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Das Anti-Lützerath: Der Kohleausstieg im Osten Deutschlands

Mühlrose in Sachsen ist wohl das letzte Dorf in Deutschland, das der Kohle weichen muss. Anders als in Lützerath gibt es bislang keinen massiven Widerstand – auch wenn Umweltverbände protestieren wollen.

Die Abraumförderbrücke F60 legt im Tagebau Nochten mit Eimerkettenbaggern das Flöz frei.
Foto: Robert Michael/dpa

Efeu schlängelt sich an den Hauswänden hoch. Lautes Vogelzwitschern und zwischendurch immer wieder ein dumpfer Knall. Mit voller Kraft hieven Arbeiter Bauschutt aus dem ersten Stock eines verlassenen Familienhauses in einen Container im Vorgarten. Das sächsische Mühlrose in der Lausitz ist vermutlich das letzte Dorf in Deutschland, das dem Kohleabbau weichen muss. Bis Ende 2024 sollen alle Bewohnerinnen und Bewohner umgesiedelt werden. Der Großteil wohnt bereits in Neu-Mühlrose – einer Neubausiedlung knapp sieben Kilometer vom alten Dorf entfernt.

Gefühl der Resignation

Die Stimmung vor Ort ist gespalten. Während einige Bewohner in Neu-Mühlrose sagen, dass die Umsiedlung das Beste sei, das ihnen hätte passieren können, weigern sich einige Zurückgebliebene, in die Neubausiedlung zu ziehen. «In Neu-Mühlrose ist alles eng aneinandergeklatscht, und Bäume gibt es auch nicht», sagt die zurückgebliebene Mühlroserin Susann Zech

Mit der Tatsache, dass sie umziehen müssen, hätten sich die meisten allerdings abgefunden. Anders als in Lützerath, wo Aktivisten bis zuletzt um den Erhalt des Dorfes kämpften, herrscht in Mühlrose ein Gefühl der Resignation – obwohl derzeit noch heiß über einen eventuell früheren Kohleausstieg – vor 2038 – diskutiert wird.

Für das Rheinische Revier im Westen hingegen ist der Kohleausstieg 2030 mittlerweile beschlossene Sache. Dennoch musste das Dorf Lützerath, für die Klimaschutzbewegung ein symbolischer Ort und für manche Aktivisten auch zeitweise Heimat, weichen. Tagelang bestimmten die Bilder von Polizei-Hundertschaften und Aktivisten, die sich in Schlamm und Kälte gegenüberstanden, die Nachrichten. Eine auch nur annähernd vergleichbare Aufmerksamkeit haben die ostdeutschen Tagebau-Gebiete nicht erregt.

Klimaschützer fordern vorzeitigen Kohleausstieg

Erst jüngst wurde in Mühlrose gegen ein von Klimaaktivisten geplantes Klimacamp mit einer Menschenkette protestiert. Die Menschen fürchteten Zustände wie in Lützerath und machten deutlich, dass die Mehrheit sich für eine Umsiedlung entschieden hatte. Kurz darauf wurde das Camp von den Aktivisten abgesagt. «Ich finde das Quatsch. Wenn, dann hätten sie das vor 20 Jahren machen müssen», sagt Zech.

Umweltverbände und Klimaschutzinitiativen lassen sich davon nicht abhalten und wollen am Sonntag am Tagebau Nochten für einen vorzeitigen Kohleausstieg demonstrieren. «Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit» müssten an erster Stelle stehen, fordern die Aktivisten der Initiative Alle Dörfer bleiben. Sie wollen unter anderem um den Erhalt des Dorfes kämpfen.

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte vereinbart, den Kohleausstieg «idealerweise» von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wirbt nun um eine Vereinbarung auch für die ostdeutschen Tagebaugebiete. Die Gespräche laufen nach Auskunft seines Ministeriums. Man sei «im kontinuierlichen Austausch mit der gesamten Energiewirtschaft, auch mit Leag und den betroffenen Bundesländern». Der Energiekonzern Leag baut Braunkohle in der Lausitz ab und betreibt Kraftwerke. Ob Ergebnisse in Aussicht stehen und wann, ist nicht zu erfahren.

