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Aufregung in Thüringen: Ramelow als CDU-Mehrheitsbeschaffer?

Die Hoffnung auf eine Mehrheitskoalition starb am Wahlabend. Nun kursieren wilde Gerüchte und Spekulationen, wie die CDU aus einer Pattsituation herauskommt. Die Hauptrolle spielt dabei ein Linker.

Wie kommt Thüringen zu einer neuen Regierung - das beschäftigt den Freistaat zwei Tage nach der Wahl.
Foto: Michael Kappeler/dpa

Gerade Deutschlands wohl bekanntester Linker als Königsmacher eines potenziellen CDU-Ministerpräsidenten in Thüringen? In den ersten Tagen nach der Landtagswahl, die zu äußerst komplizierten Mehrheitsverhältnissen und einer Wahlsiegerin AfD führte, gibt es Spekulationen über eine Rolle von Noch-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) als möglicher Mehrheitsbeschaffer.

Eine Koalition mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und der SPD, die von CDU-Chef Mario Voigt angestrebt wird, verfügt im Landtag in Erfurt über 44 Stimmen – bei 88 Sitzen fehlt mindestens eine Stimme.

«Es ist alles Quatsch» 

Durch die Gänge im Thüringer Landtag und bei den Vorstandssitzungen der Parteien wabert das Gerücht, Ramelow könnte in der von ihm immer betonten «staatsbürgerlichen Verantwortung» aus der Linke-Faktion austreten und dem fragilen Bündnis seines potenziellen Nachfolgers als Mehrheitsbeschaffer dienen. Oder der 68-Jährige könnte sich als direkt gewählter Abgeordneter der Linken stets der Stimme enthalten. 

«Ich spiegel nur wider, was alles an abstrusen Vorstellungen im Raum ist», heißt es hinter vorgehaltener Hand von manchen Landespolitikern, die die Gerüchte eifrig wiederholen. «Es ist alles Quatsch, es ist alles Unsinn», sagt ein sichtlich erboster Ramelow dazu der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. «Es ist eine Unverschämtheit, Gerüchte zu streuen ohne Substanz. Ich verbitte mir jede Spekulation.» 

Er werde als Ministerpräsident der Linken und ihr Spitzenkandidat weder seine Partei oder Fraktion verlassen, noch als Person durch Stimmenthaltung oder andere Aktionen für Mehrheiten sorgen, sagte Ramelow. Und er fügt hinzu: «Es wird aus der Linken-Fraktion auch sonst keiner wechseln.» Er sei weder «Privatier noch eine Ich-AG». Und er werde die parlamentarischen Regeln niemals mit Füßen treten. 

«Ich werde alles tun, dass es zu einer Mehrheitsregierung kommt»

Aber von ihm stammen auch interpretierbare Sätze in diesen aufgeregten Tagen in Thüringen. Vom «Spiegel» darauf angesprochen, dass dem denkbaren Bündnis der Konkurrenzparteien CDU, BSW und SPD eine Stimme zur Mehrheit fehlt, sagte er: «Eine Stimme sitzt vor Ihnen.»

Und er betont immer wieder nach seiner Erfahrung mit der rot-rot-grünen Minderheitskoalition, dass er niemandem eine Minderheitsregierung empfehlen könne. Am Sonntag wurde Rot-Rot-Grün abgewählt.

Zudem bot Ramelow noch am Wahlabend Unterstützung bei der Regierungsbildung an – «falls das von den anderen Parteien gewünscht sein sollte». «Ich werde alles tun, dass es zu einer Mehrheitsregierung kommt.» Oder: «Ich bin bereit zu Lösungen und beteilige mich nicht an Ausschließeritis.» 

Ob dies auch eine Tolerierung einer potenziellen Dreier-Koalition unter CDU-Führung bedeuten könnte, bleibt der Linke-Politiker auf Nachfrage unklar. Oder meint er mit einer Mehrheitsregierung sogar eine, an der seine Linke beteiligt ist, die zwölf Landtagssitze hat? Die Linke-Chefin Thüringens, Ulrike Grosse-Röthig, fordert zumindest eine Überprüfung des Unvereinbarkeitsbeschlusses der CDU – dieser gilt derzeit sowohl für AfD als auch für Linke gleichermaßen.

Ramelow wartet auf CDU-Anruf

«Ich muss nicht spekulieren», sagt Ramelow und verweist darauf, dass Voigt am Zug sei, die demokratischen Parteien zu Gesprächen einzuladen. Die CDU habe unter den demokratischen Parteien die meisten Sitze (23) erhalten und damit den Auftrag zur Regierungsbildung. Seine Linkspartei stehe zum Gespräch bereit, «wenn Herr Voigt anruft». 

Der 47-jährige Voigt plant, zuerst mit BSW und SPD zu sprechen, mit Ramelow wahrscheinlich vorerst nur über den Haushaltsentwurf für 2025. Thüringens ehemalige CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht plädierte immerhin für Gespräche auch mit der Linken. «Schon allein für eine Duldung führt an der Linken kein Weg vorbei. Das ist Mathematik – nichts anderes», sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Moderator-Rolle im Koalitionspoker

Der Jenaer Politikwissenschaftler Torsten Oppelland hält eine Koalition aus CDU, BSW und SPD – immerhin ein bisher in Deutschland einmaliges Modell – für möglich. «Auf landespolitischer Ebene sind die politischen Unterschiede zwischen der CDU und der Wagenknecht-Partei nicht so gewaltig», sagt er der dpa. 

Letztlich ist die Situation unter umgekehrten Vorzeichen vergleichbar mit der von Ramelow 2020 – sein Bündnis mit SPD und Grünen hatte auch keine Mehrheit. Zumindest für ein Jahr gab es einen Stabilitätspakt mit der CDU. Eine Tolerierung einer CDU-geführten Regierung durch die Linke ist keine Pflicht. «Aber am Ende wird es darauf hinauslaufen», glaubt Oppelland.

Ramelow sieht seine Rolle so: “Zunächst bleibe ich Ministerpräsident, bis eine neue Regierung im Amt ist, nach Konstituierung des Landtags wahrscheinlich Ende September geschäftsführend.” Im Gegensatz zu Voigt und AfD-Rechtsaußen Björn Höcke hat Ramelow seinen Landtagswahlkreis direkt gewonnen und wird nach eigenen Angaben sein Abgeordnetenmandat wahrnehmen.

Im Koalitionspoker kann sich der erfahrene Politiker, Ex-Gewerkschaftsfunktionär und Bahn-Schlichter Ramelow offenbar eine moderierende Rolle vorstellen. «Ja, wenn es gewünscht wird. Ich kann versuchen, die Parteien ins Gespräch zu bringen», sagt Ramelow auf dpa-Nachfrage. Die erste Herausforderung sei dabei die Wahl einer Landtagspräsidentin oder eines Präsidenten. Das Vorschlagsrecht hat die stärkste Partei – die AfD. 

dpa