrikanischen Staat für den Deal. Kritiker des Abkommens bemängeln, dass die britische Regierung viel Geld investiert, ohne sicher zu sein, ob tatsächlich ein Flugzeug startet.

Wie viel zahlen die Briten an Ruanda?

Nach Einschätzung des Rechnungshofs in London zahlt die Regierung bis zu einer halben Milliarde Pfund (584 Mio Euro). Dazu könnten noch Hunderttausende Pfund pro Asylbewerber kommen. Der Abgeordnete Neil Coyle von der Oppositionspartei Labour spottete neulich im Parlament: «Ist dem Staatssekretär bewusst, dass Virgin Galactic sechs Menschen für weniger Geld ins All schicken kann, als die Regierung ausgeben will, um eine Person noch Ruanda zu senden?» Nicht nur über die Kosten wird gestritten, sondern auch darüber, ob man überhaupt so weit gehen soll. Der oberste Gerichtshof in London hatte das Vorhaben für rechtswidrig erklärt.

Was kritisieren die Richter an dem Vorhaben?

Das Gericht betonte, dass Ruanda nicht als sicheres Drittland angesehen wird und bemängelte, dass es nicht gewährleistet ist, dass die Menschen dort ein faires Asylverfahren erhalten. Der Supreme Court stützte sich dabei auf Berichte des UN-Flüchtlingshilfswerks und frühere britische Angaben über außergerichtliche Hinrichtungen, Todesfälle in Haft, Folter und eine hohe Ablehnungsrate von Asylanträgen aus Konfliktgebieten wie Syrien. Premierminister Rishi Sunak ignoriert dies jedoch und erklärt mit der neuen Gesetzgebung Ruanda per Federstrich zum sicheren Staat. Dies soll Einsprüche vor britischen Gerichten verhindern.

Wenn es so viel Kritik gibt: Warum machen die Briten das?

Vor allem zur Abschreckung. Premier Sunak von den konservativen Tories hat einen harten Kurs in der Migrationspolitik versprochen. Sein Schlagwort lautet «Stop the Boats»: Er will die Schlauchboote aufhalten, mit denen Menschen über den Ärmelkanal kommen. 2023 waren es knapp 30.000, von Januar bis März 2024 waren es mit mehr als 4600 so viele wie noch nie in einem ersten Quartal.

Staatssekretär Michael Tomlinson verteidigte die Pläne als wichtiges Mittel, um Grenzen zu schützen und Migranten von der gefährlichen Überfahrt abzuhalten, denn immer wieder ertrinken Menschen bei dem Versuch. Viele konservative Politiker erhoffen sich von dem scharfen Kurs auch mehr Zuspruch bei den kommenden Wahlen, die noch 2024 stattfinden sollen. Auch in Deutschland wird manchmal auf die «Ruanda-Pläne» der Briten verwiesen.

Was wird in Deutschland genau diskutiert?

Forderungen nach einem Ruanda-Modell werden in Deutschland hauptsächlich von der Union und der FDP geäußert. Die Grünen lehnen dies ab. Auch die SPD ist skeptisch. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder hatten im November vereinbart, dass die Bundesregierung prüfen soll, ob Asylverfahren außerhalb Europas durchführbar sind. Bis Juni soll eine Entscheidung getroffen werden.

Bislang war unklar, ob es tatsächlich darum gehen könnte, Menschen aus Deutschland für ihr Asylverfahren in ein anderes Land zu schicken, oder ob es lediglich darum geht, ihnen bereits auf dem Weg nach Europa dort ein Asylverfahren zu ermöglichen. Es ist nicht klar, ob es letztendlich überhaupt eine Option sein könnte, Asylsuchenden trotz berechtigter Gründe die Einreise nach Deutschland zu verweigern – dies entspräche der Regelung, die Großbritannien mit Ruanda umsetzen möchte.

Geht Sunaks Plan auf, damit Wähler zu gewinnen?

Im Grunde genommen wird ein Erfolg im Parlament dem Premierminister einen Schub geben. Jedoch liegt Sunaks konservative Partei seit Monaten in Umfragen deutlich hinter Labour. Die Gründe dafür sind vielfältig, nach 14 Jahren Tory-Regierung haben viele Briten einfach genug von der Partei. Kommentatoren erwarten daher nicht, dass Abschiebungen nach Ruanda dazu beitragen, das Blatt noch zu wenden. Und Sunak hat sich selbst unter großen Druck gesetzt. Ein Erfolg wäre es, wenn die Boote gestoppt werden – also keine Migranten mehr über den Ärmelkanal kommen.

Wie schnell wird das mit den Flügen nun gehen?

Sunak hoffte lange, dass noch im Frühjahr ein Abschiebeflieger nach Ruanda abhebt. Am Montag sprach er aber von zehn bis zwölf Wochen nach Inkrafttreten des Gesetzes. Nach Sunaks Angaben gibt es einen Vertrag mit einem kommerziellen Anbieter, sodass die Regierung nicht auf Maschinen der Royal Air Force zurückgreifen muss. Auch ein Flugplatz stehe bereit. Zudem gibt es laut Zeitung «Daily Express» Überlegungen, Asylsuchende schon vorab mit regulären Flügen nach Ruanda auszufliegen. Die Zeitung «Times» berichtete, Sunaks Regierung wolle ähnliche Abkommen mit Armenien, der Elfenbeinküste, Costa Rica und Botswana ausloten. 

Der Fall könnte auch erneut zum Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) führen. Sunak hat angekündigt, er wolle einstweilige Verfügungen des «ausländischen Gerichts» ignorieren. Hardliner fordern einen Austritt aus dem EGMR. Der Erzbischof von Canterbury warnt angesichts des Vorhabens mit Ruanda vor einem Ansehensverlust in der Welt. «Das Vereinigte Königreich sollte international führen, wie es das in der Vergangenheit getan hat, nicht abseits stehen», sagte Justin Welby. Nur manche Vorgaben des Völkerrechts zu berücksichtigen, untergrabe «unser globales Ansehen».

dpa