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Amnesty-Hilferuf: Menschenrechte weltweit in Gefahr

Es ist ein verheerendes Bild, das die Menschenrechts-NGO zeichnet. Die internationale Rechtsordnung sei in Gefahr, in Konflikten dominierten Doppelstandards. Kritik gibt es auch an Deutschland.

In einem neuen Bericht der Nichtregierungsorganisation Amnesty International zeichnet sich ein verheerendes Bild: Die internationale Rechtsordnung sei in Gefahr.
Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Gezielte Angriffe auf Zivilisten, Kriegsverbrechen und Missbrauch von Künstlicher Intelligenz: In einem verheerenden Jahresbericht hat Amnesty International (AI) weltweit schwere Verstöße gegen die Menschenrechte angeprangert. «Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind weltweit so bedroht wie seit Jahrzehnten nicht mehr», teilte die Organisation bei der Vorstellung ihres Jahresberichts mit.

Im Gaza-Krieg beschuldigt Amnesty sowohl die islamistische Hamas als auch die israelischen Streitkräfte Kriegsverbrechen. Die deutsche Sektion von Amnesty erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ampel-Regierung und insbesondere gegen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).

Laut dem AI-Bericht werden insbesondere die Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen sowie im Sudan die Universalität der Menschenrechte infrage stellen. Auch die zunehmende soziale Ungleichheit und die sich verschärfende Klimakrise seien eine wachsende Bedrohung.

Amnesty warnte in einer Art Hilferuf für die Menschenrechte vor zahlreichen Problemen, die im Schatten der globalen Krisenherde stünden. Dazu gehörten Rückschläge für Frauenrechte, beispielsweise in Afghanistan, sowie harte Anti-Abtreibungsgesetze in verschiedenen US-Bundesstaaten. Auch beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz gebe es gefährliche Tendenzen. Ein Überblick:

Israel und Gaza

Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, sagte in Berlin, die Hamas und andere bewaffnete Gruppen hätten mit ihrem brutalen Überfall auf Israel am 7. Oktober Kriegsverbrechen begangen. «Das Leid der Opfer ist durch nichts zu relativieren.» Doch der israelische Militäreinsatz in Gaza habe jedes Maß verloren und gehe mit zahlreichen Kriegsverbrechen und Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht einher. Im Umgang mit bewaffneten Konflikten dominierten Doppelstandards.

Auch die Bundesregierung trage zur Erosion der internationalen Ordnung bei, kritisierte Duchrow. «Sie schweigt zu den Kriegsverbrechen der israelischen Armee und verspielt damit ihre Glaubwürdigkeit. Doppelstandards vertragen sich nicht mit der menschenrechtsbasierten Außenpolitik, die Annalena Baerbock angekündigt hat», kritisierte sie.

Die Bundesregierung weigere sich, «die Kriegsverbrechen der israelischen Armee beim Namen zu nennen». Amnesty fordere alle Staaten und auch die Bundesregierung auf, keine Waffen an Israel oder andere am Konflikt Beteiligte zu liefern, «bei denen die Gefahr besteht, dass damit Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen begangen werden».  

Duchrow antwortete auf die Frage, ob AI die Hamas als Terrorgruppe bezeichne: «Wir bezeichnen keine Organisation als Terrorgruppe.» Amnesty benutze den Begriff nicht, da er nicht legal völkerrechtlich definiert sei.

Deutschland

Amnesty bemerkt positiv, dass es nun einen Bundespolizeibeauftragten gibt – dies führt zu mehr Transparenz und stärkt die rechtsstaatliche Kontrolle. Die globalen Negativtrends zeigen sich jedoch auch in Deutschland. Deutschland erkennt strukturellen Rassismus nicht ausreichend an und unternimmt zu wenig, um Menschen vor Hasskriminalität zu schützen. Auch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind bedroht. Ein Beispiel sind generelle Verbote von Protesten, die sich solidarisch mit Palästinensern zeigen.

«Ganz schweres Geschütz» mit Hausdurchsuchungen, mehrwöchigem Präventivgewahrsam bis hin zu Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung sei gegen die Klimaaktivisten der Letzten Generation aufgefahren worden, beklagte Duchrow: «Das ist ein Angriff auf das Recht auf friedlichen Protest und die Zivilgesellschaft.» Besonders problematisch sei Bayern, wo eine 30-tägige Präventivhaft verhängt werden könne. 

Frauen- und Minderheitenrechte

In vielen Ländern gab es Rückschläge im Kampf für Geschlechtergerechtigkeit. Frauen in den USA haben es immer schwerer, eine Schwangerschaft abzubrechen. In Afghanistan wurde der Schulbesuch für Mädchen weiter eingeschränkt, im Iran gehen die Behörden härter gegen Frauen vor, die sich der Zwangsverschleierung widersetzen. Viele Regierungen beschränken die Rechte von LGBTI+ Personen. In 62 Ländern gibt es Gesetze, die gleichgeschlechtliche Handlungen unter Strafe stellen.

Ukraine

Die internationale Ordnung, die auf Menschenrechten basiert, wird offensiv in Frage gestellt, wie der russische Angriffskrieg in der Ukraine zeigt. Russland greift dicht besiedelte zivile Gebiete, die Energieinfrastruktur und Getreideexporte an, kritisiert AI. Der Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen gegen Kriegsgefangene wurde ebenfalls dokumentiert.

Sudan

Laut AI begehen im Sudan beide Konfliktparteien gezielte und wahllose Angriffe gegen Zivilisten. Der Machtkampf zwischen dem De-facto-Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und seinem früheren Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo hat in den letzten zwölf Monaten die größte Flüchtlingskrise weltweit ausgelöst. Laut aktuellen Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks sind mehr als 8,6 Millionen Menschen innerhalb des Sudans und in den Nachbarländern auf der Flucht. Die humanitäre Krise im Sudan zählt zu den schlimmsten weltweit.

Künstliche Intelligenz

Die Expertin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter bei Amnesty Deutschland, Lena Rohrbach, warnte, der zunehmende Einsatz neuer Technologien wie Künstliche Intelligenz, Spionage- oder Gesichtserkennungssoftware wirke oft wie ein Verstärker bei der Bedrohung der Menschenrechtslage. Menschen auf der Flucht würden «zum Experimentierfeld neuer Technologien», etwa durch biometrische Überwachung oder algorithmische Entscheidungssysteme wie angebliche Lügendetektoren an der Grenze. Nötig sei eine robuste, zukunftsfeste Regulierung neuer Technologien, verlangte Rohrbach.

Sie kritisierte auch die während der Olympischen Sommerspiele in Paris geplante Videoüberwachung. Es gehe dabei weniger um Gesichtserkennung, als um eine intelligente Videoüberwachung, die bestimmte vorher festgelegte Situationen erkennen solle – etwa wenn eine große Menschenmenge aus Sicht der Standards, die die KI erhalten habe, zu unruhig werde. «Wir halten das für einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Menschen, die da aufgenommen werden», sagte Rohrbach.

dpa