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Banges Warten auf Geiseln und bittere Rückkehr in Ruinen

Die US-Regierung hat eine Gaza-Waffenruhe sowie die Freilassung von Geiseln und Häftlingen vermittelt. Nun reist Präsident Trump in die Region – für eine Rede in Israel und einen Gipfel in Ägypten.

Bei der Kundgebung in Tel Aviv waren «Danke Trump»-Sprechchöre zu hören.
Foto: Emilio Morenatti/AP/dpa

Etwa zwei Jahre nach dem Oktober-Massaker der Hamas und dem Beginn des Gaza-Kriegs warten Angehörige, Freunde und ganz Israel gespannt auf die Rückkehr der letzten Geiseln aus dem Gazastreifen. Die islamistische Hamas hat im Rahmen des von US-Präsident Donald Trump vorgelegten Plans für einen dauerhaften Frieden die Übergabe aller verbliebenen Geiseln in ihrer Gewalt angekündigt. Die Frist hierfür endet am Montag.

Laut Hamas-Quellen werden die Palästinenserorganisation und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ab Sonntag damit beginnen, die noch lebenden Geiseln – nach israelischen Angaben sind es 20 – bis zum frühen Montagmorgen an vereinbarten Punkten zusammenzubringen, bevor sie durch das IKRK freigelassen werden. Zusätzlich sollen die sterblichen Überreste von 27 weiteren Geiseln aus Israel und eines bereits 2014 getöteten israelischen Soldaten übergeben werden.

Gemäß der Vereinbarung muss Israel knapp 2.000 palästinensische Häftlinge freilassen – darunter bis zu 250 Gefangene, die wegen Terroranschlägen zu lebenslanger Haft verurteilt wurden. Die genaue Anzahl dieser verurteilten Palästinenser und ihre Namen wurden zunächst nicht bekannt gegeben.

Jubel für Trump, Buh-Rufe für Netanjahu

Bei einer Großkundgebung der Organisation der Angehörigen der Geiseln in der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv bezeichnete der US-Sondergesandte Steve Witkoff die Rolle von US-Präsident Donald Trump als entscheidend für die erzielten Fortschritte. «Wir alle sind Präsident Trump zu tiefstem Dank verpflichtet», sagte er sichtlich bewegt. Viele der Teilnehmer – nach Angaben der Organisatoren waren es rund 400.000 – jubelten und riefen in Sprechchören «Danke Trump».

Als Witkoff jedoch den Namen des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu erwähnte, wurde seine Rede zeitweise von einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert und Buhrufen übertönt. Viele Angehörige und Freunde der Geiseln werfen Netanjahu vor, nicht genug unternommen zu haben, um die Entführten freizulassen, da politische Motive für ihn wichtiger waren als ihr Schicksal.

Palästinenser in Ruinen und Ödland 

Die Angehörigen in Israel befinden sich in einem Schwebezustand aus Hoffnung auf die Rückkehr der Lebenden und Trauer über die zu erwartenden Toten, während die Palästinenser im von Israel abgeriegelten Gazastreifen in einer verzweifelten Lage sind. Nach zwei Jahren Krieg müssen Hunderttausende in einer weitgehend zerstörten Trümmerlandschaft zurechtkommen, die vermutlich von Blindgängern übersät ist, und können nur durch anhaltende Hilfe von außen überleben.

Es wird angenommen, dass bereits über 200.000 Menschen aus dem südlichen Gazastreifen in die weitgehend zerstörte Stadt Gaza im Norden zurückgekehrt sind. Viele von ihnen haben ähnliche Erfahrungen wie der bekannte palästinensische Arzt Essideen Schebab gemacht.

Arzt: Hamas kroch in die Tunnel, Zivilisten waren schutzlos

«Seit dem frühen Morgen befinden sich meine Familie und ich in einem Zustand des völligen psychischen Zusammenbruchs», schrieb der Mediziner, der durch seine Berichte aus dem Kriegsgebiet bekannt wurde, auf der Plattform X. «Heute haben wir erfahren, dass unsere Häuser, unser Land und unsere gesamte Nachbarschaft, jedes Haus unserer Familie und unserer Nachbarn, vollständig ausgelöscht wurden.» Alles sei wie von Bulldozern dem Erdboden gleichgemacht, zu einer öden Fläche aus gelbem Staub platt gedrückt worden. 

Die Hamas habe den Krieg vom Zaun gebrochen, schrieb Schebab. Und dann hätten sich die Islamisten vor den israelischen Angriffen in die Tunnel unter dem Gazastreifen verkrochen, während die Zivilbevölkerung der «vollen Grausamkeit der israelischen Armee» ausgesetzt gewesen sei.

Riesige Hürden vor «ewigem Frieden»

Auch wenn vielfach von einem «Durchbruch» die Rede ist: Vor dem von Trump beschworenen «ewigen Frieden» für die Region liegen noch riesige Hürden. Zwar soll dem Austausch der Geiseln gegen Häftlinge nach dem 20 Punkte umfassenden Plan Trumps eine weitere Verhandlungsphase mit dem Ziel einer dauerhaften Beilegung des jahrzehntealten israelisch-palästinensischen Konflikts folgen. Doch diese Phase dürfte sich höchst schwierig gestalten.

