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Bedrohte Ukraine organisiert ihr Heer um

Der ukrainische Präsident kann sich die Heimholung russisch besetzter Gebiete auf diplomatischem Weg in Zukunft vorstellen. Doch für ein Ende der Kämpfe will er Sicherheitsgarantien der Nato.

Im Osten der Ukraine drängen russische Truppen die Verteidiger Schritt für Schritt zurück.
Foto: Uncredited/Russian Defense MInistry Press Service via AP/dpa

Mit frischen Truppen und neuen Kommandeuren hofft die Ukraine die bedrohliche Lage an der Front im Osten zu stabilisieren. Präsident Wolodymyr Selenskyj entließ nach neun Monaten den Heereschef Olexander Pawljuk und setzte Generalmajor Mychajlo Drapatyj auf seinen Posten. Die Landstreitkräfte seien das Rückgrat der Armee, erklärte Selenskyj in einer Videoansprache. «Es sind Änderungen erforderlich – Änderungen in der Personalführung, die für mehr Ergebnisse auf dem Schlachtfeld sorgen werden.» 

Der Präsident sagte, dass der neue Heereschef Drapatyj die russische Offensive im östlichen Gebiet Charkiw erfolgreich gestoppt hat. Außerdem wurde Oleh Apostol, bisher Oberst und Kommandeur einer Brigade, zum stellvertretenden Oberkommandierenden befördert. Diese Ernennungen sollen die Kampffähigkeit der Armee steigern, so Selenskyj während einer Sitzung mit seiner Militärführung in Kiew. Des Weiteren wurde Oberst Pawel Palissa zum stellvertretenden Leiter seines Präsidialamtes ernannt, um besser über die Lage an der Front informiert zu sein.

Frische Truppen für den Donbass

Im Gebiet Donezk im Osten der Ukraine rücken russische Truppen seit Monaten langsam, aber stetig vor. Den ukrainischen Verteidigern fehlt es an Waffen und Soldaten. Deshalb beorderte Oberbefehlshaber Olexander Syrskyj Reserven an die besonders bedrohten Frontabschnitte Pokrowsk und Kurachowe im Donbass im Osten. Es gehe darum, Pläne des Gegners zu vereiteln, «die weit über diese Frontabschnitte hinausgehen», hieß es aus dem Militär.

Laut dem Lagebericht des Generalstabs gab es am Freitag erneut heftige Kämpfe in Pokrowsk und Kurachowe. Diese Städte befinden sich am westlichen Rand des Bergbau- und Industriereviers Donbass. Dahinter erstreckt sich eine offene Steppenlandschaft bis zum Fluss Dnipro. Ein Durchbruch würde der russischen Armee den Weg zu den wichtigen Großstädten Dnipro und Saporischschja ermöglichen.

Im Osten der Ukraine gab es in der Nacht zum Samstag erneut Luftalarm, da die Luftwaffe russische Kampfdrohnen am Himmel entdeckte. Es wurden Stromabschaltungen in mehreren Regionen erwartet, um das Energiesystem nach den Schäden durch russische Raketenangriffe in dieser Woche zu stabilisieren.

Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch 

Die Ukraine könnte nach Äußerungen Selenskyjs einem Waffenstillstand mit Russland zustimmen, wenn die Nato ihren Schutz auf die von Kiew beherrschten Teile des Landes ausdehnt. Bei einem Waffenstillstand brauche sein Land Garantien, «dass Putin nicht wiederkommt», sagte er in einem Interview des britischen TV-Senders Sky News.

«Wenn wir die heiße Phase des Krieges beenden wollen, sollten wir das Territorium unter den Schutzschirm nehmen, das wir unter Kontrolle haben», sagte Selenskyj laut englischer Übersetzung. «Das müssen wir schnell tun. Und dann kann die Ukraine die anderen Gebiete auf diplomatischem Wege zurückerlangen.»

Kiew habe bisher nicht erwogen, diesen Weg zu gehen, da ihn niemand in der Nato offiziell vorgeschlagen habe, sagte Selenskyj. Außerdem müsse eine Nato-Einladung trotzdem an die gesamte Ukraine in ihren international anerkannten Grenzen ergehen. Sein Land habe nicht das Recht, besetzte Gebiete als russisch anzuerkennen.

Die Forderung nach einer sofortigen Nato-Einladung ist Teil seines sogenannten Siegesplans, den er im Herbst in Washington, Berlin und anderen Hauptstädten präsentiert hat. Allerdings wehren sich insbesondere die wichtigen Nato-Staaten USA und Deutschland dagegen, einen schnellen Weg für die Ukraine in das westliche Bündnis festzulegen. Auch die bisher bekannten Pläne der zukünftigen US-Regierung von Donald Trump sehen keinen Beitritt Kiews vor. Russland lehnt eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ohnehin entschieden ab.

Botschafter Makeiev fordert deutsche Parteien zum Handeln auf

Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev wünscht sich, dass im Bundestagswahlkampf über den russischen Angriffskrieg geredet wird. Er warnt aber davor, rote Linien für die Unterstützung seines Landes zu ziehen. «Das Handeln ist heute wie nie gefragt. Und das erwarte ich von den demokratischen Parteien in diesem Wahlkampf», sagte er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Ich glaube, es ist falsch, die roten Linien um sich herum zu ziehen und nicht vor dem Feind und vor dem Aggressor.»

Die Ukraine-Unterstützung ist unter den im Bundestag vertretenen Parteien umstritten. Während SPD, Union, Grüne und FDP für Waffenlieferungen im großen Stil sind, lehnen AfD, BSW und Linke dies ab. Allerdings gibt es auch Differenzen unter den Befürwortern: Bundeskanzler Olaf Scholz, der als SPD-Spitzenkandidat in den Wahlkampf geht, ist gegen die Lieferung der Marschflugkörper Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern. Union, FDP und Grüne haben eine andere Meinung.

Makeiev forderte, die Ukraine ohne Einschränkungen im Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen. «Alle Beschränkungen, die es seit fast drei Jahren gegeben hat, müssen aufgehoben werden», sagte er. «Russland wird nicht nur mit Gesprächen oder mit der Diplomatie gestoppt.»

dpa