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Asylverfahren auslagern? Gerichtshof verschärft Bedingungen

Italiens Regierung will Asylzentren im Ausland. Bisher liegt die Idee wegen Gerichtsverfahren auf Eis. Das oberste EU-Gericht hat die Hürden für einen Teilaspekt des italienischen Modells nun erhöht.

Italien wollte die Asylanträge von auf dem Mittelmeer gestoppten Migranten aus sicheren Herkunftsländern in Albanien prüfen und sie erst dann einreisen lassen. Jetzt äußert sich der EuGH zu einem Aspekt dieses Modells. (Archivbild)
Foto: Cecilia Fabiano/LaPresse/AP/dpa

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat Leitplanken für das italienische «Albanien-Modell» zu beschleunigten Asylverfahren im Ausland aufgestellt. Das Prestigeprojekt der Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist umstritten. Welche Bedeutung hat die Entscheidung des höchsten europäischen Gerichts? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Was entschied das Gericht?

Im Verfahren wurde diskutiert, unter welchen Bedingungen EU-Mitgliedstaaten Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer einstufen können. Italien hat in diesem Fall unter anderem Bangladesch als sicheren Herkunftsstaat festgelegt. Das höchste europäische Gericht hat entschieden: Mitgliedstaaten haben das Recht, eine solche Einstufung nach EU-Recht vorzunehmen, müssen jedoch die Quellen für ihre Bewertung offenlegen, um eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen.

Außerdem entschieden die Richterinnen und Richter in Luxemburg, dass – zumindest bis zum Inkrafttreten einer neuen EU-Asylregelung – ein Land kein «sicherer» Herkunftsstaat sei, wenn bestimmte Personengruppen, etwa homosexuelle Menschen, dort nicht sicher sind.

Was bedeutet das Urteil für Deutschland?

Auch die Bundesrepublik hat eine Liste sicherer Herkunftsstaaten. Sie umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie Georgien, Ghana, Moldau und den Senegal. «Das Urteil ist auch für Deutschland wegweisend, denn die europäischen Vorgaben zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier», sagt Migrationsrechts-Expertin Pauline Endres de Oliveira.

Das Bundesinnenministerium, das für das Thema zuständig ist, äußerte sich zunächst nicht zu den konkreten Auswirkungen des Urteils für Deutschland. Ein Sprecher sagte, dass man die Entscheidung des EuGH prüfen werde. Er wies darauf hin, dass Deutschland nur Staaten als sicher einstufe, wenn die Bevölkerung dort als sicher gelte und bereits die Gründe für eine solche Einstufung offenlegt habe.

Vor Kurzem hat das schwarz-rote Kabinett auch eine Reform eingeleitet, um sichere Herkunftsstaaten durch Verordnung festlegen zu können – ohne Einbeziehung des Parlaments und des Bundesrates.

Was haben die Länder-Listen mit dem «Albanien-Modell» zu tun?

Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung des «Albanien-Modells». Hintergrund ist, dass die EU-Mitgliedstaaten den Schutzstatus bei Menschen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen, in einem Schnellverfahren prüfen können. 

Italien plant, solche Verfahren außerhalb der EU durchzuführen, speziell in Albanien. Der EuGH hat lediglich eine Teilfrage des Modells geklärt und die Rahmenbedingungen für die Prüfung von Asylanträgen von Mittelmeer-Migranten außerhalb der EU festgelegt.

Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem «Albanien-Modell» weitergehen kann, ist laut Rechtsexpertin Endres de Oliveira unklar. «Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim „Italien-Albanien-Modell“ im Raum stehen», erklärt die Professorin der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert werden – und es sei kein Haftgrund, einen Asylantrag zu stellen.

Wie reagierte die italienische Regierung?

