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Ärger über Kiews Vorgehen gegen Korruptionsermittler wächst

Der ukrainische Präsident Selenskyj steht wegen des Vorgehens gegen die Unabhängigkeit von Korruptionsermittlern im Land unter Druck. Der Versuch, den Skandal zu entschärfen, gelingt nur teilweise.

Selenskyj steht nach dem Vorgehen rund um die Antikorruptionsbehörden unter Druck. (Archivbild)
Foto: Vadym Sarakhan/AP/dpa

Die Situation, in der ukrainische Korruptionsermittler ihrer Kompetenzen beraubt werden, wird für Präsident Wolodymyr Selenskyj zunehmend riskant. Die Kritik an der Vorgehensweise gegenüber den beiden zentralen Behörden im Kampf gegen die weit verbreitete Korruption im Land nimmt sowohl im In- als auch im Ausland immer mehr zu. Auch der deutsche Außenminister Johann Wadephul warnt Kiew vor den potenziellen Konsequenzen.

Es wurde erneut zu Demonstrationen für den Abend in mindestens sieben Großstädten aufgerufen, darunter wieder in der Hauptstadt Kiew. Es wird angenommen, dass die Demonstrationen in den nächsten Tagen weiter zunehmen werden. Es handelt sich um die ersten großen Proteste gegen die Regierung, denen Selenskyj seit Beginn des Krieges gegenübersteht.

Politische Einflussnahme vermutet

Der Skandal begann Anfang der Woche, als Polizei und Geheimdienst zahlreiche Razzien bei Mitarbeitern des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) und der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) durchführten. Einer der Vorwürfe war die Zusammenarbeit mit dem Feind Russland.

Es wird jedoch vermutet, dass ein Machtkampf der Sicherheitsorgane als Hintergrund dient. Medienberichten zufolge soll die Antikorruptionsbehörde Ermittlungen gegen den ehemaligen stellvertretenden Regierungschef Olexij Tschernyschow eingeleitet haben, der angeblich Selenskyj nahesteht. Der Geheimdienst SBU, der an den Razzien beteiligt war, untersteht direkt Selenskyj.

Behörden wird die Unabhängigkeit genommen

Nur einen Tag später verabschiedete das Parlament in Kiew in einem Eilverfahren ein Gesetz, das die beiden mit Hilfe des Westens geschaffenen Behörden zur Korruptionsbekämpfung unter Aufsicht des Generalstaatsanwalts stellt. Trotz öffentlicher Proteste in Kiew unterzeichnete Selenskyj das Gesetz noch am Abend. Der «Economist» bemängelte die Eile, mit der das für die Ukraine so wichtige Gesetz im Parlament durchgedrückt worden sei.

Das Gesetz besagt, dass der Generalstaatsanwalt Zugriff auf alle Fallunterlagen der NABU hat. Er kann Mitarbeitern auf allen Ebenen bis hin zum Chef Anweisungen geben und Fälle an andere Stellen übergeben, wenn er die Ermittlungen der Antikorruptionsbehörde für ineffektiv hält. Er ist auch befugt, Verfahren gegen hochrangige Beamte, einschließlich des Präsidenten und Regierungsmitglieder, einzustellen.

Früher war die SAP für die Klärung von Streitfällen zuständig, die sich aus Ermittlungen der NABU ergaben, aber jetzt hat auch der Generalstaatsanwalt das letzte Wort.

Selenskyj versucht, nach Restriktionen Einigkeit zu präsentieren

Um die zunehmende Kritik wieder einzufangen, lud Selenskyj am Morgen Vertreter aller betroffenen Behörden zum Gespräch. Bei dem «offenen und hilfreichen» Treffen sei die Ausarbeitung eines Aktionsplans beschlossen worden, um die bestehenden Probleme zu lösen, schrieb er auf Telegram. Dazu stellte er ein Foto, das ihn unter anderem mit NABU-Chef Semen Krywonos und dem SAP-Leiter Olexander Klymenko zeigt und Einheit demonstrieren soll.

Dies ist nicht vollständig gelungen. Nach dem Treffen veröffentlichte das Antikorruptionsbüro auf seinem Telegramkanal einen Aufruf, das Gesetz zurückzunehmen. Es wird betont, dass die Behörde ausschließlich im Interesse des ukrainischen Volkes handelt. Generalstaatsanwalt Ruslan Krawtschenko gab später gegenüber Journalisten zu, dass Krywonos und Klymenko während des Treffens Kritik am Gesetz geäußert und Garantien für unabhängiges Arbeiten gefordert haben.

Medien in Kiew wie die «Ukrajinska Prawda» berichten ausführlich über die Affäre, die Selenskyj nicht im besten Licht erscheinen lässt. Bei Protesten in mehreren ukrainischen Städten warfen Demonstranten der politischen Führung einen Rückfall zum Herrschaftsstil des moskaufreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch vor, der 2014 gestürzt wurde. 

Westen besorgt über Rückschritte der Demokratie

Auch im Ausland mehren sich die Vorwürfe: EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos warnte Kiew, das neue Gesetz sei ein «ernsthafter Rückschritt» auf dem Weg zu einem EU-Beitritt. Rechtsstaatlichkeit und unabhängige Behörden im Kampf gegen die Korruption blieben «im Mittelpunkt der EU-Beitrittsverhandlungen», schrieb sie beim Onlinedienst X. 

Schon vor der Abstimmung hatte Kommissionssprecher Guillaume Mercier an die «erhebliche finanzielle Unterstützung» der EU an die Ukraine erinnert, die aber davon abhänge, wie das Land bei der Justizreform und in den Bereichen Transparenz und demokratische Regierungsführung vorankomme.

Den Warnungen aus Brüssel hat sich auch Berlin angeschlossen. «Die Einschränkung der Unabhängigkeit der ukrainischen Antikorruptionsbehörde belastet den Weg der #Ukraine in die EU», schrieb Bundesaußenminister Wadephul. Er erwarte von der Ukraine die konsequente Fortsetzung der Korruptionsbekämpfung. Dies sei einer der Gründe dafür gewesen, warum er sich in Kiew mit den Leitern von NABU und SAP getroffen habe.

Deutschland unterstützt die Ukraine sowohl bei den Waffenlieferungen zur Abwehr der russischen Invasion als auch bei den finanziellen Hilfen zur Stabilisierung des Landes und ist einer der wichtigsten Unterstützer.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) äußerte in einem Brief an die stellvertretende Justizministerin des Präsidentenbüros, Iryna Mudra, ebenfalls ihre Besorgnis. Die OECD warnte vor einer Verschlechterung des Investitionsklimas und betonte insbesondere die Bedeutung der Rüstungsinvestitionen für den Abwehrkampf gegen Russland.

dpa