Nach dem Anschlag mit fast 40 Verletzten sind viele Details zum Motiv des Fahrers unklar. Die Rufe nach Abschiebungen nach Afghanistan werden lauter – was in der Praxis aber kompliziert ist.
Abschiebedebatte nach Münchner Anschlag wieder angeheizt
Die Ermittler versuchen, nach dem Anschlag auf eine Gruppe von Demonstranten in München mit fast 40 Verletzten mehr Klarheit über das Motiv des 24-jährigen Afghanen zu erhalten. Es wird angenommen, dass die Tat einen islamistischen Hintergrund hat. Politische Parteien streiten eine Woche vor der Bundestagswahl darüber, welche Schlüsse aus der Tat gezogen werden müssen. Bundeskanzler Olaf Scholz wird heute am Anschlagsort in München zu einem stillen Gedenken erwartet.
Am Donnerstag fuhr ein 24-Jähriger mit seinem Auto in das Ende eines Demonstrationszugs. Laut Polizei wurden 36 Menschen verletzt, einige davon schwer. Ein Kind und eine weitere Person befinden sich laut Klinik-Angaben am Freitag in kritischem Zustand. Der Fahrer wurde in Untersuchungshaft genommen. Ein Ermittlungsrichter ordnete dies wegen des dringenden Verdachts auf 39-fachen versuchten Mord an, wie die Generalstaatsanwaltschaft München mitteilte. Die Ermittler vermuten Heimtücke, niedrige Beweggründe und gemeingefährliche Mittel.
Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen
Die Bundesanwaltschaft übernahm am Freitagabend aufgrund der besonderen Bedeutung des Falls die Ermittlungen. «Es besteht der Verdacht, dass die Tat religiös motiviert war und als Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verstehen ist», teilte die oberste Anklagebehörde in Deutschland in Karlsruhe mit. Die Tat könnte die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen führt weiterhin das Bayerische Landeskriminalamt.
Der Afghane soll den Anschlag aus Sicht der Ermittler aus islamistischen Beweggründen begangen haben. In seiner Vernehmung räumte er ein, «bewusst in die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Demonstrationszugs gefahren zu sein», wie die Leitende Oberstaatsanwältin der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus sagte.
Scholz kommt an Anschlagsort
Bundeskanzler Scholz wird heute am Ort des Anschlags in stiller Trauer verweilen, mit Rettungskräften sprechen und anschließend eine Stellungnahme zu der Tat abgeben. Laut bisherigen Informationen hielt sich der Mann zuletzt legal in Deutschland auf. Gemäß einem Gerichtsurteil gegen die Ablehnung seines Asylantrags im Oktober 2020 soll er bezüglich seiner Fluchtgeschichte gelogen haben. Im April 2021 erhielt die Stadt München jedoch eine Duldung und im Oktober 2021 eine Aufenthaltserlaubnis für den 24-Jährigen.
Hotline für Betroffene
«Dass nun schon wieder ein offenbar religiös motivierter Täter unschuldige Bürgerinnen und Bürger verletzt hat, ist zutiefst erschütternd», sagte Bundesjustizminister Volker Wissing (parteilos). «Da sich die Anzeichen für einen extremistischen Anschlag nun verdichten, wird der Bundesopferbeauftragte Roland Weber die Betreuung und Unterstützung der Betroffenen übernehmen.» Es wurde zudem eine kostenfreie Telefonnummer zur psychosozialen Beratung eingerichtet.
Debatte um Abschiebungen
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach sich für Abschiebungen nach Afghanistan aus. «Alle Hebel müssen genutzt werden, um Abschiebungen auch nach Afghanistan und Syrien durchzusetzen», sagte Dobrindt den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Dazu gehöre auch die Entwicklungshilfe, der Visa-Hebel und die wirtschaftliche Zusammenarbeit. «Das Sicherheitsinteresse unserer Gesellschaft muss oberste Prämisse sein und nicht der Schutz von Straftätern und Extremisten.» Wer als Straftäter, Islamist oder Gefährder nicht abgeschoben werden könne, der müsse zudem in unbefristete Abschiebehaft genommen werden.
Auch der stellvertretende SPD-Fraktionschef Dirk Wiese pocht auf Abschiebeflüge. «Es muss unser Ziel sein, Direktflüge nach Afghanistan zur Rückführung ausreisepflichtiger Asylbewerber zu ermöglichen», sagte er dem «Stern». Das bedeute Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern in Afghanistan.
Innenministerin Faeser signalisiert Kompromissbereitschaft
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte nach dem Anschlag erklärt, dass Abschiebungen nach Afghanistan fortgesetzt werden. Die Umsetzung gestaltet sich jedoch schwierig, da dies eine Kooperation mit den regierenden Taliban in Afghanistan erfordert.
Faeser signalisierte indes Kompromissbereitschaft für Änderungen in der Migrationspolitik. «Ich halte einen Kompromiss zwischen Union und SPD in der Migrationspolitik für notwendig und möglich», sagte Faeser der «Neuen Osnabrücker Zeitung». Sie sei der Meinung, «dass es uns gelingen kann, in der demokratischen Mitte Lösungen zu finden».
Auch die SPD wolle die irreguläre Migration noch stärker begrenzen. «Unsere Gesetzentwürfe zur Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems liegen auf dem Tisch.» Natürlich sei die SPD auch hier auch zu sinnvollen Änderungen und Ergänzungen bereit, sagte die Ministerin der Zeitung. Eine Einigung wäre «ein gutes Signal».