Viele Streitpunkte bleiben

Die Standpunkte beider Seiten könnten kaum unterschiedlicher sein. Die Hamas leugnet weiterhin das Existenzrecht Israels, während Netanjahu und seine rechtsextremen Regierungspartner die Hamas vollständig zerstören wollen.

Die Hamas lehnt die in Trumps Friedensplan vorgesehene Entwaffnung und eine auch nur vorübergehende ausländische Aufsicht über den Küstenstreifen ab. Es gibt auch keine Garantie dafür, wie und wann sich Israels Armee vollständig aus dem Gazastreifen zurückzieht. Regierungschef Netanjahu warnt davor, dass der jüdische Staat den Krieg wieder aufnehmen wird, wenn die islamistischen Terroristen nicht entwaffnet werden.

Viele Israelis lehnen Zweistaatenlösung ab

Netanjahu lehnt entschieden ab, dass die Palästinensische Autonomiebehörde aus dem Westjordanland später den Gazastreifen verwaltet. Die Möglichkeit eines Palästinenserstaates, die im Plan von Trump angedeutet wird, ist nicht nur für den israelischen Ministerpräsidenten völlig inakzeptabel, sondern wird auch von vielen seiner Landsleute abgelehnt.

Frist für Geiselfreilassung läuft 

Seit dem Beginn der Waffenruhe am Freitag um 12.00 Uhr Ortszeit (11.00 Uhr MESZ) läuft eine 72-stündige Frist für die Freilassung der Geiseln. Laut Hamas-Quellen sollen alle lebenden und idealerweise auch die verstorbenen Geiseln voraussichtlich zwischen Sonntag und Montagmorgen um 6.00 Uhr (5.00 Uhr MESZ) schrittweise übergeben werden. Trump hatte zuvor angekündigt, dass er die Übergabe am Montag erwartet.

Die Rückkehr wird vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz ohne öffentliche Zeremonie und ohne Medienvertreter organisiert, nachdem der Hamas vorgeworfen wurde, frühere Geiselbefreiungen propagandistisch inszeniert zu haben.

Gemäß dem Friedensplan haben die israelischen Streitkräfte inzwischen auch eine zuvor vereinbarte Position verlassen. Dennoch kontrollieren sie noch immer etwas mehr als die Hälfte des Küstenstreifens.

Gaza-Gipfel mit Trump in Ägypten

Trump wird während seiner bevorstehenden Nahost-Reise eine Rede vor dem israelischen Parlament halten. Das kündigte er im Weißen Haus an, nachdem ihn Parlamentspräsident Amir Ohana offiziell in die Knesset eingeladen und auf der Plattform X geschrieben hatte: «Israel erwartet den Friedenspräsidenten.» 

Außerdem will Trump nach Ägypten reisen, um an einer «offiziellen Unterzeichnung» des Abkommens zwischen Israel und der Hamas teilzunehmen. Das Außenministerium in Kairo teilte mit, im Küstenort Scharm el Scheich sei ein internationales Gipfeltreffen geplant. Den Vorsitz sollten dabei Trump und Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi haben. Ein Tag für den Gipfel wurde nicht erwähnt, laut der französischen Regierung findet das Treffen aber am Montag statt.

Vertreter der Hamas und Israels an einem Tisch – das war schon bei den Verhandlungen undenkbar, weshalb die Gespräche indirekt über Vermittler geführt wurden. Bei der Besiegelung des Gaza-Abkommens wird es nicht anders sein. Die Hamas nehme nicht an der geplanten Zeremonie teil, «nur die Vermittler sowie amerikanische und israelische Regierungsvertreter werden anwesend sein», hieß es aus Kreisen der Islamisten.

Bundeskanzler Friedrich Merz könnte ebenfalls nach Ägypten kommen, um an der Einigung teilzunehmen. Laut deutschen Regierungskreisen hat der CDU-Chef die Einladung von Staatschef al-Sisi dankend angenommen. Bisher wurde jedoch noch keine offizielle Reise des Kanzlers bestätigt. Andere Spitzenpolitiker haben jedoch bereits ihre Teilnahme fest zugesagt, darunter UN-Generalsekretär António Guterres und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

UN-Helfer: Genug Lebensmittel für zwei Millionen Menschen 

Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen hat die israelische Regierung aufgefordert, schnell weitere Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen zu ermöglichen. Das WFP hat ausreichend Lebensmittel in der Region, um die gut zwei Millionen Menschen im Gazastreifen für bis zu drei Monate zu versorgen – vorausgesetzt Israel gewährt vollen Zugang. Lastwagen aus Ägypten, Jordanien und dem von Israel besetzten Westjordanland sind bereits unterwegs, wie die UN-Organisation berichtete.

Gemäß der Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas ist geplant, die Hilfslieferungen in den Gazastreifen erheblich zu erhöhen. Laut Angaben aus Hamas-Kreisen sollen in der ersten Phase täglich etwa 600 Lastwagen mit Hilfsgütern einfahren – doppelt so viele wie zuvor.

dpa