Israel rückt mit Bodentruppen ins Herz von Gaza vor – trotz Warnungen der Militärführung. Was steckt hinter dieser riskanten Entscheidung und wie reagieren die Familien der Geiseln?
Bodenoffensive in der Stadt Gaza: Wie geht es jetzt weiter?
Nach einem langen Einsatz in den Außenbezirken der Stadt Gaza dringen israelische Bodentruppen jetzt in Richtung Stadtzentrum vor. Trotz Warnungen von verschiedenen Seiten, einschließlich der eigenen Militärführung, besteht die politische Führung um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu darauf, dass es nach ergebnislosen Verhandlungen mit der Hamas über eine Waffenruhe keine Alternative zur Offensive gibt.
Was will Israel mit dem Bodeneinsatz in der Stadt Gaza erreichen?
Israel hat mit der Offensive in Gaza mehrere Hauptziele: Es geht darum, das verbleibende Bollwerk der Hamas in der Küstenstadt zu zerstören, ihre militärische Infrastruktur zu zerstören und bis zu 3.000 vermutete Kämpfer der Palästinenserorganisation auszuschalten.
Gleichzeitig betont die Armee, dass die Freilassung der noch festgehaltenen Geiseln eine unveränderte Priorität bleibe. Ziel der Operation sei es, das Machtzentrum der Hamas in der Stadt Gaza auszuschalten und so eine Wiederholung von Angriffen wie dem am 7. Oktober 2023 unmöglich zu machen. Es wird damit gerechnet, dass die Offensive zumindest mehrere Wochen dauert, möglicherweise aber auch Monate. Israel betont immer wieder der Krieg könne «sofort» enden, wenn die Hamas die Geiseln freilässt und die Waffen niederlegt.
Es gibt jedoch auch Bemühungen von ultrarechten Koalitionspartnern des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, den 2005 von Israel geräumten Küstenstreifen dauerhaft wieder zu besetzen und zu besiedeln. Sie streben auch eine Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung an. Ein solcher Schritt könnte die zunehmende internationale Isolation Israels noch dramatischer verschärfen. Kürzlich haben mehrere Länder und auch der UN-Generalsekretär António Guterres angesichts der dramatischen Lage im Gazastreifen die israelische Regierung aufgefordert, von einer Bodenoffensive in der Stadt Gaza abzusehen.
Was bedeutet dies für die Zivilbevölkerung in der Küstenstadt?
Nahezu alle der etwa zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens sind infolge des verheerenden Krieges, der nun schon fast zwei Jahre anhält, zu Binnenvertriebenen geworden. Viele von ihnen mussten bereits mehrmals unter unvorstellbaren Bedingungen fliehen. Im vergangenen Monat wurde die Zahl der Zivilisten in der Stadt Gaza auf etwa eine Million geschätzt. Laut Angaben beider Seiten sind bereits mehr als ein Drittel von ihnen aus der Stadt geflohen, meistens in südlicher Richtung.
Seit dem Beginn der Offensive am Montagabend wurden laut palästinensischen Berichten bereits mehrere Dutzend Menschen in Gaza getötet. In den sozialen Medien sind zahlreiche Bilder von Verletzten, zerstörten Gebäuden und trauernden Menschen zu sehen, die um ihre getöteten Angehörigen trauern. Besonders in der vergangenen Nacht wurde über fortlaufende israelische Luftangriffe und ohrenbetäubende Explosionen in der Stadt berichtet.
Die Armee hat die in der Stadt verbliebenen Zivilisten aufgefordert, so schnell wie möglich in Richtung Süden in die sogenannte humanitäre Zone zu fliehen. Dort gibt es Nahrungsmittel, Wasser, medizinische Versorgung und Unterkünfte. Doch auch in der Zone kam es in der Vergangenheit immer wieder zu tödlichen Angriffen der Luftwaffe – aus Sicht der Palästinenser gibt es im gesamten Gazastreifen keinen wirklich sicheren Ort.
Welche Risiken birgt die Offensive für die verbliebenen Geiseln?
Die Angehörigen der Geiseln, die auch fast zwei Jahre nach ihrer Entführung noch im Gazastreifen festgehalten werden, sind angesichts der Bodenoffensive verzweifelt und außer sich vor Sorge. Netanjahu habe beschlossen, «Gaza zu erobern, selbst um den Preis, unsere Liebsten zu opfern, darunter auch mein Sohn», sagte Anat Angrest, die Mutter der Geisel Matan Angrest, bei einem Protest vor Netanjahus Residenz in Jerusalem. Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln, von denen nach israelischen Informationen noch 20 am Leben sind – darunter auch deutsche Staatsbürger.
Gemäß den Medienberichten soll die Hamas mehrere Geiseln, die zuvor in Tunneln festgehalten wurden, an Orte über der Erde in der Stadt Gaza gebracht haben – in Zelte und Häuser.
«Unsere Kinder sind dort und werden als menschliche Schutzschilde missbraucht», hieß es in einer Mitteilung des Forums der Geisel-Angehörigen «Und dennoch schickt der Ministerpräsident – trotz der Warnungen der Militärführung, dass ein Abkommen geschlossen werden müsse – Soldaten in eine Todesfalle.»