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Abschied am Rednerpult: Kühnerts Appell an die Demokratie

Im nächsten Bundestag werden manch bekannte Namen fehlen. Dazu zählt auch SPD-Talent Kevin Kühnert. Er gibt den Kollegen zum Abschied etwas mit.

Kevin Kühnert bei seiner letzten Rede im Bundestag.
Foto: Michael Kappeler/dpa

Es ist die allerletzte Rede einer denkwürdigen 20. Legislaturperiode im Deutschen Bundestag. Am Pult steht Kevin Kühnert, der zu Beginn der Kanzlerschaft von Olaf Scholz als größtes Politiktalent der SPD galt. Vier Monate hat man nichts von ihm gehört, seit seinem Rücktritt als SPD-Generalsekretär aus gesundheitlichen Gründen. Doch der 35-Jährige will dem Parlament noch etwas mitgeben: «Schützen wir das, was wir lieben, schützen wir unsere Demokratie», appelliert er an die Abgeordneten. «Ich tue das in Zukunft von außen. Bitte tun Sie es von hier drin.»

Kühnert wird dem nächsten Bundestag nicht angehören, er kandidiert nicht mehr, macht auch keinen Wahlkampf für seine Partei. Im Oktober musste er sich eingestehen: Er kann nicht mehr. «Die Energie, die für mein Amt und einen Wahlkampf nötig ist, brauche ich auf absehbare Zeit, um wieder gesund zu werden», schrieb Kühnert damals. Wie es ihm heute geht, weiß man nicht. «Vernünftig», sagte der mit Kühnert auch persönlich befreundete Parteichef Lars Klingbeil neulich. Sie hätten sich über die US-Wahlen ausgetauscht – «und da merkt man schon, der ist immer noch hochpolitisch».

Kühnert hält demokratische Grundsatzrede

Auch am Rednerpult des Bundestags ist das zu spüren. Kühnert spricht schnell, da er als letzter Redner nur wenig Redezeit hat. Was er sagt, hätte gut in die hochemotional geführte Debatte der vergangenen Wochen gepasst, als die Union in Kauf nahm, bei Anträgen und einem Gesetzentwurf auf die Stimmen der AfD angewiesen zu sein.

Es ist gut möglich, dass genau dieser Eklat Kühnert zu seinem letzten Auftritt motiviert hat. Er spricht von Verantwortung vor der Geschichte und richtet mahnende Worte ans Plenum. Die Politik müsse das Ohr am Volk haben, ihm aber nicht nach dem Mund reden, sondern auch mal etwas zumuten. Kanzler wie Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Kohl hätten für ihre Überzeugung gerungen. «Viele von Ihnen haben vermutlich weiterhin die innere Überzeugung, Rechtsradikale soll man rechts liegen lassen», sagt der junge Berliner den Abgeordneten. «Das glaube ich Ihnen – aber Sie geben das Ringen zunehmend auf und das kritisiere ich.»

Ein zweiter Abschied mit feuchten Augen

Es ist der Höhepunkt einer Diskussion, die den Bundestag 12 Tage vor der Wahl tief gespalten zurücklässt. Bundeskanzler Olaf Scholz und sein aussichtsreichster Herausforderer Friedrich Merz lieferten sich erneut einen hitzigen Schlagabtausch. Am Ende bleibt die Frage offen, wie beide Parteien in möglichen Koalitionsverhandlungen wieder zu einem respektvollen und vertrauensvollen Umgang zurückfinden können.

Die letzte Bundestagssitzung vor der Wahl dauerte fast vier Stunden und hatte auch emotionale Momente. Yvonne Magwas (CDU), Bundestagsvizepräsidentin, verabschiedete sich sichtlich bewegt unter stehendem Applaus aller Fraktionen außer der AfD auf dem Platz der Vorsitzenden. Die sächsische CDU-Abgeordnete erklärte ihren Rückzug zuvor auch mit dem zunehmend rauen gesellschaftlichen Klima. Beleidigungen, Bedrohungen und Gleichgültigkeit hätten ihr Kraft geraubt.

Beethoven statt Bundestag

Auch andere, teilweise langjährige Abgeordnete gehen neue Wege. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) plant, nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg im Frühjahr 2026 Ministerpräsident Winfried Kretschmann zu beerben. Seine Parteikollegin Renate Künast möchte mit 69 Jahren Platz für Jüngere schaffen.

Der dienstälteste Abgeordnete, Peter Ramsauer von der CSU, sagt nach 34 Jahren im Bundestag «Servus». Ihn ziehe es in die Musik, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. «Der Übungsraum für das Klavier ist eingerichtet, der Konzertflügel, der Große, ist auf Vordermann gebracht. Also es steht den ganzen 32 Beethoven-Sonaten und der ganzen Chopin-Literatur nichts mehr im Weg.»

Petra Pau von den Linken geht nach 27 Jahren Bundestag mit 61 Jahren – will aber weiter politisch aktiv bleiben. Im Gespräch mit der dpa kritisierte sie den Umgangston im Parlament. «Das hat sich in den letzten sechs, sieben Jahren auch im Parlament verändert, wie auch in der Gesellschaft.» Auch persönliche Angriffe, Diffamierungen, auch Aufrufe zur sehr persönlichen Auseinandersetzung hätten zugenommen. Auch Ramsauer macht eine neue Rauheit im Umgang aus. «Was man sich alles bieten und gefallen lassen muss an Beleidigungen, an Drohungen, fast an die Grenze der Strafbarkeit gehenden Umgang mit einem, da braucht man schon ein richtig dickes Fell.»

Nächster Bundestag wird kleiner

Andere Abgeordnete können bisher nur erahnen, dass sie möglicherweise gerade an ihrer letzten Bundestagssitzung teilgenommen haben. Dies liegt auch daran, dass das neue Parlament bei seiner ersten Sitzung spätestens 30 Tage nach der Wahl kleiner sein wird. Das neue Wahlrecht begrenzt die Größe auf 630 Abgeordnete – statt 736 zuletzt.

dpa