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Alarmierender Anstieg von sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Internet

Die Zahl der Fälle hat sich verdreifacht. Plattformen müssen besser kontrolliert werden, um Kinder zu schützen.

Kinder und Jugendliche sind den Gefahren im Internet oft schutzlos ausgeliefert.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Es ist ein Anstieg, der nicht nur Experten aufhorchen lässt: Fast 15.700 Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Internet hat die Plattform Jugendschutz.net im Jahr 2024 erfasst – und damit mehr als 10.000 Fälle mehr im Vergleich zum Vorjahr. Bei einer Pressekonferenz in Berlin sprach der Leiter der Plattform, Stefan Glaser, von einem «enormen Zuwachs». 2023 waren hier noch etwas mehr als 5.000 Fälle registriert worden. Die Zahl hat sich damit mehr als verdreifacht.

Unter sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Internet fallen beispielsweise Missbrauchsabbildungen, andere nicht altersgerechte Darstellungen, mit denen Minderjährige konfrontiert werden, oder auch unangemessene Chatnachrichten an minderjährige Mädchen.

«Dunkelfeld wird zunehmend erhellt»

«Das Dunkelfeld wird zunehmend erhellt», sagte Glaser zur Analyse, wie es zu diesem Anstieg kommen konnte. Er sei vor allem durch mehr Hinweise, etwa über die Hotline der Plattform oder durch internationale Partner, zustande gekommen. Auch könne die verstärkte Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Produktion von strafbaren Inhalten zum sehr deutlichen Anstieg der Fälle beigetragen haben, sagte Glaser. Es bleibe abzuwarten, wie sich die Zahlen in den nächsten Jahren entwickelten.

Insgesamt registrierte das Portal – ein gemeinsames Kompetenzzentrum von Bund und Ländern – 17.630 Fälle, in denen gegen den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz verstoßen wurde. Sexualisierte Gewalt machte den Angaben zufolge 90 Prozent aller Fälle aus – 2023 waren es noch 67 Prozent. Als Negativbeispiel für Plattformen, auf denen Missbrauchsdarstellungen geteilt würden, nannte Glaser den Messenger-Dienst Telegram. «Der Betreiber von Telegram schiebt hier bislang keinen Riegel vor.» Der Dienst sei ein «Umschlagplatz» für strafbare Inhalte.

Online-Plattformen als «Einfallstor für Extremisten»

Jugendschutz.net verzeichnete auch einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen im politischen Extremismus. Im Jahr 2024 gab es mit 1.245 Verstoßfällen 400 Fälle mehr als 2023. Davon entfielen 732 Meldungen auf Rechtsextremismus und 513 auf Islamismus.

Gefährdet seien Kinder und Jugendliche etwa auf Gaming-Plattformen, die Glaser als «Einfallstor für Extremisten» bezeichnete. In der Online-Spielewelt sei es leicht, niedrigschwellig junge Menschen zu erreichen. Ein weiteres Phänomen seien Onlinedienste wie Discord mit Chat-Funktionen, in denen islamistische Influencer, getarnt als Alltagsratgeber, Verschwörungsmythen verbreiteten. Marc Jan Eumann, Leiter der Kommission für Jugendmedienschutz, betonte im Kontext von Extremismus, dass der Holocaust im Jahr 2024 auffällig häufig geleugnet worden sei. 

Noch große Lücken bei digitaler Altersprüfung 

Um die Sicherheit junger Menschen zu verbessern, haben die Experten erneut für eine zuverlässige Altersüberprüfung bei der Registrierung in digitalen Diensten geworben. Die Plattform weist hier immer noch große Defizite auf – insbesondere seitens der Betreiber. Oft wird nur das Geburtsdatum abgefragt und unzureichend überprüft, ob die Altersangabe der Realität entspricht.

Es gebe zur Altersprüfung im Netz bereits Dutzende Angebote, sagt Experte Eumann. Wer Jugendliche im Netz schützen wolle, könne dies längst tun. Über die Betreiber sagt er: «Ich habe keinen Zweifel, dass sie alles machen können. Sie tun es nur nicht, wenn es ihr Geschäftsmodell gefährdet.» Hier müsse die Politik klar durchgreifen. Die Betreiber hätten genügend Zeit gehabt, die Aufgabe ernst zu nehmen.

Prien verspricht zu handeln: «Wir werden das jetzt mutig angehen»

Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) sprach von «alarmierenden» Erkenntnissen. Der Schutz der jungen Generation sei eine «politische Aufgabe», der sich die neue Regierung stellen werde. «Wir werden das jetzt mutig angehen», erklärte sie. Die Bundesregierung werde sich «mit Nachdruck» auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass sich Plattformbetreiber auch an die Regeln halten.

Junge Menschen sollten auch lernen, verantwortungsbewusst mit digitalen Medien umzugehen. Dies sei eine Aufgabe sowohl der Eltern als auch der Lehrer. Es bestehe noch nicht überall das Bewusstsein, dass Kinder online genauso geschützt werden müssen wie offline, erklärte Prien. Einzelne Maßnahmen wie ein Handyverbot an Grundschulen könnten hierbei helfen, sagte die ehemalige Bildungsministerin von Schleswig-Holstein. Prien hatte dort durch einen Erlass ein Verbot der privaten Handynutzung an Grundschulen durchgesetzt.

Plattform kritisiert Löschpraxis der Anbieter

Eine effektive Maßnahme im Kampf gegen strafbare Inhalte im Internet ist eine verlässliche Löschpraxis. Jugendschutz.net berichtete, dass in 9.732 von 17.630 gemeldeten Fällen die Anbieter aufgefordert wurden, die Inhalte zu entfernen. Dies sei in 99 Prozent der Fälle auch erfolgt. Über 6.600 Fälle betrafen Kinder- und Jugendpornografie sowie Gefahren für Leib und Leben. In diesen Fällen schaltete Jugendschutz.net direkt die Ermittlungsbehörden ein.

Die Plattform kritisiert, dass Anbieter wie Youtube, Instagram oder Tiktok Inhalte erst entfernen, wenn Verstöße von Jugendschutz.net gemeldet werden. Wenn normale Nutzer versucht haben, dies zu tun, war die Löschquote viel niedriger – bei Youtube wurden beispielsweise nur etwa sechs Prozent der beanstandeten Inhalte entfernt, im Gegensatz zu 90 Prozent bei offizieller Kontaktaufnahme.

dpa