Seit mehr als 15 Monaten tobt der Krieg im Gazastreifen und das Schicksal der Geiseln blieb ungewiss. Jetzt verkündet Katar den Durchbruch – kurz vor der Vereidigung Trumps zum neuen US-Präsidenten.
Katar: Einigung auf Gaza-Waffenruhe und Geiselfreilassung
Nach über 15-monatigen intensiven Kämpfen haben Israel und die islamistische Hamas laut dem Vermittler Katar einer Waffenruhe im Gazastreifen und der Freilassung von Geiseln im Austausch für palästinensische Häftlinge zugestimmt. Dies gab der Ministerpräsident Katars, Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, nach Gesprächen in Doha bekannt. Die Waffenruhe soll am Sonntag in Kraft treten und in einer ersten Phase 42 Tage dauern.
Es ist die erste Vereinbarung dieser Art seit einer Feuerpause vor mehr als einem Jahr. Damit kann auch die Zivilbevölkerung des weiträumig zerstörten Küstenstreifens auf eine Linderung ihrer Not hoffen. «Wir rufen heute zur Ruhe auf bis zur Umsetzung», sagte Al Thani.
Schon seit Monaten haben die USA, Ägypten und Katar versucht, Israel und die Hamas durch indirekte Verhandlungen zu einer Waffenruhe und zur Freilassung ihrer Geiseln zu bewegen. Die Gespräche stagnierten jedoch monatelang.
Biden: «Beharrliche Diplomatie»
Das vorläufige Ende der Gefechte in dem großflächig zerstörten Küstengebiet wurde nach Einschätzung von Beobachtern auch durch die Rückschläge für die vom Iran organisierte «Achse des Widerstands» im Libanon und Syrien und Drohungen des designierten US-Präsidenten Donald Trump möglich, der eine Einigung zur Freilassung der Geiseln vehement eingefordert hatte.
Der scheidende US-Präsident Joe Biden betonte hingegen, dass die Einigung auch auf «beharrliche und akribische amerikanische Diplomatie» zurückzuführen sei. Seine diplomatischen Bemühungen hätten zu keinem Zeitpunkt nachgelassen, teilte Biden mit. Der Deal gehe auf einen Plan zurück, den er bereits im Mai vorgestellt hatte.
Zunächst sollen 33 Geiseln freikommen
Al Thani erklärte, dass die Waffenruhe zunächst für sechs Wochen in Kraft treten solle. In diesem Zeitraum sollen 33 Geiseln aus der Gewalt der Hamas freigelassen werden. Als Gegenleistung sollen erneut palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen werden, wie es bereits bei einer vorherigen Waffenruhe der Fall war. Al Thani machte jedoch zunächst keine Angaben zur genauen Anzahl.
Insgesamt werden nach israelischen Angaben im Gazastreifen noch 98 Verschleppte festgehalten, von denen mindestens 34 tot sein dürften. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin heißt es, unter den Geiseln sei auch eine «niedrige zweistellige Anzahl von Personen mit Deutschlandbezug». Parallel zu dem Austausch von Geiseln gegen Häftlinge soll die israelische Armee mit dem Abzug aus dem Gazastreifen beginnen.
Drei Phasen-Plan – noch viele Hürden
Laut Al Thani sind drei Phasen geplant, wobei die aktuelle Vereinbarung nur die erste Phase betrifft. Einzelheiten zu den folgenden Phasen sollen bekannt gegeben werden, wenn die Waffenruhe in Kraft tritt.
In der zweiten Phase, über die laut Medienberichten ab dem 16. Tag nach Inkrafttreten der Waffenruhe verhandelt werden soll, wird voraussichtlich die Freilassung der verbleibenden lebenden Geiseln sowie der weitere Rückzug der israelischen Armee diskutiert.
Hunderte Lkw sollen Hilfsgüter liefern
Am wichtigen Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen hatte sich Ägypten bereits auf eine mögliche Öffnung und auf neue Hilfslieferungen vorbereitet. Israels Armee hatte den Grenzübergang Rafah im Mai vergangenen Jahres auf palästinensischer Seite besetzt. Kurz darauf kamen über Rafah auch keine Hilfslieferungen aus Ägypten mehr an.
Rückzug der israelischen Armee
Israels Armee soll sich laut Medienberichten allmählich aus bewohnten Gebieten des Gazastreifens zurückziehen, vorerst jedoch nicht vom sogenannten Philadelphi-Korridor entlang der Grenze zu Ägypten. Israel befürchtet, dass die Hamas dort erneut Waffen in den Gazastreifen schmuggeln könnte. Die Einwohner, die in den Süden des Küstenstreifens geflohen sind, sollen sich frei im Gazastreifen bewegen und unter internationaler Aufsicht in ihre Wohngebiete im Norden zurückkehren dürfen.
Israel will vollständigen Rückzug erst nach Rückkehr aller Geiseln
Israelische Regierungsvertreter hatten betont, dass die Armee den Gazastreifen nicht verlassen werde, bis alle Geiseln wieder zu Hause sind. Auch nach Beginn der Waffenruhe sollten Soldaten in einer Pufferzone am Rande des Gazastreifens und weiteren Gebieten bleiben.
Einem CNN-Bericht zufolge soll es bei den Verhandlungen über die zweite Phase auch um ein Ende des Krieges gehen. Die Hamas habe Garantien der USA, Katars, Ägyptens sowie der Türkei akzeptiert, dass Israel die Verhandlungen darüber fortsetzt, erfuhr das «Wall Street Journal» aus Vermittlerkreisen.
Trump spricht von «epischem» Gaza-Abkommen
Trump reagierte bereits vor der offiziellen Verkündung erleichtert auf Berichte über eine Einigung. «Wir haben eine Einigung für die Geiseln im Nahen Osten», schrieb er auf seinem Online-Sprachrohr Truth Social in Versalien. «Sie werden in Kürze freigelassen. Danke.» In einer weiteren Mitteilung auf Truth Social sprach er von einem «epischen Abkommen über eine Waffenruhe».
Israelisches Kabinett muss noch zustimmen
Das Abkommen muss noch die Zustimmung des israelischen Sicherheitskabinetts und der israelischen Regierung erhalten. Laut israelischen Medien soll das Sicherheitskabinett um 11.00 Uhr Ortszeit (10.00 Uhr MEZ) am Donnerstag zusammentreten, um dem Deal zuzustimmen. Anschließend wird auch die Regierung zusammenkommen. Gemäß Angaben seines Büros brach Außenminister Gideon Saar seine Europareise ab, um an den Abstimmungen teilzunehmen. Rechtsextreme Koalitionspartner des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu hatten gedroht, die Regierung zu verlassen, falls es zu einer Waffenruhe kommt.
Massaker löste Krieg aus
Der längste kriegerische Konflikt in der Geschichte des Staates Israel wurde durch das Massaker der Hamas und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober 2023 in Israel ausgelöst, bei dem 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 entführt wurden. Israel reagierte mit Angriffen gegen die Hamas in Gaza, bei denen nach palästinensischen Angaben mehr als 46.700 Menschen getötet und mehr als 110.200 verletzt wurden. Die Opferzahlen, bei denen nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterschieden wird, lassen sich nicht unabhängig überprüfen, wurden von den Vereinten Nationen aber als glaubhaft eingestuft.
Während einer einwöchigen Feuerpause im November 2023 gab die Hamas 105 Geiseln frei. Im Gegenzug ließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen frei.