Klar ist: Zeit der Kohle endet

Die Grünen argumentieren mit dem Klimaschutz. Aus Sicht von Habeck läge ein – womöglich mit Fördermitteln flankierter – Ausstieg im Osten aber auch im wirtschaftlichen Interesse der Menschen dort. Mit der Verschärfung des europäischen Emissionshandels rechne sich die Stromerzeugung aus Kohle ab 2030 nicht mehr. Beim Emissionshandel müssen Unternehmen Rechte zum Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen nachweisen. Die Zahl dieser Zertifikate soll stärker verknappt werden. Außerdem werden kostenlose Zertifikate für die Industrie schrittweise abgebaut.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hält weiterhin am geplanten Ausstiegsdatum fest. «Das im breiten gesellschaftlichen Konsens ausgehandelte Ausstiegsdatum 2038 steht», sagt der CDU-Politiker. Es könne jedoch vorgezogen werden, wenn die Versorgungssicherheit anderweitig sichergestellt und diese bezahlbar sei. Kretschmer argumentiert, die allermeisten sähen, dass die Braunkohle für die Versorgungssicherheit im ganzen Land auch weiter eine entscheidende Rolle spiele.

Die Beschäftigten in der Kohle und die Bevölkerung wüssten jedoch auch, dass die Zeit der Kohle endet. Sie würden von der Politik vernünftige Entscheidungen und vor allem das Einhalten von Zusagen erwarten. Es sei kurzsichtig und fahrlässig, vorzeitig die Kohlekraftwerke abschalten zu wollen ohne eine Lösung.

«Erst Ausbau, dann Ausstieg»

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hingegen hält einen früheren Ausstieg im Osten Deutschlands nach langer Ablehnung inzwischen für denkbar – aber nur unter bestimmten Bedingungen. Details solle eine «Kommission zur Zukunft der Energieversorgung» ausarbeiten. Die Stimmung zum Thema ist in Brandenburg nach einer Umfrage gespalten, in der Lausitz gibt es deutliche Vorbehalte.

Es liege nun beim Bundeswirtschaftsministerium, «uns zu zeigen, wie die Energieversorgung der Zukunft in einigen Jahren aussehen soll», so Woidke. Es gehe um die Energieversorgung Deutschlands und damit um die Stabilität und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Das Energieunternehmen Leag pocht derweil vorerst auf den gesetzlich festgelegten Kohleausstieg 2038 und will gleichzeitig verstärkt in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren. Der Slogan laute: «Erst Ausbau, dann Ausstieg. Dazu stehen wir», sagte Leag-Vorstand Thorsten Kramer bei einem Besuch Habecks in der Lausitz Mitte Februar. «Wir haben ein gemeinsames Ziel: Den Umbau hin zu erneuerbaren Energien bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit.»

Der Klimawissenschaftler Niklas Höhne von der Forschungseinrichtung New Climate Institute geht wie Habeck davon aus, dass sich Abbau und Verfeuerung von Kohle ab 2030 kaum noch lohnen werden. Es sei also fraglich, ob die Betreiber ihre Kraftwerke unter diesen Bedingungen überhaupt weiterlaufen ließen. Einerseits.

Frage nach dem Gesamtkonzept

Andererseits: Ohne einen Ausstiegsplan könnten die Landesregierungen sich am Ende für einen Weiterbetrieb einsetzen, um Arbeitsplätze zu erhalten, denkt Höhne. Oder der europäische Emissionshandel könnte unter politischem Druck doch wieder entschärft werden. «Um wirklich etwas für das Klima zu tun, müsste neben dem früheren Kohleausstieg auch die Menge an Zertifikaten im Emissionshandel verknappt werden», sagt Höhne.

«Wenn man wirklich etwas erreichen möchte, sollte man sich noch dieses Jahr auf den Kohleausstieg auch im Osten einigen», sagt Höhne. «Wir sollten das aber nur tun, wenn es auch zu Treibhausgas-Einsparungen führt.» Ihm fehle das Gesamtkonzept. «Wir haben zwar Klimaziele, aber wir müssen konkrete Fragen klären: Was ist der zu erwartende Strombedarf? Wie viele Gaskraftwerke brauchen wir noch in den nächsten Jahren, um die Lücke des Kohleausstiegs zu füllen?» Antworten auf diese Fragen könnte Habeck mit seiner für diesen Sommer geplanten Kraftwerksstrategie liefern.

dpa