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Brasilien startet Klimagipfel mit Elan – Bilanz hat Kratzer

Neue Schnellstraße durch den Regenwald, Ölbohrungen am Amazonas, Kreuzfahrtschiffe als Hotels im Hafen: Wie glaubwürdig ist Brasilien beim Heimspiel auf der COP30?

Verbreitet Zuversicht und strahlt Entschlossenheit aus: Brasiliens Präsident Lula.
Foto: Eraldo Peres/AP/dpa

Im harten Kampf gegen die Klimakrise prahlt Brasilien damit, ein Vorreiter zu sein. Als Gastgeber der Weltklimakonferenz will Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von den rund 200 Staaten ehrgeizige Beschlüsse fordern. Aber passt dazu der Bau einer neuen Schnellstraße durch den Regenwald zur Millionenstadt Belém? Und die neuen Ölbohrungen in der Amazonasmündung, die noch kurz vor der prestigeträchtigen Mammutkonferenz genehmigt wurden?

Im März äußerten sich Klimaschützer empört über die breite Schneise für die Straße, der wertvolle Bäume zum Opfer fielen. Die Regionalregierung betonte jedoch, dass Planung und Bau bereits seit Jahren liefen und nichts mit der COP30 zu tun hatten.

Klimaschützer rügen Öl-Lizenz als Sabotageakt 

Die umstrittenen Ölbohrungen des Petrobas-Konzerns verurteilte das Klimanetzwerk Observatório do clima als «Sabotageakt» gegen die Klimakonferenz. Damit werde die von Lula beanspruchte Führungsrolle im Klimaschutz untergraben. Klagen von Umweltschützern laufen – doch ebenso die Bohrungen.

Und wie passt es zum auf Umweltschutz ausgerichteten Konzept, dass nun wochenlang zwei zusätzlich gecharterte Kreuzfahrtschiffe vor Belém vor Anker liegen, um den enormen Bedarf an Hotelbetten zu decken? Die unkonventionelle Lösung musste gefunden werden, da die Stadt logistisch gesehen an ihre Grenzen stößt: Etwa 50.000 Diplomaten, Journalisten und Aktivisten reisen für die zwei Wochen an.

Für die COP gesäubert und ausgebessert

Es wurde offensichtlich viel investiert, um zur COP30 in der wuseligen, schwülen Großstadt mit ihren bröckelnden Gehwegen und Gebäuden, verstopften Straßen und plärrenden Lautsprechern der vielen Straßenhändler optisch zu glänzen. Etliche Plätze, Parks und Klärwerke wurden gereinigt und repariert, die Bepflanzung verbessert. Brasilianische Bundesmittel in Höhe von etwa 650 Millionen Euro flossen allein nach Belém, einer Stadt, die auch nach brasilianischen Maßstäben als arm gilt und eine große indigene Bevölkerung hat.

Was will Gastgeber Brasilien erreichen mit seiner symbolisch aufgeladenen COP30 am Rand des Regenwalds, genau zehn Jahre nach dem umjubelten Pariser Klimaabkommen? Präsident Lula spricht von einer «COP der Wahrheit». Klimakonferenzen hätten seither viel beschlossen, aber die Staaten viel zu wenig geliefert. Sie hätten nun Gelegenheit, «die Ernsthaftigkeit ihres Engagements für den Planeten unter Beweis zu stellen».

Konkret will Brasilien unter anderem zwei Vorhaben pushen: Schon auf einem vorgeschalteten Gipfel wurde ein neuer, milliardenschwerer Fonds zum Schutz tropischer Wälder in mehr als 70 Staaten angeschoben. Zum anderen will Lula mehr Mittel mobilisieren, um ärmeren Staaten die Anpassung an die fatalen Folgen der Erderhitzung zu erleichtern – also etwa heftigere und häufigere Dürren, Überschwemmungen, Stürme und Waldbrände. Der Bedarf ist gigantisch. Der neue UN-Report zur «Anpassungslücke» zeigt, dass Entwicklungsländer bis 2035 jährlich mindestens 310 Milliarden US-Dollar (268 Milliarden Euro) brauchen, um sich an die Erderwärmung anzupassen – das Zwölffache der derzeitigen internationalen öffentlichen Finanzmittel. 

