Welche Gefahr geht für Europa von Russland aus? Der Chef des Bundesnachrichtendienstes skizziert ein konkretes Szenario mit Blick auf die Nato.
BND-Chef Kahl: Russland will Westen auf die Probe stellen
Nach Einschätzung von BND-Chef Bruno Kahl will Russland die Einheit des Westens auf die Probe stellen – insbesondere mit Blick auf den Nato-Beistandsartikel. In Russland gebe es Überlegungen, den Artikel 5 zu testen in seiner Zuverlässigkeit, sagte der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) der Deutschen Welle. «Wir hoffen sehr, dass das nicht stimmt und dass wir nicht in die Verlegenheit kommen, dass es getestet wird, aber dass es Russland will, uns testen, die Einheit des Westens auf die Probe zu stellen, davon müssen wir ausgehen», sagte er.
Die Nato verlässt sich als Verteidigungsbündnis auf das Prinzip der Abschreckung, wobei vor allem Artikel 5 des Nordatlantikvertrags relevant ist. Dieser Artikel regelt die Verpflichtung zur Beistandsleistung innerhalb des Bündnisses und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Verbündete als Angriff gegen alle angesehen wird.
Verlauf des Ukraine-Krieges spielt eine Rolle
Laut Kahl hängt es auch vom Verlauf des Ukraine-Krieges ab, wann Russland den Beistandsartikel austesten könnte. Sollte der Krieg früher enden als 2029 oder 2030, könnte Russland auch früher in der Lage sein, eine Drohkulisse gegen Europa aufzubauen, mit seinen technischen, materiellen und personellen Mitteln.
«Und da kann es auch sein, dass eine konkrete Gefährdung, eine Erpressung vielleicht von russischer Seite aus gegenüber den Europäern früher stattfindet, als wir das früher berechnet haben», sagte Kahl. «Ein frühes Kriegsende in der Ukraine befähigt die Russen, ihre Energie dort einzusetzen, wo sie sie eigentlich haben wollen, nämlich gegen Europa.»
Laut Kahl habe Russland eine zukünftige Weltordnung im Blick, die Ende der 1990er Jahre in Europa existierte – mit einer Verringerung des Schutzes durch die NATO und einer Ausweitung des Einflussbereichs Russlands in Richtung Westen – am liebsten ohne Amerikaner in Europa.