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Attentat auf Regierungschef Fico erschüttert Slowakei

Ministerpräsident Fico sucht das Gespräch mit Bürgern, da fallen Schüsse. Erst vor wenigen Tagen warnte der linkspopulistische Politiker vor drohenden Gewalttaten. Sein Gesundheitszustand ist unklar.

Das Attentat auf Fico hatte nach Einschätzung der Regierung ein «politisches Motiv».
Foto: Denes Erdos/AP/dpa

Ein Anschlag auf den Regierungschef Robert Fico hat das EU- und Nato-Land Slowakei in einen Schockzustand versetzt. Bis zum Morgen gab es keine Gewissheit über den Gesundheitszustand des 59-Jährigen, der gestern noch einer mehrstündigen Notoperation in der Regionalhauptstadt Banska Bystrica unterzogen werden musste.

Innenminister Matus Sutaj Estok und Verteidigungsminister Robert Kalinak, der auch stellvertretender Regierungschef ist, hatten noch in der Klinik verkündet, Ficos Zustand sei lebensbedrohlich und «außerordentlich ernst». Am frühen Morgen berichteten slowakische Medien, Fico habe nach der Operation wieder das Bewusstsein erlangt. Allerdings nannten weder der Fernsehsender TA3 noch die Zeitung «Dennik» Details zum Gesundheitszustand des Regierungschefs.

Internationale Reaktionen

Das Attentat auf Fico löste auch international Bestürzung aus. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte das Attentat auf Fico «unerträglich». «Ich wünsche ihm, dass er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt», sagte Scholz. US-Präsident Joe Biden sprach von einer «schrecklichen Gewalttat». «Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk», erklärte er.

In der Slowakei wurde die ansonsten hitzige politische Debatte vorübergehend unterbrochen. Eine turbulente Parlamentssitzung wurde am Mittwochnachmittag abgebrochen und auf unbestimmte Zeit verschoben. Die liberalen Oppositionsparteien haben vorerst alle politischen Kundgebungen abgesagt. Ursprünglich hatten sie für Mittwochabend zu einer Massendemonstration gegen die von dem Linkspopulisten Fico geführte Regierung und deren Plan einer Auflösung des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens RTVS aufgerufen.

Fico habe ein sogenanntes «Polytrauma»

Fico wurde gegen 14.30 Uhr von einem Attentäter angeschossen, als er sich nach einer Kabinettssitzung im Kulturhaus der Kleinstadt Handlova nach draußen begab, um wartende Anhänger zu begrüßen. Das Lokalfernsehen RTV Prievidza veröffentlichte ein Video vom Vorfall: Ein Mann drängt sich an den Zaun und schießt aus nächster Nähe auf den Ministerpräsidenten.

Nach Augenzeugenberichten soll der Täter den Politiker laut zu sich gerufen und dann aus unmittelbarer Nähe fünf Schüsse auf ihn abgegeben haben. Der Regierungschef habe ein sogenanntes «Polytrauma», also mehrere schwere Verletzungen erlitten, teilte der Innenminister den Medien mit.

Innenminister: Täter habe «ein klar politisches Motiv»

Berichten zufolge soll es sich bei dem Täter um einen 71-Jährigen namens Juraj C. handeln, ehemals Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes. Offiziell bestätigt wurde das zunächst nicht. Der Innenminister sagte bloß, der Täter habe «ein klar politisches Motiv» gehabt, das habe eine erste Vernehmung ergeben.

Der TV-Nachrichtensender TA3 und andere Medien bekamen eine Videoaufnahme aus der Polizeistation zugespielt. Darin sagt der benommen wirkende mutmaßliche Attentäter: «Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu.» Als Beispiel nannte er mit undeutlicher Stimme die von der Regierung geplante Medienreform, gegen die seit Wochen Tausende Menschen demonstrieren. Auch die Frau des mutmaßlichen Täters wurde nach Medienberichten von der Polizei verhört.

Fico hatte kürzlich der liberalen Opposition vorgeworfen, ein feindseliges Klima gegen seine Regierung zu schüren. Er schloss nicht aus, dass es aufgrund der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat kommen könnte.

Politische Stimmung im Land aufgeheizt

Fico ist Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen Linkspartei Smer-SSD und seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich wie kaum ein anderer. Gegner nennen ihn «prorussisch» und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie Ungarn unter der Ägide des mit autoritären Mitteln regierenden Ministerpräsidenten Viktor Orban führen zu wollen.

In der Tat hat die Slowakei seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober im Gegensatz zu Ungarn alle EU-Sanktionen gegen Russland unterstützt und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt – einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und der Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU, jedoch nicht zur NATO.

Fico lehnt die Sanktionen gegen Russland nicht grundsätzlich ab, trotz irreführender Medienberichte. Er bemängelt lediglich, dass einige von ihnen der von russischem Gas, Öl und Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als Russland selbst. Anstelle dessen fordert er Sanktionen, die Russland empfindlicher treffen.

dpa