Gastgeber Lula: Die Natur beugt sich keinen Bomben 

Die politische Großwetterlage ist schwierig und macht es schwierig, ehrgeizige Beschlüsse auf der COP30 zu fassen. Die Schlagzeilen sind geprägt von Kriegen und Konflikten, sei es im Gazastreifen, der Ukraine oder im Sudan. Und mit den USA unter Donald Trump ist einer der größten Emittenten von Treibhausgasen aus dem Pariser Abkommen von 2015 ausgestiegen. In Belém wird das Land nicht auf höchster Ebene vertreten sein.

Auch Lula kennt die ungemütliche Lage, in der er vor einer Abkehr vom Multilateralismus und nationalistischen Tendenzen warnt. Schon vor Wochen mahnte er in New York, dass niemand vor den Folgen des Klimawandels sicher sei. «Mauern an den Grenzen können weder Dürren noch Stürme aufhalten. Die Natur beugt sich weder Bomben noch Kriegsschiffen.»

Brasilien top bei Erneuerbaren, aber auch im Öl-Business

Brasiliens eigene Bilanz in Bezug auf den Klimaschutz ist jedoch widersprüchlich. Obwohl 90 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien wie Wasserkraft stammen – ein einsamer Spitzenwert unter den G20-Staaten. Es gehört jedoch auch zu den Top Ten der weltweiten Rangliste bei der Ölförderung. Öl ist mittlerweile das Hauptexportgut, noch vor Sojabohnen.

Brasilien betont einerseits, wie sehr der heimische Regenwald das Weltklima stabilisiert. Trotzdem gehen jedes Jahr weiterhin riesige Flächen verloren, wenn auch zuletzt in gebremstem Tempo. Brasilien ist zudem der größte Exporteur von Rindfleisch weltweit, dessen Klimabilanz aufgrund der Methan-Ausscheidungen der Tiere besonders klimaschädlich ist.

Bereits vor dem offiziellen Beginn der COP30 trafen sich am Donnerstag und Freitag zahlreiche Staats- und Regierungschefs in Belém, darunter Kanzler Friedrich Merz (CDU). Der Gipfel brachte zumindest etwas Rückenwind für die bevorstehende Konferenz: Neben der Einrichtung des Tropenwald-Fonds wurden Vereinbarungen zur effektiveren Bekämpfung von Waldbränden sowie zum globalen Kampf gegen Armut und Hunger aufgrund der Klimakrise getroffen – alles unter Beteiligung von jeweils vielen Dutzend Delegationen.

Erstmals seit Jahren wieder sichtbare Proteste möglich

Einen positiven Unterschied macht, dass die diesjährige COP erstmals seit Jahren in einem demokratischen Rechtsstaat stattfindet und nicht wie zuletzt in autoritär regierten Ländern wie Aserbaidschan, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten. Deren repressive Sicherheitsbehörden hatten Demonstrationen und Kundgebungen von Klimaaktivisten rigoros untersagt und nur auf dem abgeschotteten COP-Gelände selbst geduldet. Anders jetzt: Zur Halbzeit der Konferenz Mitte November sind Proteste auch im Zentrum Beléms geplant, flankiert von weiteren «Klimastreiks» rund um den Globus.

Dabei dürften die indigenen Gemeinschaften, die traditionellen Hüter des Regenwalds, eine wichtige Rolle spielen. In Regionen, in denen sie über verbriefte Landrechte verfügen, wird Studien zufolge weniger Wald abgeholzt als anderswo. Rund 3.000 indigene Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus aller Welt werden in Belém erwartet – laut Regierung sei das «die größte Beteiligung indigener Völker in der Geschichte der Konferenz». «Die Verteidigung des Amazonasgebiets ist nicht nur ein Kampf für die Natur, sondern ein Kampf um unsere eigene Existenz», sagte die brasilianische Indigene Kelly Guajajara.

dpa