Trotz fehlendem Kriegsende und vollständiger Geiselbefreiung Hoffnung auf Frieden – Trump beansprucht Verdienst für Abkommen.
Historischer Durchbruch im Nahost-Konflikt: Waffenruhe und Geiselbefreiung vereinbart
Über Monate hinweg haben die USA, Ägypten und Katar sich bemüht, Israel und die Hamas durch indirekte Verhandlungen zu einer Vereinbarung über eine Waffenruhe und den Austausch von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge zu bewegen. Nun wurde der Durchbruch erzielt. Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten dazu:
Was bedeutet das Abkommen für Israel – und was für die Hamas?
Falls die nun für sechs Wochen vereinbarte Waffenruhe auch ein langfristiges Ende des Krieges einleiten sollte, wird es trotzdem kaum einen Gewinner geben. Weder hat Israel sein Kriegsziel erreicht, die Hamas vollständig zu zerstören, noch werden im Rahmen dieses Abkommens alle Geiseln befreit.
Die islamistische Hamas hat ihre wichtigsten Anführer verloren und auch weitgehend die Kontrolle in Gaza. Die größten Verlierer des Krieges sind zweifellos die Hunderttausenden betroffenen Zivilisten in Gaza sowie die Geiseln der Hamas und ihre Angehörigen. Für sie alle bedeutet das Abkommen Hoffnung auf ein Ende des Leidens.
Auch die israelische Gesellschaft insgesamt ist durch das Massaker der Hamas und anderer Extremisten aus dem Gazastreifen in Israel vom 7. Oktober 2023 und den längsten Krieg in der Geschichte des Staates gespalten und traumatisiert. Die Hoffnung vieler Israelis, dass man die Palästinenser mit ihren Forderungen nach einem eigenen Staat einfach ignorieren kann, hat sich als trügerisch erwiesen.
Das Ansehen Israels hat in vielen Teilen der Welt stark gelitten. Es wird bezweifelt, ob es in der zweiten Phase des Abkommens eine Einigung zur Freilassung der restlichen Geiseln geben wird. Gleichzeitig gibt es Vorwürfe gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, dass man die restlichen Geiseln mit dem aktuellen Abkommen im Stich gelassen habe.
Wie stabil ist das Abkommen?
Die Vereinbarung ist auf unsicheren Grund gestellt – insbesondere, da sich Israels Regierung und die Hamas gegenseitig schwören, einander zu vernichten. Es bleibt abzuwarten, ob beide Seiten über Wochen hinweg die vereinbarten Schritte einhalten und ob bestimmte Passagen unterschiedlich interpretiert werden. Auf der anderen Seite sehnen sich beide Bevölkerungen stark danach, dass die Waffen nach 15 Monaten Krieg schweigen – die Kriegsmüdigkeit könnte daher eine stabilisierende Wirkung haben.
Wer soll in Zukunft regieren?
Israel und die Hamas haben unterschiedliche Ansichten darüber, wer in Zukunft den stark zerstörten Gazastreifen regieren soll. Israel lehnt eine weitere Herrschaft der Islamisten strikt ab und droht damit, den Kampf fortzusetzen, bis die Macht der bereits geschwächten Hamas endgültig gebrochen ist. Die Hamas hingegen fordert eine Garantie für das Ende des Krieges – möglicherweise, um sich neu zu organisieren und ihre frühere Machtposition zurückzugewinnen. Es muss auch geklärt werden, wer den teuren Wiederaufbau in einer dritten Phase des Abkommens übernehmen und finanzieren soll, die über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren angelegt ist.
Netanjahu hat während der 15-monatigen Kriegszeit nie explizit dargelegt, wie er sich eine zukünftige Regierung im Gazastreifen vorstellt. Er hat lediglich immer wieder betont, dass die Hamas entmachtet und zerschlagen werden muss.
Antony Blinken, der abtretende US-Außenminister, hat in dieser Woche seinen Plan für die Zukunft des Gazastreifens skizziert. Die folgenden Prinzipien sind entscheidend: Eine von Palästinensern geführte Regierung, die den Gazastreifen mit dem Westjordanland vereint und der Autonomiebehörde vor Ort unterstellt ist. Langfristig soll es keine militärische Besetzung des Gazastreifens durch Israel geben, auch keine Verkleinerung des Gazastreifens sowie keine Versuche, ihn nach dem Konflikt zu belagern oder zu blockieren.
Haben Donald Trumps Drohungen gewirkt?
Der anstehende Machtwechsel in Washington könnte ein Grund für die Fortschritte in den Verhandlungen gewesen sein. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat immer zu Israel gestanden, aber auch zunehmend Kritik an der Kriegsführung in Gaza geäußert. Der designierte US-Präsident Donald Trump hingegen gilt als Verbündeter von Netanjahu, und es bleibt fraglich, wie streng seine Regierung Israel gegenüber auftreten würde. Seine Drohungen gegen die Hamas sollten daher in diesem Zusammenhang ernst genommen werden.
Der Republikaner hatte gesagt, dass im «Nahen Osten die Hölle losbrechen» werde. Es werde «nicht gut für die Hamas sein, und es wird – offen gesagt – für niemanden gut sein», wenn die entführten Geiseln nicht bis zu seiner Amtseinführung am kommenden Montag zurück seien.
In den USA hat nun jedenfalls ein Kampf um die Deutungshoheit begonnen. Trump verbuchte den Durchbruch als sein Verdienst. Sein Wahlsieg habe der Welt zu verstehen gegeben, dass seine Regierung Frieden anstreben und Vereinbarungen aushandeln werde, um die Sicherheit aller Amerikaner und der Verbündeten zu gewährleisten. «Wir haben so viel erreicht, ohne dass wir überhaupt im Weißen Haus waren», schrieb er auf seiner Online-Plattform Truth Social.
Auf die Tatsache angesprochen, dass Trump die Anerkennung für den Deal beansprucht, erklärte Biden, der Rahmen des Abkommens sei genau der, den er im Mai vorgeschlagen habe. Er habe sein Verhandlungsteam jedoch immer angewiesen, eng mit Trumps Team zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die USA mit einer Stimme sprechen. Zuvor hatten Vertreter des Weißen Hauses betont, dass das Trump-Team zwar kontinuierlich über die Gespräche in Doha informiert worden sei, aber allein die Biden-Regierung habe verhandelt.