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Ärztliche Zwangsmaßnahmen – auch außerhalb der Klinik?

Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen bislang – wenn überhaupt – nur im Krankenhaus erfolgen. Aber was, wenn der Transport in die Klinik den Patienten schadet? Karlsruhe hat die gesetzliche Regel geprüft.

Grundsätzlich gilt: Ärztliche Zwangsmaßnahmen dürfen nur das letzte Mittel sein. (Archivbild)
Foto: Marijan Murat/dpa

Unter gewissen Bedingungen ist es gesetzlich zulässig, Spritzen zu setzen, Blut abzunehmen und Medikamente zu verabreichen – selbst gegen den Willen der Betroffenen.

Bislang dürfen diese sogenannten ärztlichen Zwangsmaßnahmen nur in Krankenhäusern durchgeführt werden – nicht jedoch in spezialisierten ambulanten Zentren, in Pflegeheimen oder zu Hause. Das Bundesverfassungsgericht wird nun prüfen, ob dies mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Wann dürfen Maßnahmen gegen den Willen der Patienten erfolgen?

Im Grunde genommen gilt: Medizinische Zwangsmaßnahmen sollten nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Davor erfolgt ein mehrstufiges Prüfverfahren.

So muss die Maßnahme laut Gesetz etwa notwendig sein, «um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden vom Betreuten abzuwenden». Zudem muss sie «im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betreuten einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist», erfolgen. 

Was hat das Gericht 2016 entschieden?

Im Juli 2016 forderte das Bundesverfassungsgericht erneut eine Überarbeitung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen. Zuvor war es erforderlich, dass die Patienten in einer geschlossenen Psychiatrie untergebracht waren, um solche Maßnahmen zu ergreifen.

Menschen, die in einer nicht geschlossenen Einrichtung stationär behandelt werden und Hilfe benötigen, durften gemäß der damals geltenden Rechtslage nicht zwangsweise ärztlich behandelt werden. Dies wurde vom Ersten Senat als Verstoß gegen die Schutzpflicht des Staates festgestellt. Der Gesetzgeber war verpflichtet, die Schutzlücke umgehend zu schließen. (Az. 1 BvL 8/15)

Worum geht es diesmal?

Diesmal handelt es sich um eine Frau aus Nordrhein-Westfalen, die laut Bundesgerichtshof (BGH) unter anderem an paranoider Schizophrenie leidet. Sie lebt in einem Wohnverbund und wird regelmäßig in einem nahegelegenen Krankenhaus zwangsbehandelt.

Im Jahr 2022 beantragte der Betreuer laut Angaben, der Frau ein Medikament auf der Station des Wohnverbundes zu verabreichen. Er begründete dies damit, dass der Transport in die Klinik in der Vergangenheit manchmal nur möglich gewesen sei, indem die Patientin fixiert wurde. Dies führte regelmäßig zu einer Retraumatisierung bei ihr.

Wie landete der Fall in Karlsruhe?

Die Gerichte wiesen den Antrag ab, wodurch der Fall letztendlich vor dem BGH landete. Nach dessen Überzeugung ist die Verpflichtung, eine solche Zwangsmaßnahme in einem Krankenhaus durchzuführen, mit Artikel 2 des Grundgesetzes unvereinbar. Aus diesem Artikel ergibt sich eine Schutzpflicht des Staates vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit.

Der BGH legte den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor. Im Juli fand die mündliche Verhandlung dazu vor dem Ersten Senat in Karlsruhe statt.

Was spricht für eine Neuregelung?

Der Transport zum Krankenhaus kann für Betroffene eine große Belastung darstellen, sagte Thomas Pollmächer von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde während der Verhandlung. Oft dauert allein die Fahrt 20 bis 30 Minuten, die der Patient in der Regel bewusst erlebt.

Es besteht die Möglichkeit, dass Menschen bei Fixierungen verletzt werden. In bestimmten Fällen könnten die Auswirkungen schwerwiegende körperliche oder psychische Folgen haben, so sagte er. Wenn jemand beispielsweise glaubt, gefoltert zu werden, könnte dies verstärkt werden.

Was sagt die Bundesregierung?

Die Bundesregierung plant, die bestehende Regelung beizubehalten, wie Ministerialdirektorin Ruth Schröder aus dem Bundesjustizministerium im Juli in Karlsruhe betonte. Es sei unmöglich, Ausnahmen im Gesetz allgemein zu regeln, da dies Zwangsmaßnahmen Tür und Tor öffnen würde. Insbesondere solle das private Umfeld der Menschen von solchen Maßnahmen verschont bleiben. Zudem könnten in Krankenhäusern multiprofessionelle Teams ihre Fachkenntnisse einbringen.

Fachleute wie der Deutsche Richterbund und die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen befürworteten diese Position.

dpa