Bundeskanzler Olaf Scholz will die Vertrauensfrage stellen, um im nächsten Schritt den Bundespräsidenten um Auflösung des Bundestages zu bitten.
Vertrauensfrage im Bundestag: Scholz plant vorgezogene Neuwahlen
Die Ampel-Koalition ist nach etwa drei Jahren zerbrochen. Die eigentlich für den 28. September kommenden Jahres angesetzte Bundestagswahl soll vorgezogen werden. Der Weg dorthin ist im Grundgesetz genau festgeschrieben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bereits angekündigt, am 15. Januar im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen.
Verfahren
Gemäß Artikel 68 hat der Bundeskanzler die Möglichkeit, im Bundestag das Vertrauen auszusprechen zu lassen. Dies kann er – muss er aber nicht – mit einem spezifischen Gesetzesvorhaben verknüpfen. Falls der Kanzler keine Mehrheit erhält, kann er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Zuletzt tat dies Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005.
Dieses Vorgehen ist jedoch umstritten, weil es nicht – wie im Grundgesetz intendiert – darauf abzielt, das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen, sondern gerade im Gegenteil, die dafür nötige Mehrheit zu verfehlen. Man spricht daher auch von einer «unechten Vertrauensfrage». Scholz gab in seinem Statement zur Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) bereits den Tenor vor, als er sagte: «Es gibt keine Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit.»
Zeitablauf
Wenn der Kanzler die Vertrauensfrage im Parlament stellt und keine Mehrheit bekommt, wird er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Der Bundespräsident hat nach Artikel 68 maximal 21 Tage Zeit dafür. Er ist jedoch nicht verpflichtet, dies zu tun. Gemäß Artikel 39 muss innerhalb von 60 Tagen ein neuer Bundestag gewählt werden, wenn der Bundespräsident die Auflösung des Bundestages genehmigt.
2005, am 1. Juli, verlor Schröder die Vertrauensfrage im Bundestag. Am 13. Juli schlug er Bundespräsident Köhler vor, den Bundestag aufzulösen, was am 21. Juli geschah. Gleichzeitig setzte Köhler Neuwahlen für den 18. September an.
Übergangszeit
Auch nach der Auflösung des Bundestages ist Deutschland nicht politisch führungslos. Der Kanzler und sein Kabinett – mit Ausnahme der FDP-Vertreter – bleiben weiterhin im Amt. Dies gilt auch für den Fall, dass die Koalitionsbildung nach der vorgezogenen Neuwahl schwierig wird. Gemäß Artikel 69 des Grundgesetzes ist der Kanzler auf Anfrage des Bundespräsidenten verpflichtet, die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers fortzuführen. Das Gleiche gilt für Bundesministerinnen oder -minister, wenn sie vom Bundespräsidenten oder Bundeskanzler darum gebeten werden.
Die Aufgaben der vier ausgeschiedenen FDP-Kabinettsmitglieder (Finanzen, Justiz, Verkehr, Bildung) können von anderen Ressortchefs mit übernommen werden. Der Kanzler kann aber auch Nachfolger vorschlagen und vom Bundespräsidenten ernennen lassen.
Praktische Auswirkungen
Mit der Auflösung des Bundestages kommt das politische Handeln mit einem Schlag zum Stillstand. Vorher möchte Kanzler Scholz nach eigenen Angaben wichtige Projekte wie die Stabilisierung der Rente oder die Umsetzung der Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems durch Bundestag und Bundesrat vorantreiben. Sein Dilemma: Er führt nun eine Minderheitsregierung und ist auf Unterstützung aus den Reihen der Opposition angewiesen. Diese hofft er von der Union zu erhalten.