Italiens Regierung will Asylzentren im Ausland. Bisher liegt die Idee wegen Gerichtsverfahren auf Eis. Nun äußert sich erstmals das oberste EU-Gericht zu einem Teilaspekt des Modells.
Asylverfahren auslagern? Italiens «Albanien-Modell» vor EuGH
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) äußert sich an diesem Freitag (10.00 Uhr) zum ersten Mal zu einem Aspekt des italienischen «Albanien-Modells». Das Prestigeprojekt der Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, das beschleunigte Asylverfahren im Ausland ermöglichen will, ist umstritten. Welche Bedeutung hat die anstehende Entscheidung des höchsten europäischen Gerichts? Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Worüber entscheidet das Gericht?
Im Prozess wird untersucht, unter welchen Bedingungen EU-Mitgliedstaaten Länder als sogenannte sichere Herkunftsländer einstufen dürfen. Italien hat in diesem Fall unter anderem Bangladesch als sicheren Herkunftsstaat festgelegt. Das höchste europäische Gericht wird entscheiden, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten gemäß EU-Recht eine solche Einstufung vornehmen können. Dabei wird diskutiert, ob ein Land nach EU-Recht insgesamt als sicher eingestuft werden kann, auch wenn es für bestimmte Gruppen – wie beispielsweise homosexuelle Menschen – nicht sicher ist.
Was bedeutet das Urteil für Deutschland?
Auch Deutschland hat eine Liste sicherer Herkunftsstaaten. Diese beinhaltet neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie Georgien, Ghana, Moldau und Senegal. «Das Urteil ist auch für Deutschland wegweisend, denn die europäischen Vorgaben zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier», sagt Migrationsrechts-Expertin Pauline Endres de Oliveira.
Was haben die Länder-Listen mit dem «Albanien-Modell» zu tun?
Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung für die Umsetzung des «Albanien-Modells». Hintergrund ist, dass die EU-Mitgliedstaaten den Schutzstatus bei Menschen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen, in einem Schnellverfahren prüfen können. Solche Verfahren will Italien außerhalb der EU durchführen, konkret in Albanien. Der EuGH klärt also eine Teilfrage des Modells und steckt Rahmenbedingungen für die Prüfung von Asylanträgen von Mittelmeer-Flüchtlingen außerhalb der EU ab.
Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem «Albanien-Modell» weitergehen kann, ist laut Rechtsexpertin Endres de Oliveira unklar. «Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim „Italien-Albanien-Modell“ im Raum stehen», erklärt die Professorin der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert werden – und eine Asylantragstellung sei kein Haftgrund.
Wie funktioniert das italienische Modell genau?
Italien und Albanien haben eine Vereinbarung getroffen, um Asylanträge auf albanischem Boden gemäß italienischem Recht zu prüfen. Dafür wurden zwei Lager in Albanien errichtet, in denen italienische Beamte über die Anträge von Migranten entscheiden sollen, die auf dem Mittelmeer auf dem Weg nach Europa gestoppt wurden. Diese Regelung gilt jedoch nur für männliche Migranten aus als sicher geltenden Herkunftsstaaten, die volljährig sind – Frauen und Minderjährige sind ausgenommen. Während des Prüfverfahrens dürfen die Antragsteller die Lager in Albanien nicht verlassen. Erst bei erfolgreicher Antragsstellung dürfen sie nach Italien reisen.
Das Modell hat bisher nicht funktioniert: Die italienische Justiz hat die Pläne der rechten Regierungskoalition gestoppt.
Was passiert aktuell mit den Lagern in Albanien?
Nach den Niederlagen vor italienischen Gerichten verabschiedete die Koalition von Meloni im März einen neuen Erlass, wonach abgelehnte Asylbewerber in Albanien untergebracht werden können, während sie auf die Abschiebung warten. Damit erweiterte sie die Nutzungsmöglichkeit der Lager. Im April wurden erstmals abgelehnte Asylbewerber in die Einrichtung im nordalbanischen Gjader überstellt.
Davor standen die Einrichtungen meist leer und wurden vor allem von Beamten genutzt. Seit der Einführung der neuen Nutzungsoption passierten laut der Zeitschrift «Altreconomia», die sich auf Daten des italienischen Innenministeriums beruft, bis Ende Juni rund 110 Menschen die Zentren. Das Innenministerium antwortete bisher nicht auf die Anfrage dazu, wie viele Menschen sich derzeit in den Einrichtungen aufhalten.
Wie steht die EU zu dem Modell?
Das Abkommen zwischen Italien und Albanien wurde in mehreren EU-Ländern aufmerksam verfolgt – nicht zuletzt, weil sich einige Regierungen ähnliche Modelle vorstellen könnten. Dänemark zum Beispiel zeigte früh Interesse an Asylverfahren in Drittstaaten.
Die große EU-Asylreform steht dem nicht entgegen. Sie legt Kriterien für sichere Staaten fest und trifft Bestimmungen zu Asylverfahren in Drittstaaten, will die Verfahren rechtlich aber etwas anders handhaben als das «Albanien-Modell».
Die Europäische Kommission schlug im April eine EU-Liste sicherer Herkunftsländer vor. Bei Antragstellern aus dem Kosovo, Bangladesch, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien sollen Asylverfahren schneller werden. Der Vorschlag muss noch vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union genehmigt werden.
Was sagt die deutsche Regierung?
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) signalisierte grundsätzlich Bereitschaft für solche Modelle. Trotz der Erfahrungen in Italien werde die Auslagerung von Asylverfahren geprüft, sagte er im Mai während eines Besuchs in Rom. Laut einem Bericht des Bundesinnenministeriums, der noch unter der damaligen Ministerin Nancy Faeser (SPD) vorgestellt wurde, wäre eine Auslagerung von Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU jedoch praktisch nicht so einfach umzusetzen.
Das schwarz-rote Kabinett hat kürzlich eine Reform eingeleitet, um sichere Herkunftsstaaten durch Verordnung festlegen zu können, ohne das Parlament und den Bundesrat einzubeziehen.
Welchen Unterschied gibt es zu Rückführungszentren?
Mehrere EU-Staaten sprechen aktuell über die Idee, bereits endgültig abgelehnte Asylbewerber in Drittstaaten außerhalb Europas unterzubringen – in sogenannten Rückführungszentren. Deutschlands Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) bestätigte zuletzt dieses Ziel. Die EU-Kommission hat dazu ein Gesetz vorgeschlagen, die EU-Staaten und das Parlament müssen noch verhandeln. Nach dem ursprünglichen «Albanien-Modell» soll aber schon die Antragsprüfung im Ausland stattfinden.