Auch als Papst blieb Franziskus ein Mann des Volkes. Viele Dinge machte er anders als die Vorgänger. Doch die großen Reformen gab es mit ihm nicht. Nun ist er mit 88 Jahren gestorben.
Der andere Papst – Franziskus ist tot

Am 13. März 2013 änderte sich alles im Leben von Jorge Mario Bergoglio und auch in der römisch-katholischen Kirche. Morgens war er noch Erzbischof von Buenos Aires. Am Abend wurde er Papst.
An jenem verregneten Mittwoch um 20.22 Uhr trat der gebürtige Argentinier, der mit 76 Jahren schon im Ruhestand hätte sein können, auf den Balkon des Petersdoms. Der neue Pontifex namens Franziskus trug ein schlichtes weißes Gewand, nicht einmal eine Stola, und grüßte die Welt mit einem freundlichen «Fratelli e sorelle, buonasera» («Brüder und Schwestern, guten Abend»). Anschließend fuhr er mit dem Bus zurück ins Gästehaus des Vatikans.
Große Unterschiede zum deutschen Vorgänger
Franziskus hat bereits in den ersten Minuten seines Pontifikats viele Dinge sehr anders gemacht als viele seiner Vorgänger. Die Unterschiede zu seinem zurückgetretenen Vorgänger Benedikt XVI., ehemals Kardinal Joseph Ratzinger, waren für alle offensichtlich.
Das neue Oberhaupt von über 1,4 Milliarden Katholiken strebte danach, nah an den Menschen zu sein, sprach in einfachen Sätzen und legte keinen Wert auf Äußerlichkeiten – Eigenschaften, die mit seinem deutschen Vorgänger nicht in Verbindung gebracht wurden. Auch in anderen Bereichen waren der Herz-Jesu-Sozialist aus Argentinien und der Theologieprofessor aus Bayern sehr unterschiedlich.
Auf der anderen Seite wäre Franziskus wahrscheinlich niemals Papst geworden, wenn Benedikt damals nicht völlig überraschend aus freien Stücken auf sein Amt verzichtet hätte. Als das Leben des Bayern dann fast ein Jahrzehnt später zu Ende ging, an Silvester 2022, mit 95 Jahren, war sein Nachfolger bereits weit über der Altersgrenze von 80, bis zu der man Papst werden kann.
Nun ist Franziskus selbst mit 88 Jahren gestorben – im Amt, obwohl bei ihm sehr oft über einen Rücktritt spekuliert wurde. Im Frühjahr lag er bereits 38 Tage mit einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung im Krankenhaus. Die Ärzte hatten ihn fast schon aufgegeben. Aber dann kehrte er doch noch einmal in den Vatikan zurück.
Am Ostermontag gab er, bereits sehr geschwächt, vor Zehntausenden Gläubigen den Segen Urbi et Orbi. Das war das letzte Mal, dass man ihn sah. Er erreichte nicht das Alter von Benedikt, aber war so alt wie kein anderer amtierender Papst seit mehr als einem Jahrhundert.
Ein besonderer Papst
Der Pontifex, der am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires in eine italienische Einwandererfamilie geboren wurde, hatte auch sonst eine Vielzahl von Alleinstellungsmerkmalen. Er war der erste Papst aus Lateinamerika und nach mehr als einem Jahrtausend der erste, der nicht aus Europa stammte. Darüber hinaus war er der erste Jesuit in diesem Amt und der erste, der sich den Namen Franziskus gab – als Hommage an Franz von Assisi, den Gründer des Bettelordens der Franziskaner. Auch damit setzte er ein Zeichen: Franziskus wollte ein Papst der Armen, der Schwachen, der Vergessenen und der Vertriebenen sein.
Das passte zu seiner Herkunft. Bergoglio wuchs in sehr bescheidenen und sehr katholischen Verhältnissen auf. Er war das, was man in der Kirche einen «Spätberufenen» nannte. Zunächst lernte er Chemietechniker, erst dann ging er aufs Priesterseminar, studierte Philosophie und Theologie. Zum Priester wurde er kurz vor seinem 33. Geburtstag geweiht. Seine erste Zeit im Kirchendienst waren die schlimmsten Jahre der argentinischen Militärdiktatur. Von damals stammen Vorwürfe, er habe sich zu sehr mit dem Regime eingelassen. Franziskus wies dies stets zurück.
