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Die Nord-Stream-Pipelines – Geopolitik am Grund der Ostsee

Ein mutmaßlicher Beteiligter an den Explosionen der Nord-Stream-Gasleitungen ist festgenommen worden. Was macht die Pipelines so besonders – und so umstritten?

Durch die Explosionen im September 2022 wurden drei der vier Stränge der beiden Nord-Stream-Leitungen schwer beschädigt. (Archivbild)
Foto: -/Danish Defence Command/dpa

Nach den Explosionen an den Nord-Stream-Erdgasleitungen im September 2022 in der Ostsee wurde ein verdächtiger Ukrainer von der Bundesanwaltschaft in Italien festgenommen. Serhij K. wird unter anderem die gemeinschaftliche Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und verfassungsfeindliche Sabotage vorgeworfen. Die stark beschädigten Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sind geopolitisch hochumstritten.

Warum wurden die Nord-Stream-Leitungen gebaut?

Die deutsche Wirtschaft wurde mit günstigem Erdgas versorgt, indem die 1.224 Kilometer lange Nord-Stream-1-Pipeline mit zwei parallel verlaufenden Leitungssträngen von Russland durch die Ostsee nach Deutschland gebaut wurde. Die Kapazität beträgt 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr.

Die Pipelines wurden 2011/2012 in Betrieb genommen und enden am deutschen Festland in Lubmin bei Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Von dort aus verlaufen Leitungen nach Süden und Westen, die speziell für die Weiterleitung des russischen Gases gebaut wurden.

Eine zweite, parallel verlaufende Leitung namens Nord Stream 2 wurde ab 2018 errichtet. Obwohl sie Ende 2021 fertiggestellt wurde, erhielt sie aufgrund des russischen Einmarschs in die Ukraine im Februar 2022 keine Betriebserlaubnis von den deutschen Behörden.

Welche Rolle spielte Mecklenburg-Vorpommern?

Länder wie Polen, die Ukraine und die USA hatten Bedenken geäußert, bevor Nord Stream 2 gebaut wurde, da Deutschland zu stark von russischen Energielieferungen abhängig war. Die USA drohten sogar den an dem Bau beteiligten Unternehmen mit Sanktionen.

Zum Schutz davor gründete das Land Mecklenburg-Vorpommern Anfang 2021 die «Stiftung für Klima- und Umweltschutz MV». Unter ihrem Mantel wurde Nord Stream 2 fertiggestellt. Ein Untersuchungsausschuss im Schweriner Landtag ist mit dem Fall befasst. Als Zeuge ist unter anderem Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) geladen. Er war nach seinem Ausscheiden aus der Politik lange Jahre für russische Energiekonzerne aktiv, unter anderem als Präsident des Verwaltungsrats der Nord Stream 2 AG.

Was passierte bei dem Sabotageakt im September 2022?

Am 26. September 2022 ereigneten sich an den beiden Gasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2 nahe der dänischen Insel Bornholm mehrere Explosionen. Drei der vier Stränge der beiden Leitungen wurden dabei schwer beschädigt. Die mutmaßlichen Täter sollen über Mittelsmänner eine Segeljacht in Rostock gemietet und damit den Sprengstoff zu den Gasleitungen gebracht haben. Ermittler fanden an der «Andromeda» später Spuren von Unterwassersprengstoff.

Wer ist der jetzt festgenommene Ukrainer?

Der 49 Jahre alte Serhij K. soll nach Angaben der Bundesanwaltschaft zu der Gruppe gehören, die die Sprengsätze platzierte – mutmaßlich sogar als einer der Koordinatoren. Der Polizei ging er nun in Italien ins Netz, in der Nähe des auch von Deutschen viel besuchten Badeortes Rimini an der Adria. Dort verbrachte er wohl mit seiner Familie den Sommerurlaub. Auf die Spur kamen ihm die Carabinieri nach Informationen der Nachrichtenagentur Ansa aufgrund der Daten, die man in Italien bei der Anmeldung im Hotel oder in der Ferienwohnung abgeben muss. Dabei sei aufgefallen, dass der Mann mit europäischem Haftbefehl gesucht wurde. Die italienischen Behörden prüfen nun, ob er auch in Anschläge auf Schiffe der russischen «Schattenflotte» im Mittelmeer verwickelt war.

Wer sind die anderen Verdächtigen?

Es gab lange verschiedene Spekulationen über die Täter und die Drahtzieher der Nord-Stream-Sabotage. Schließlich geriet unter anderem der Ukrainer Wolodymyr Z. ins Visier der Ermittler, der Medienberichten zufolge Tauchlehrer ist. Laut der Generalstaatsanwaltschaft Warschau hielt er sich zunächst in Polen auf, ist jedoch in sein Heimatland abgereist. Auch er wird mit einem Europäischen Haftbefehl gesucht. Es liegen keine Informationen zu weiteren Beteiligten vor.

Wie steht es derzeit um die beiden Leitungen?

Die Pipelines sind als schwer beschädigt, aber reparabel, bekannt. Sie wurden bisher nicht endgültig aufgegeben. Im März erlaubte Dänemark der Nord Stream 2 AG, Erhaltungsmaßnahmen am Ort der Explosionen durchzuführen.

Der Gas-Analyst Heiko Lohmann sieht allerdings keinen Druck, eine Nutzung von Nord Stream 2 voranzubringen. Die EU habe den USA im Zuge der Zollvereinbarung schließlich zugesichert, in den kommenden drei Jahren Energie für 750 Milliarden Dollar aus den USA zu importieren. «Es ist unrealistisch, dass man so viel gebrauchen kann», so Lohmann. Nach seinem Wissen seien auch keine größeren Reparaturarbeiten im Gange.

Ein möglicher Konkurs der Nord Stream 2 AG mit Sitz in Steinhausen, Schweiz, wurde im April in letzter Minute vermieden. Das bedeutet, dass das Unternehmen weiterhin nach Investoren suchen kann. Im Frühjahr wurde in den Medien spekuliert, dass US-Investoren einsteigen könnten. Genannt wurde unter anderem der wohlhabende US-Geschäftsmann und Unterstützer von US-Präsident Donald Trump, Stephen P. Lynch.

Dazu Lohmann: «Die Sache mit den amerikanischen Investoren war im Frühjahr ein großer Hype, aber es ist nicht zu erkennen, dass seit April in diese Richtung irgendetwas vorangetrieben worden ist. Es hat sich nichts getan, das irgendeine Marktreaktion hervorgerufen hätte.»

Sind die Leitungen Verhandlungsmasse im Ukraine-Krieg?

Der Pipeline-Betrieb könnte Teil einer amerikanisch-russischen Vereinbarung zur Beilegung des Ukraine-Kriegs werden. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte im März im staatlichen Fernsehen gesagt: «Über Nord Stream wird gesprochen.»

dpa