Das Urteil stieß in Italien auf scharfe Kritik. Die Entscheidung sei überraschend und schränke den ohnehin begrenzten Handlungsspielraum der Regierungen weiter ein, sagte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. «Dies ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte.» Die Justiz – diesmal die europäische – beanspruche Zuständigkeiten, «die ihr nicht zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt», teilte die Chefin der rechten Regierungspartei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) mit. Demnach gibt das Urteil Einschätzungen einzelner nationaler Richter, die sich auch auf private Quellen stützen könnten, Vorrang vor der Bewertung durch Fachministerien und Parlament.

Wie funktioniert das italienische Modell genau?

Italien und Albanien haben eine Vereinbarung getroffen, um Asylanträge auf albanischem Boden nach italienischem Recht zu prüfen. Zwei Lager wurden in Albanien errichtet, in denen italienische Beamte über die Anträge von Migranten entscheiden, die auf dem Mittelmeer auf dem Weg nach Europa gestoppt wurden. Die Regelung gilt jedoch nur für männliche Migranten aus als sicher geltenden Herkunftsstaaten, die volljährig sind – Frauen und Minderjährige sind ausgenommen. Während des Prüfverfahrens dürfen die Antragsteller die Lager in Albanien nicht verlassen. Erst bei erfolgreicher Antragsstellung dürfen sie nach Italien.

Das Modell hat bisher nicht funktioniert: Die italienische Justiz hat die Pläne der rechten Regierungskoalition gestoppt.

Was passiert aktuell mit den Lagern in Albanien?

Nach den Niederlagen vor italienischen Gerichten verabschiedete die Koalition von Meloni im März einen neuen Erlass, der vorsieht, dass abgelehnte Asylbewerber in Albanien untergebracht werden können, während sie auf die Abschiebung warten. Dies erweiterte die Nutzungsmöglichkeit der Lager. Im April wurden erstmals abgelehnte Asylbewerber in die Einrichtung in Gjader im Norden Albaniens überführt.

Davor standen die Einrichtungen meist leer und wurden vor allem von Beamten genutzt. Seit der Einführung der neuen Nutzungsoption passierten laut der Zeitschrift «Altreconomia», die sich auf Daten des italienischen Innenministeriums beruft, bis Ende Juni rund 110 Menschen die Zentren. Das Innenministerium antwortete bisher nicht auf die Anfrage dazu, wie viele Menschen sich derzeit in den Einrichtungen aufhalten.

Wie steht die EU zu dem Modell?

Das Abkommen zwischen Italien und Albanien wurde in mehreren EU-Ländern aufmerksam verfolgt – insbesondere, weil sich einige Regierungen ähnliche Modelle vorstellen könnten. Dänemark zum Beispiel zeigte früh Interesse an Asylverfahren in Drittstaaten.

Gemäß einer neuen Regelung in der EU können Staaten künftig auch unter Ausnahmen von Personengruppen sowie bestimmter Regionen insgesamt als sicheres Herkunftsland eingestuft werden. Diese Bestimmung ist Teil der umfangreichen EU-Asylrechtsreform, die ab Juni 2026 in Kraft tritt. Das Gericht in Luxemburg wies darauf hin, dass es der EU freisteht, den Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Regelung vorzuziehen. Bis dahin gilt jedoch weiterhin das alte EU-Recht – und die Auslegung des Gerichts.

Die Europäische Kommission schlug im April eine EU-Liste sicherer Herkunftsländer vor, um die Asylverfahren für Antragsteller aus dem Kosovo, Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien zu beschleunigen. Sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat der Europäischen Union müssen dem Vorschlag noch zustimmen.

Welchen Unterschied gibt es zu Rückführungszentren?

Mehrere EU-Staaten sprechen aktuell über die Idee, bereits endgültig abgelehnte Asylbewerber in Drittstaaten außerhalb Europas unterzubringen – in sogenannten Rückführungszentren. Deutschlands Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) bestätigte zuletzt dieses Ziel. Die EU-Kommission hat dazu ein Gesetz vorgeschlagen, die EU-Staaten und das Parlament müssen noch verhandeln. Nach dem ursprünglichen «Albanien-Modell» soll aber schon die Antragsprüfung im Ausland stattfinden.

dpa