Eine schwierige Zeit in Deutschland
In den 1980er Jahren lebte er für einige Monate in Boppard am Rhein bei einer Familie Schmidt. Er lernte Deutsch am Goethe-Institut und arbeitete an einer Doktorarbeit über den Theologen Romano Guardini, die er jedoch nie abschloss. Insgesamt war seine Zeit in Deutschland nicht positiv.
Später sprach er davon, dass er sich «völlig fehl am Platz» gefühlt habe und viel auf Friedhöfen spazieren gegangen sei. Als Argentinien 1986 gegen Deutschland Fußball-Weltmeister wurde, verzichtete er darauf, sich das Finale im Fernsehen anzuschauen. Lieber ging er an den Rhein. «Mir war es wichtiger, einen Augenblick der Ruhe zu genießen, über mein Leben nachzudenken und den Rosenkranz zu beten.»
Zurück zu Hause wurde er 1992 zum Bischof geweiht, 1998 zum Erzbischof von Buenos Aires. 2001 machte ihn Papst Johannes Paul II. zum Kardinal. Schon bald galt er als «papabile», als Kandidat fürs allerhöchste Amt. 2005 unterlag er im Konklave noch deutlich gegen Ratzinger. Als er acht Jahre später doch gewählt wurde, witzelte er über seine Herkunft vom anderen «Ende der Welt». Darin steckte aber auch Programm.
Ein Papst als Grenzgänger
Diesen Papst zog es an Grenzen, geografisch und gesellschaftlich. Die allererste Reise führte ihn auf die Mittelmeerinsel Lampedusa, Schicksalsort Zehntausender Flüchtlinge aus Afrika. Aus seiner eigenen Familiengeschichte war ihm bewusst, wie schwer es ist, die Heimat zu verlassen. Das Mittelmeer, wo bis heute so viele Menschen auf dem Weg in eine vermeintlich bessere Zukunft ertrinken, nannte er den «größten Friedhof Europas».
Er unternahm über 40 Auslandsreisen, um Menschen am Rande zu besuchen. Auf der griechischen Insel Lesbos brachte er zwölf Flüchtlinge aus Syrien nach Rom. In Mosambik spendete er Trost an Aids-Kranke. In Myanmar besuchte er Hunderttausende Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya, die aus dem Land vertrieben wurden.
In Abu Dhabi unterzeichnete er eine Erklärung über die «Brüderlichkeit aller Menschen» über alle Religionen hinweg. Der Kernsatz: «Der Pluralismus und die Verschiedenheit in Bezug auf Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Ethnie und Sprache entsprechen einem weisen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat.» Seine letzte große Reise, die längste auch, führte ihn im Herbst 2024 bis nach Papua-Neuguinea, einem der ärmsten Länder der Welt.
Es könnte sein, dass Franziskus während seiner Amtszeit als Papst nie nach Deutschland gereist ist, aufgrund seines Scheiterns in den 1980er Jahren. Doch dass er über mehr als zehn Jahre hinweg nie in seine Heimat zurückkehrte, blieb für viele ein Mysterium. Besonders in den letzten Monaten, als es ihm gesundheitlich zunehmend schlechter ging, wurde spekuliert, dass er bald nach Argentinien reisen würde. Obwohl der derzeitige Präsident Javier Milei eine Einladung aussprach, obwohl er ihn früher als üblen Kommunisten beschimpft hatte, kam es letztendlich nicht dazu.
Politiker auf dem Stuhl Petri
Franziskus war ein sehr politischer Papst, weit über die amtsüblichen Mahnungen zum Frieden hinaus. Ein anderer seiner Leitsätze: «Es wird nie einen wahren Frieden geben, wenn wir nicht in der Lage sind, ein gerechteres Wirtschaftssystem aufzubauen.» Die Ausbeutung des Planeten prangerte er mit der ersten Umwelt-Enzyklika der Kirchengeschichte an, «Laudato Si». Darin hieß es schon 2015: «Der Rhythmus des Konsums, der Verschwendung und der Veränderung der Umwelt hat die Kapazität des Planeten derart überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil nur in Katastrophen enden kann.»
Er nannte die Ermordung von Armeniern im Osmanischen Reich Völkermord, was zu Spannungen mit der Türkei führte. Er appellierte auch an die Vereinten Nationen. Franziskus versuchte immer wieder, in Konflikten zu vermitteln, manchmal erfolgreich wie in Kolumbien, aber oft stieß er an die Grenzen der vatikanischen Diplomatie. Als er den Ukrainern im Frühjahr 2024 riet, die weiße Fahne vor den Truppen Russlands zu hissen, wurde er von vielen missbilligt.
