Mobiles Menü schließen
Startseite Schlagzeilen

Berlin statt Ramstein: Selenskyj bei Scholz und Steinmeier

Der große Ukraine-Gipfel in Ramstein fällt wegen der Absage des US-Präsidenten aus. Selenskyj kommt trotzdem nach Deutschland, zu seinem zweitwichtigsten Waffenlieferanten.

Für den ukrainischen Präsidenten Selenskyj ist es eine entscheidende Reise zu den großen europäischen Verbündeten.
Foto: Kin Cheung/AP/dpa

Während seiner Reise durch Europa besucht der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj heute Berlin, nachdem er bereits London, Paris und Rom besucht hat. Bei seinen Gesprächen mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird es um die Fortsetzung der Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen für den Abwehrkampf gegen die russischen Invasoren gehen, ebenso wie um die Bemühungen um eine Friedenslösung. Am Donnerstagabend traf Selenskyj in Rom Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Am Freitagmorgen ist noch eine Audienz bei Papst Franziskus im Vatikan geplant.

Eigentlich wollte Selenskyj am Samstag an einem Ukraine-Gipfel mit 50 verbündeten Ländern auf dem US-Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein teilnehmen. Nach der Absage von US-Präsident Joe Biden wegen des Hurrikans «Milton» wurde der Gipfel aber verschoben. Statt Biden kommt nun Selenskyj zu einem bilateralen Besuch nach Berlin. 

Es ist der zweite Besuch des ukrainischen Präsidenten in Deutschland innerhalb von fünf Wochen und das dritte persönliche Treffen mit Scholz in diesem Zeitraum. Anfang September nahm Selenskyj an einem Treffen der Verteidigungsminister der Verbündeten in Ramstein teil und traf Scholz in Frankfurt am Main. Nur drei Wochen später trafen sich die beiden erneut kurz vor der UN-Generalversammlung in New York zu einem Gespräch.

Selenskyj will bis Dezember Veränderungen in Richtung Frieden

Selenskyj wirbt auf seiner Europatour für seinen sogenannten «Siegesplan», von dem bisher nicht viel bekannt ist. Es gehe darum, Bedingungen «für ein gerechtes Ende des Krieges» zu schaffen, sagte er am Donnerstag in London. Zuvor hatte er bei einem Ukraine-Südosteuropa-Gipfel im kroatischen Dubrovnik deutlich gemacht, dass er die nächsten Monate für entscheidend hält. «Im Oktober, November und Dezember haben wir eine reale Chance, die Dinge in Richtung Frieden und dauerhafter Stabilität hin zu verändern.» Die Situation auf dem Schlachtfeld erlaube es, den Krieg spätestens 2025 zu beenden. 

Unter einem gerechten Kriegsende versteht Selenskyj den Rückzug russischer Truppen aus den besetzten Gebieten. Die ukrainische Staatsführung wies einen italienischen Medienbericht zurück, wonach Kiew zu einem Waffenstillstand entlang der derzeitigen Frontlinie bereit sei. «Eine Feuereinstellung ist kein Thema unserer Beratungen mit den Verbündeten, und wir sprechen nicht darüber», sagte Selenskyj nach seinen Gesprächen mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Auf russischer Seite gibt es ebenfalls keine Anzeichen dafür, im Krieg gegen die Ukraine zurückzuweichen.

Russische Truppen rücken in Ostukraine weiter vor

Russische Truppen setzen laut Angaben des Kiewer Militärs ihre Offensive im Osten der Ukraine mit großer Wucht fort. Am Donnerstag gab es 114 Angriffe, wie der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht mitteilte. Allein 30 Angriffe wurden am Frontabschnitt bei Lyman verzeichnet. Dieser Eisenbahnknotenpunkt liegt im Gebiet Donezk. Zum Frontabschnitt gehören auch die letzten Dörfer des Gebiets Luhansk, die noch nicht von Russland besetzt wurden. Weitere Schwerpunkte der Angriffe waren die Abschnitte Pokrowsk und Kurachiwe. Die genauen Zahlen des Militärs sind nicht überprüfbar, geben jedoch Hinweise auf die Intensität der Gefechte.

59 Prozent wünschen sich Telefonat von Scholz und Putin

Deutschland ist nach den USA der zweitwichtigste Waffenlieferant der Ukraine. In den letzten Wochen hat der Kanzler auch verstärkt für einen Friedensprozess geworben. Er hat betont, dass er nach fast zwei Jahren Funkstille grundsätzlich bereit ist, wieder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen. Eine klare Mehrheit der Deutschen unterstützt dies. Laut einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur wünschen sich 59 Prozent ein Telefonat zwischen den beiden, in Ostdeutschland sind es sogar 68 Prozent.

Die Meinungen der Deutschen darüber, ob die Ukraine für Frieden mit Russland auf einen Teil ihres Staatsgebiets verzichten sollte, sind geteilt. 39 Prozent sind der Meinung, dass sie keinen Zentimeter preisgeben sollte. 22 Prozent hingegen denken, dass die Ukraine auf die bereits 2014 von Russland annektierte ukrainische Halbinsel Krim verzichten sollte. Weitere 23 Prozent befürworten sogar, dass Kiew neben der Krim auch Gebiete aufgeben sollte, die seit der Invasion im Februar 2022 von Russland besetzt sind. Insgesamt sind also 45 Prozent für einen Gebietsverzicht.

Uneinigkeit bei Erlaubnis für weitreichende Waffen

Es gibt auch Uneinigkeit darüber, ob die Ukraine die Erlaubnis haben sollte, mit weitreichenden westlichen Waffen bis tief in russisches Territorium zu schießen. 42 Prozent sind eher dafür und 43 Prozent eher dagegen.

Der ukrainische Präsident fordert von den westlichen Verbündeten schon seit langem eine solche Erlaubnis. Scholz sieht das skeptisch. Anders als die USA, Großbritannien und Frankreich hat Deutschland weitreichende Waffen erst gar nicht geliefert. Den Marschflugkörper «Taurus» mit einer Reichweite von 500 Kilometern will Scholz nicht bereitstellen, weil er befürchtet, dass Deutschland und die Nato dann in den Krieg hineingezogen werden könnten. 

Forderungen nach «Taurus» verstummen nicht

Die Forderungen nach einer Lieferung weitreichender Waffen auch aus Deutschland verstummen aber nicht. Der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter sagte der «Rheinischen Post» vor dem Treffen von Scholz und Selenskyj: «Wir müssen deutlich mehr Luftverteidigung, Munition und weitreichende Waffen an die Ukraine liefern. Reichweitenbeschränkungen gelieferter Waffen tragen nicht zur Deeskalation bei, sondern ermöglichen weitere russische Angriffe.»

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), kritisierte, dass Scholz anders als die USA, Großbritannien und Frankreich auf die Lieferung weitreichender Waffen verzichtet. «Die Ukraine ist im Begriff zu ertrinken, und nach wie vor werfen wir ihr nur Rettungsringe zu, um sie vor dem Ertrinken zu retten», sagte sie. 

Auch der CDU-Verteidigungsexperte Johann Wadephul erneuerte seine Forderung, der Ukraine deutsche Marschflugkörper zur Verfügung zu stellen. «Die Lieferung von Taurus wäre eine wichtige Hilfe. Das zeigen die erfolgreichen ukrainischen Angriffe auf russische Depots weit im Hinterland durch Marschflugkörper mit vergleichbarer Schlagkraft.»

dpa