Krisen und Konflikte auch in der Kirche
Franziskus hatte aber auch genug mit Krisen und Konflikten in der Kirche zu tun. Bei seiner Wahl waren die Missbrauchsskandale in vielen Bistümern, über Jahrzehnte hinweg vertuscht, schon großes Thema. Aus der Rede vor dem Konklave, das ihn zum Papst machte, ist der Satz überliefert: «Wenn die Kirche nicht aus sich herausgeht, um das Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank.» Später klagte er sogar in aller Öffentlichkeit in einer Weihnachtsansprache: «In Rom Reformen zu machen, ist wie die ägyptische Sphinx mit einer Zahnbürste zu putzen.»
In der Kurie, dem römischen Machtapparat, wurde er dadurch nicht populär. Egal: Er veränderte die Strukturen, brachte Frauen in Führungspositionen und forderte mehr Transparenz bei Finanzgeschäften im Vatikan. In innerkirchlichen Angelegenheiten mischte er sich ungern ein – ganz im Stil eines absolutistischen Monarchen, wie es Päpste eben sind. Viele in der Kurie verloren an Einfluss. Solche Maßnahmen schaffen Gegner.
Der inzwischen gestorbene australische Kurienkardinal George Pell nannte Franziskus‘ Pontifikat sogar eine «Katastrophe». Die Kritik reichte bis hin zum Vorwurf, das Zurschaustellen von Bescheidenheit sei eine besonders ausgeprägte Form der Eitelkeit. Auch konservative Kardinäle aus Deutschland wie Gerhard Ludwig Müller machten aus ihrem Unmut keinen Hehl.
Hoffnungen von Reformern enttäuscht
Franziskus erntete jedoch auch Kritik von der Gegenseite. Viele, die hohe Erwartungen in ihn gesetzt hatten, waren enttäuscht. Tatsächlich äußerte er Sätze, die man einem Papst nie zugetraut hätte («Wenn jemand schwul ist, den Herrn sucht und guten Willen zeigt: Wer bin ich, das zu verurteilen?»).
In der Praxis jedoch änderte sich wenig. Er machte den Weg frei zur Segnung homosexueller Paare, aber Lockerung des Zölibats oder Priesterweihe für Frauen – mit ihm nicht zu machen. Vor allem in Deutschland war die Enttäuschung groß, auch bei einigen Bischöfen, zumal er auch noch den Reformprozess Synodaler Weg abkanzelte.
Bei Themen wie Abtreibung und Verhütung erwies sich Franziskus sogar als äußerst konservativer Vertreter der katholischen Sexualmoral: «Abtreibung ist mehr als ein Problem. Es ist Mord.» Verhütung nannte er allenfalls in Ausnahmefällen zulässig. Beim Dauerthema sexueller Missbrauch durch Würdenträger verschärfte er die Regeln. An der Umsetzung hakt es jedoch bis heute immer wieder.
Zwei Männer in Weiß
Viele erklären die geringe Veränderung damit, dass Franziskus die meiste Zeit seines Pontifikats einen emeritierten Papst an seiner Seite hatte. Zwei Männer in Weiß – das war im Vatikan bisher einmalig. Benedikt hat ihn sicherlich gebremst. Andere bewerten seine Reformbilanz positiver. Sie behaupten, dass Papst Nummer 266 Veränderungen angestoßen hat, die erst nach und nach ihre volle Wirkung entfalten.
Franziskus hat tatsächlich die Koordinaten verschoben, indem er der Kirche eine synodale Verfassung gegeben hat. Dadurch hat er Macht in gewissem Maße von Rom weg und hin zu den Kirchen vor Ort verlagert. Nach drei Jahren Beratungen hat er auch die von ihm initiierte Weltsynode abgeschlossen, wenn auch ohne grundlegende Reformen.
Bei allen Diskussionen über seine Leistung ist sicher, dass Franziskus im Laufe der Jahre mit seinen Personalentscheidungen einen großen Einfluss auf das Kardinalskollegium hatte, das nun den nächsten Papst wählen wird. Bei Neubesetzungen hat er oft Bischöfe aus früheren Machtzentren der Kirche in Europa ignoriert und stattdessen Geistliche aus weit entfernten Regionen berufen. Manche sagen: vom anderen Ende der Welt.